Social Work in Times of Crisis – Studierende aus Schweden, Bulgarien, der Ukraine und Deutschland diskutieren die Rolle Sozialer Arbeit in multiplen Krisen
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Gemeinsam setzten sich die Studierenden mit Fragen auseinander welche Herausforderungen und Aufgaben sich für die Soziale Arbeit in den verschiedenen Ländern aktuell ergeben oder wie Sozialarbeitende sich in der Öffentlichkeit sichtbarer für die Rechte von den Menschen einsetzen können, die auf ihre Unterstützung angewiesen sind.
Bielefeld (hsbi). Rückblick Juni 2024 – rund 30 Studierende von der Universität Göteborg (Schweden), der Universität Sofia (Bulgarien), der Universität Kiew (Ukraine) und der Hochschule Bielefeld (HSBI) treffen sich über eine Woche in Bielefeld. Sie alle studieren Soziale Arbeit oder Sozialwissenschaftliche Transformationsstudien und diskutieren die Rolle und Aufgabe Sozialer Arbeit in (multiplen) Krise und globalen Transformationsprozessen. In international gemischten Gruppen setzen sich die Studierenden mit Fragen auseinander: Welche Herausforderungen und Aufgaben sich für die Soziale Arbeit in den verschiedenen Ländern aktuell ergeben? Oder wie können Sozialarbeitende sich in der Öffentlichkeit sichtbarer für die Rechte von den Menschen einsetzen, die auf ihre Unterstützung angewiesen sind.
Dieses internationale Seminar bietet Prof. Dr. Anna Lena Rademaker am Fachbereich Sozialwesen seit 2021 an – in der Corona-Pandemie zunächst digital als virtuelle Mobilität und seit 2023 mit einem persönlichen Präsenzbesuch der Studierenden und Lehrenden. Alle treffen sich am Campus einer der Partnerhochschulen und arbeiten über eine Woche intensiv zusammen. „Die Vor- und Nachbereitung erfolgt digital“, sagt Rademaker. „Das haben wir uns aus der Online-Lehre bewahrt. Aber der persönliche Kontakt und die intensiven Diskussionen über den Umgang mit globalen Krisen im internationalen Vergleich ist einfach nicht zu ersetzen!“
„Ich möchte unseren Studierenden mit dem Seminar einen Raum geben, um Methoden und Techniken der Einmischung in der Gesellschaft gemeinsam zu erproben und internationale Netzwerke für eine spätere Berufspraxis aufzubauen."
Seminarleiterin Prof. Dr. Anna Lena Rademaker
Didaktisch verfolgt Prof. Dr. Anna Lena Rademaker mit dem international aufgestellten Lehrenden-Team in der internationalen Begegnung einen innovativen Weg: sie verbinden ‚problem-based-learning‘ mit einem Ansatz performativer Sozialwissenschaft. In eigenen kleinen Projekten analysieren, diskutieren und präsentieren die Studierenden künstlerisch, in Form von Inszenierungen, Ausstellungen, Gedichten, Debatten u.v.m., wie sie öffentlichkeitswirksam auf Krisen und Transformationsprozesse und die sich daraus ergebenden sozialen Folgen für die Menschen hinweisen können. Damit setzen sich Studierende nicht nur einem internationalen Vergleich aus, sondern erwerben zudem wichtige Kompetenzen, um sich auch zukünftig gesellschaftlich sichtbar für die Belange ihrer Adressat:innen einzusetzen.
„Die letzten Jahre, in denen wir das internationale Seminar durchgeführt haben zeigen,“ so Rademaker, „dass die Zusammenarbeit in den internationalen Arbeitsgruppen die wertvollste Zeit für die Studierenden ist. Sie bringen bereits sehr viel fachliches Wissen mit – die Studierenden lernen mehr miteinander, voneinander und übereinander, als wir ihnen jemals hätten im Seminar vermitteln können.“
Nachhaltigkeit mehrdimensional und international denken
Ökologische, wirtschaftliche, gesundheitliche, soziale und viele weitere Aspekte von Nachhaltigkeit sind untrennbar miteinander verbunden. Um positive globale Entwicklungsprozesse zu fördern müssen die Vorstellung eines guten Lebens für alle mit den Menschenrechten verknüpft werden.
„Krisen erscheinen spätestens seit der Pandemie allgegenwärtig. Auch wenn wir historisch nicht zum ersten Mal mit der Parallelität von Krisen konfrontiert sind“, meint Karen Heid, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin an der HSBI, die das Seminar mit Professorin Rademaker gemeinsam durchgeführt hat. „Die Globalisierung und Vernetzung durch Medien bringt eine neue Form der Präsenz globaler Problemlagen mit sich. Davon sind alle betroffen.“
Die Soziale Arbeit nimmt eine zentrale Rolle ein
Die Soziale Arbeit nimmt eine zentrale Rolle ein, um den Folgen globaler Krisen und Transformationsprozesse für besonders vulnerable Gruppen der Gemeinschaft zu begegnen. Sie setzt sich für Chancengerechtigkeit, die Umsetzung der Menschenrechte und soziale Nachhaltigkeit ein. Diese Folgen hängen national wie international zusammen und machen für Sozialarbeitende eine globale Perspektive notwendig.
„Ich möchte unseren Studierenden mit dem Seminar einen Raum geben, um Methoden und Techniken der Einmischung in der Gesellschaft gemeinsam zu erproben und internationale Netzwerke für eine spätere Berufspraxis aufzubauen“, meint Rademaker. Wir können schon längst nicht mehr national über soziale Probleme und ihre Folgen nachdenken. Was Studierende von Morgen mitbringen müssen sind interkulturelle Kompetenz und Vernetzung. „Das sehe ich besonders im Bereich gesundheitsbezogener Sozialer Arbeit“, führt Rademaker weiter aus. „In diesen Handlungsfeldern fehlt es noch immer an Wahrnehmung und – ganz wesentlich – rechtlichen Grundlagen für die Profession Sozialer Arbeit.“
Arts-based Advocacy
Das Seminar am Campus Bielefeld fand nicht nur in den Vorlesungsräumen der HSBI statt. Neben einer Führung über den Global Goals Radweg in Bielefeld vom Welthaus Bielefeld, besuchten Studierende gemeinsam eine Filmvorführung im Kulturkino „Kamera“ und setzten sich performativ mit den Sustainable Development Goals (SDG) in der Theaterwerkstatt Bethel auseinander.
Gewählt wurden die ‚Lehreinheiten‘, um den Teilnehmenden performative Methoden und Techniken zu vermitteln, auf Folgen globaler Krisen für ihre Adressat:innen öffentlichkeitswirksam hinzuweisen. „Einerseits verlaufen Diskussionen viel freier, wenn wir nicht frontal im Vorlesungsraum miteinander sitzen“, sagt Heid. Und zudem würden die bei gemeinsamen Erfahrungen entstehenden gruppendynamischen Prozesse sehr dem Lehr-/Lernprozess aller Teilnehmen beitragen.
"Supporting each other hand-in-hand, together we form a resilient band."
"A social worker’s tasks are vast, in times of crisis they work fast. Building trust and lending aid, creating bonds that won’t degrade. Together strong in unity, we build a safe community. An unbreakable ring, side by side, with social workers as the guide. Supporting each other hand-in-hand, together we form a resilient band. An ecological circle, strong and tight, shining so bright, today and tonight." (Autorin: Yana Kyrykova, Universität Kiew, Ukraine)
„Die Projekte der Studierenden zeigen ein diverses Spektrum an Problemlagen für die Gesellschaft und Soziale Arbeit, sowohl aus nationaler als auch internationaler Perspektive. Diese hängen insbesondere mit Gerechtigkeitsfragen zusammen,“ resümiert Karen Heid. Die Präsentation der Projektergebnisse am letzten Seminartag zeigen die vielfältigen Kompetenzen und Perspektiven, die die Studierenden aus ihrer internationalen Arbeit und Ausbildung bereits mitbringen. Eine Gruppe Studierender hat zum Beispiel eine mediale Fotomontage zum Thema häusliche Gewalt erstellt und mit Musik hinterlegt. Die Präsentation sollte einen Anstoß geben, um eine Auseinandersetzung und Diskussion über das oft mit Stigmatisierung verbundene Thema zu starten und das Schweigen darum zu brechen.
Eine weitere Gruppe Studierender erstellte einen interaktiven Dokumentationsfilm über die Lage von Frauen in Afghanistan und insbesondere Einschränkungen des Zugangs von Mädchen und jungen Frauen zu Bildung.
Zudem gab es ein Schauspiel mit partizipativen und interaktiven Elementen für das Publikum. Dabei wurde auf die Be- und Überlastung von Sozialarbeitenden in einem von Fachkräftemangel und De-Professionalisierung bedrohten System aufmerksam gemacht. Im Rahmen dieser Aufführung betonten die Studierenden, dass ein Netzwerk bzw. eine Community notwendig sind, um dem Druck und der Belastung etwas auf fachpolitischer Ebene entgegen zu stellen. Zum Schluss wurde ein von einer Teilnehmerin geschriebenes Gedicht vorgetragen (s. Kasten).
2025 geht es nach Sofia!
Im Sommersemester 2025 wird die Universität Sofia vom 9. bis 13. Juni 2025 das Seminar ausrichten und Studierenden der HSBI und Universität Göteborg die Möglichkeit geben die Hauptstadt Bulgariens zu entdecken und gemeinsam über „Social Work in Times of Crisis“ zu diskutieren. Die Vorbereitungen laufen bereits!
Seminar und Team trauern um Dr. Manuela Sjöström
Während sich im Juni 2024 Studierende und Lehrende am Campus der HSBI Bielefeld trafen, kämpfte Dr. Manuela Sjöström mit einer Krebserkrankung, an der sie am 29. Juli 2024 verstarb. Manuela Sjöström hat das internationale Seminar zusammen mit Anna Lena Rademaker entwickelt und seit 2021 durchgeführt. Es ist ein harter Verlust sie als inspirierende, wundervolle und fachlich unglaublich kompetente Partnerin und jahrelange Weggefährtin zu verlieren. Manuela Sjöström hat wesentlich dazu beigetragen, dass aus der kleinen Idee einer internationalen Lehrkooperation eine kontinuierliche und an allen Partnerhochschulen verankerte Lehr-/ Lernstruktur gewachsen ist. Sie wird uns in guter Erinnerung bleiben und wir werden ihren Spirit und ihre Energie im Seminar weiterhin forttragen. Das wäre auch in ihrem Sinne gewesen.