21.05.2024

Nachgefragt bei InCamS@BI: Interview mit Technologiescout Heike Wulf

Heike Wulf steht in der Sortieranlage einer Abfalldeponie Links von ihr steht Christian Schröder der ebenfalls an der HSBI arbeitet Beide haben neongelbe Warnwesten über ihre Kleidung gezogen
Beim Besuch auf der Deponie Pohlsche Heide in Hille zeigten Heike Wulf und Teilprojektleiter Prof. Dr. Christian Schröder (r.) Möglichkeiten für den Einsatz smarter Technologien auf. © K. Starodubskij/HSBI
Heike Wulf steht mit Marvin Meinhold vom Improtheater Stereotypen auf der Bühne des Demo Days Sie hält ein Mikrofon in ihrer rechten Hand vor ihnen steht ein Tisch auf den sich beide lehnen
Auch mit unterhaltsamen Formaten richtet sich InCamS@BI an die Öffentlichkeit. Beim „Demo Day 23“ gab Heike Wulf die Inputs für das Improvisationstheater der Stereotypen um Marvin Meinold (r.). © C. Wolf/HSBI
Heike Wulf sitzt in einem schwarzen T-Shirt auf einer Bank in der Bielefelder innenstadt neben ihr sitzt eine Frau mittleren Alters in einem hellblauen Jeanshemd die beiden unterhalten sich sie haben ihre beine übereinandergeschlagen und schauen sich an
Dialog auf Augenhöhe: Heike Wulf und das Projekt InCamS@BI luden die Bielefelderinnen und Bielefelder zum Gespräch auf ihre „Science Bench“ in der Altstadt ein. © S. Jonek/HSBI
Heike Wulf steht während des Barcamps vor einer weißen Tafel und erklärt einer hinter ihr stehenden Gruppe von Studierenden etwas mit ihrer ausgestreckten rechten Hand zeigt sie auf die Tafel Sie hat eine schwarze Bluse und eine dunkle Jenashose an
Konzipieren, moderieren, vernetzen: Heike Wulfs Aufgaben als Technologiescout im Projekt InCamS@BI sind vielseitig. © K. Starodubskij/HSBI

Im dritten Interview spricht Technologiescout Heike Wulf über die größte Veranstaltung, die InCamS@BI im vergangenen Jahr ausgerichtet hat: Beim Makeathon im Oktober 2023 kamen rund 85 Menschen zusammen, die sich mit Circular Economy beschäftigen wollten: 60 HSBI-Studierende aus den Bereichen Wirtschaftsingenieurwesen, Regenerative Energien und Apparative Biotechnologie, dazu Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen der Region sowie Kolleginnen und Kollegen aus InCamS@BI und ITES. Und: Sie erklärt, was ihre Aufgabe als Technologiescout im Creative Lab ist.

In der Interviewreihe „Nachgefragt bei InCamS@BI“ erklären Kolleginnen und Kollegen aus dem Team, wie das Transferprojekt InCamS@BI funktioniert. Wofür ist ein Technology Check gut? Wie baut man eine Qualifizierungsreihe auf? Wie funktioniert das gesamte Projekt? Fragen wie diese und viele mehr wollen wir hier im Gespräch beleuchten. Heute erklärt Heike Wulf, was es mit einem Makeathon auf sich hat und was ihr Job als Technologiescout beinhaltet.

Du bist seit März 2023 Technologiescout an der Hochschule Bielefeld tätig, konkret im Transferprojekt InCamS@BI. Was genau ist deine Aufgabe?

Porträtbild von heike Wulf und melina Gurcke die in blauen Oberteielne vor einem Whitebord stehen auf dem bunte Post Its geklebt sind
Beim Bar Camp der Forschungsgruppe Zirkuläre Wertschöpfung ging es 2023 um die Frage, wie Circular Design in Unternehmensprozesse integriert werden kann. Heike Wulf und Melina Gurcke organisierten die Veranstaltung.

Heike Wulf: InCamS@BI ist in drei Teilprojekte gegliedert: Hall of Innovation, Creative Lab und Innovation Lab. Ich gehöre zum Creative Lab, in dem wir mit Unternehmen in Kontakt treten, ihre Bedarfe und Herausforderungen herausarbeiten und uns dann gemeinsam erste Lösungsansätze überlegen. Dafür entwickeln und organisieren wir Veranstaltungen, sogenannte Transferformate: Dazu gehören unter anderem Barcamps, Makeathons und Expert Panels, aber auch Events mit der Gesellschaft. Ich habe gemeinsam mit meinen Kolleginnen aus der Forschungsgruppe Zirkuläre Wertschöpfung und dem ITES den  Makeathon im vergangenen Jahr geplant und durchgeführt. Wir Technologiescouts sind bei möglichst vielen Transferveranstaltungen aktiv. Ich habe beispielsweise auf der Science Bench gesessen und mit Bürger:innen über Plastik gesprochen. Beim Tag der Bildung dieses Jahr haben wir uns ein Quiz überlegt und einen Workshop für Schüler:innen gemacht. Außerdem entwickle ich Analysetools wie den Technology Check. Im TechCheck können Unternehmen überprüfen, wie zirkulär sie schon aufgestellt sind und wo für sie Ansätze sind, Circular Economy umzusetzen. Die darauf folgenden Schritte – die Konkretisierung der Ideen und das „Auf den Weg bringen“ von Einzelprojekten – findet dann im Innovation Lab von InCamS@BI statt.

Du hast gemeinsam mit einem Team aus Kolleginnen und Kollegen von InCamS@BI und aus dem ITES den Makeathon zum Thema „Circular Economy“ organisiert. Wie läuft so eine Veranstaltung ab?

Heike Wulf: Das Konzept eines Makeathons lautet: Unternehmen bringen Problemstellungen, sogenannte Challenges, mit, für die dann innerhalb einer definierten Zeitspanne von studentischen Teams Lösungsansätze entwickelt werden. Das heißt, ich habe im vergangenen Jahr weit vor der Veranstaltung Kontakt mit meinen Ansprechpartner:innen aus Unternehmen aufgenommen und gefragt, ob es Herausforderungen oder Aufgaben gibt, die mit Circular Economy zusammenhängen und die sie uns zur Verfügung stellen würden. Anschließend haben wir die Studierenden in Vorlesungen und über die Social Media-Kanäle der HSBI auf das Event aufmerksam gemacht.

Der Reiz für die Studierenden, daran mitzumachen, liegt zum einen darin, dass sie sich mit echten Problemen aus der Wirtschaft beschäftigen und Lösungen entwickeln können. Zum anderen können sie Creditpoints fürs Studium erhalten, wenn sie sich über den Makeathon hinaus mit den Challenges beschäftigen und Projekt- oder Semesterarbeiten dazu schreiben. Wir schlagen damit eine gute Brücke vom Transferprojekt in die Lehre. Bei unserer Auftaktveranstaltung haben die zehn Unternehmen dann kurz ihre Challenges vorgestellt, es gab einen Input zum Thema: ‚Wie strukturiere ich ein Projekt?‘ und dann ging es auch schon los: Die Teams bildeten sich spontan vor Ort, konnten erste Fragen stellen und sich organisieren. Dann hatten sie eine Woche Zeit, sich dem Projekt zu widmen und genau sieben Tage später ihren Ansatz vor allen zu präsentieren.

Die Studierenden haben in der kurzen Zeit natürlich nur oberflächlich an Lösungsansätzen arbeiten können. Was ist aus den Ideen geworden?

Heike Wulf: Ein Beispiel: Moritz Hetzel, Student aus dem ersten Semester Regenerative Energien, hat sich mit einer Fragestellung des Unternehmens GEA beschäftigt: Es ging darum, wie Zitzengummis, die beim Melken eingesetzt werden können, von GEA weiterverwertet werden können. Seine Ideen hat er kürzlich beim Act2Sustain Transfertag Circular Economy nochmal ausführlich vorgestellt. Moritz Hetzels Fazit: Recycling ist die einzig sinnvolle R-Strategie an dieser Stelle.

Was ist das Ziel eines Makeathons?

Heike Wulf: Für alle Teilnehmer:innen eine Win-Win-Situation: Studierende erhalten spannende und echte Themen aus der Praxis, die Unternehmen gewinnen einen neuen Blickwinkel und frische Ideen. Für unser Projekt bietet der Makeathon eine gute Gelegenheit, mit den Firmenvertreter:innen ins Gespräch zu kommen – denn manchmal gibt es natürlich Themen, die zu komplex für ein Studiprojekt sind. Und da können wir von InCamS@BI ansetzen.

Grundsätzlich befinden wir uns hier jedoch in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite sind das eigenständige Leistungen der Studierenden, in die wir als Technologiescouts nicht eingreifen dürfen – schließlich handelt es sich um Prüfungsleistungen. Die Module „Regenerative Energiewirtschaft“ und „Zirkuläre Wertschöpfung nach Cradle to Cradle“ aus dem Fachbereich Ingenieurswissenschaften und Mathematik bieten in dem Rahmen Projektarbeiten an. Dazu gehören die schriftliche Ausarbeitung des Projekts sowie eine mündliche Prüfung am Ende des Semesters. Auf der anderen Seite wollen wir die Ideen natürlich begleiten. Die Unternehmen wollen die Aufgaben bestmöglich gelöst haben. In dieser Multiinteressenslage kommen also Studierende, Professor:innen als Prüfer:innen, Technologiescouts und Unternehmen zusammen.

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© K. Starodubskij/HSBI

Sind weitere Makeathons im Rahmen des Projekts geplant?

Heike Wulf: Jetzt im Sommersemester gibt es eine ähnliche Veranstaltung, dieses Mal für Studierende des Masters Wirtschaftsrecht. Deshalb hat hier die InCamS@BI-Forschungsgruppe Wirtschaftsrecht den Hut auf. Ich habe unterstützt und meine Kontakte zu Unternehmen aus der Region aufgenommen, um wirtschaftsrechtliche Fragestellungen zum Thema Circular Economy zu generieren. Und unsere Forschungsgruppe Innovationsmanagement liefert den Input zum Thema Projektmanagement.

Du bist seit über 15 Jahren ehrenamtlich im VDI, dem Verein Deutscher Ingenieure, aktiv, beschäftigst dich auch beruflich schon lange mit Ressourceneffizienz und Circular Economy. Es gibt bereits viel Wissen über diese Themen – wieso hapert es deiner Ansicht nach an der Umsetzung?

Heike Wulf: Da muss ich leider widersprechen: Es gibt zwar schon seit den 1970er Jahren die Idee der Kreislaufwirtschaft, und Ende der 1990er haben der deutsche Chemiker Michael Braungart und der US-amerikanischen Architekt William McDonough das Konzept Cradle to Cradle (C2C) entwickelt. Auch die Veröffentlichungen der Ellen MacArthur Foundation 2013 spielen eine wichtige Rolle, die EU forciert auf dem Papier die Kreislaufwirtschaft – unter anderem im Green Deal – aber: Wir wissen lange noch nicht genug über Circular Economy – es fehlt an Erfahrungen aus der Wirtschaft, es fehlt an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Wir haben es hier mit einem sehr komplexen System zu tun, in dem man viel durchdenken muss. Zum Glück setzen sich immer mehr Einrichtungen, Organisationen und Unternehmen mit Circular Economy auseinander. Auch Hochschulen und Universitäten: Es gibt Module und ganze Studiengänge, die sich damit befassen.

Hast du selbst Gedanken dazu, wie wir das weiter ankurbeln können?

„Die relevante Frage lautet: Wann verändern sich Menschen und damit einhergehend auch Organisationen? Die Antwort: Wenn sie es müssen oder einen Vorteil dadurch haben. [...]
Hier kann unser Projekt InCamS@BI etwas beitragen.“

Heike Wulf, Technologiescout

Heike Wulf: Die relevante Frage lautet: Wann verändern sich Menschen und damit einhergehend auch Organisationen? Die Antwort: Wenn sie es müssen oder einen Vorteil dadurch haben. Aber: Umstellungsprozesse sind anstrengend. Wir brauchen meiner Ansicht nach Gesetzesvorhaben wie die Plastiksteuer, das Kreislaufwirtschaftsgesetz und die EU-Ökodesign-Verordnung. Was dabei wichtig ist: Solche Gesetze bringen nur etwas, wenn ihre Umsetzung auch kontrolliert wird. Neue gesetzliche Regelung sorgen für Marktgleichheit und sind zudem auch immer eine Chance für Innovation. Der Weg über Vorteile und Anreize gestaltet sich deutlich länger, denn es braucht zunächst jede Menge Aufklärung. In diesem Fall: Was bedeutet zirkuläre Wertschöpfung? Welche Strategien und Methoden gibt es? Mit wem kann ich mich zusammentun? Hier kann unser Projekt InCamS@BI etwas beitragen. Wir haben an der HSBI und der Uni Bielefeld die Möglichkeit, Know-how zu generieren und mit Gesellschaft und Wirtschaft ins Gespräch zu kommen. Transfer ist hier die dritte Aufgabe: Wir müssen Wissen, Ideen und Technologien in die Gesellschaft bringen.

Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich? Wie gestaltest du dein Leben nachhaltiger?

Heike Wulf: Mein Leben dreht sich um das Thema: Ich bin Umweltingenieurin – Nachhaltigkeit ist mein Beruf. Im VDI bin ich ehrenamtlich im erweiterten Vorstand tätig, wobei ich mich auf die Stärkung von Frauen im Ingenieurberuf, Circular Economy und Umweltthemen fokussiere. Ich konsumiere wenig, koche gerne vegan, mag lokale Kulturangebote, fahre Fahrrad. Aus meiner Sicht muss Umweltschutz übrigens immer mit Gerechtigkeit zusammengedacht werden.

Vielen Dank für das Interview! (gs)

Zur Person: Heike Wulf

Heike Wulf ist Umweltingenieurin – studiert hat sie von 1996 bis 2001 an der Technischen Hochschule Lübeck und anschließend von 2009 bis 2014 an der Fernuniversität Hagen. Beruflich war sie erst im sogenannten ‚Nachsorgenden Umweltschutz‘, danach im ‚Vorsorgenden Umweltschutz‘ beschäftigt, konkret bei der Effizienz-Agentur NRW. Die Bielefelderin arbeitet seit Anfang 2023 als Technologiescout im Projekt InCamS@BI, dem Transferprojekt Innovation Campus for Sustainable Solutions der Hochschule Bielefeld und Universität Bielefeld. Heike Wulf ist zudem seit über 15 Jahren ehrendamtlich im VDI tätig. Ihre Schwerpunkte dort sind die Stärkung von Frauen im Ingenieurberuf, Circular Economy und Umweltthemen. Für sie zentral: Gerechtigkeit gegenüber der Natur und Tieren. In ihrer Freizeit unterrichtet sie Yoga.

Bisher erschienene Interviews