Logistikstudierende der HSBI besichtigen Mercedes-Benz Werk Bremen
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So geht Studium mit Praxisbezug: Wenn im Mercedes-Benz Werk Bremen ein Pkw vom Band rollt, gleicht fast kein Fahrzeug dem anderen. Im Vorwege müssen deshalb Tausende von Teilen und viele Gewerke koordiniert werden. Die schlaue Logistik haben sich Studierende des Campus Gütersloh der Hochschule Bielefeld jetzt in der Weserstadt aus der Nähe angesehen.
Gütersloh (hsbi). Antriebe, Farben, Interieurs und jede Menge Sonderausstattungen – wer auf der Internetseite eines Automobilherstellers einen Neuwagen konfiguriert, muss sich durch viele Menüs klicken und hat immer wieder die Qual der Wahl. Denn: Um am Markt attraktiv zu sein, bieten die Hersteller ihren Kunden heute eine Unzahl an Varianten. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass ein moderner Pkw aus 50.000 bis 70.000 Einzelteilen besteht, dann wird die Komplexität deutlich, die das Geschäft der Automobilindustrie, ihrer Zulieferer und Dienstleister ausmacht. Zu letzteren zählen auch die Logistiker. Zum Ende des Wintersemesters 2024/25 fiel denn auch das Angebot von Prof. Dr. Jörg Nottmeyer an seine Logistikstudierenden auf fruchtbaren Boden: eine Exkursion ins Mercedes-Benz Werk Bremen.
Hochautomatisierter Karosseriebau, viel manuelle Arbeit in der Endmontage
„Nur eine Werksbesichtigung kann vermitteln, wie spannend und anspruchsvoll Logistik sein kann.“
Prof. Dr. Jörg Nottmeyer, Lehrgebiet Produktionslogistik, Campus Gütersloh
Nottmeyer ist am Campus Gütersloh der Hochschule Bielefeld (HSBI) für das Lehrgebiet Produktionslogistik zuständig. 13 Studierende konnte er für die Reise an die Weser begeistern. Hier stellt Mercedes-Benz seit jeher die C-Klasse und ihre auf derselben Plattform gefertigten Modelle her. „Eine moderne Automobilproduktion besteht überall auf der Welt aus drei Hauptgewerken“, berichtet Nottmeyer. „Im Rohbau werden Karosserie und Fahrgestell gefertigt. Hier sind vor allem Roboter im Einsatz, die pressen, schweißen und nieten. In der Lackiererei werden die Karosserieteile mit Korrosionsschutz, Dämmung und Lack versehen. Auch das geschieht hochautomatisiert und ist ein entscheidender Faktor, warum Autos heute so langlebig sind – und so leise. In der Endmontage schließlich wird das Fahrzeug am Fließband fertiggestellt. Hier kommt der Antriebstrang hinzu, Fahrgestell und Karosserie werden zusammengesetzt, und die gesamte Ausstattung wird eingebaut. Hier sind zwar auch an entscheidenden Stellen Roboter im Einsatz, aber die meisten Arbeiten werden von Menschen übernommen.“
Die Logistik-Studierenden waren fasziniert vom Gegensatz zwischen hochautomatisierter Fertigung im Karosseriebau auf der einen Seite und den vielen manuellen Arbeiten in der Endmontage auf der anderen. „Das war schon ein besonderes Schauspiel, wie die Roboter hier präzise Hand in Hand arbeiten, wie bei einer Balletaufführung, grazil und trotzdem hochdynamisch“, erzählt HSBI-Studentin Jorelia Hübner. „Aber auch in der Endmontage, wo viele Mitarbeiter in Teams zusammenarbeiten, ist alles aufeinander abgestimmt und es sitzt jeder Handgriff.“ Bei der Arbeit in der Endmontage handelt es sich keineswegs um stumpfe Fließbandarbeit: Die Mitarbeiter:innen rotieren innerhalb ihrer Teams und übernehmen auch die Verantwortung für die Qualität ihrer Arbeit. „Bei der Führung wurde ein intelligenter Schlagschrauber erklärt, der es ermöglicht jede Bewegung zur Befestigung einer Schraube zu dokumentieren“, erzählt Nottmeyer. „Damit ist dann die Rückverfolgbarkeit bei einem Schaden auch noch Jahre später möglich. Sollte irgendwann mal eine Schraube gelöst sein, kann nachvollzogen werden, wer die Schraube wann und mit welchem Drehmoment angezogen hat.“
„Kein Auto gleicht dem anderen“: Enorme Variantenvielfalt muss logistisch abgebildet werden
Neben den perfekt koordinierten Arbeitsabläufen und dem Qualitätsmanagementsystem interessierten sich die Studierenden auch für die ergonomisch clevere Gestaltung der Arbeitsplätze und die professionelle Handhabung der großen Variantenvielfalt der Fahrzeuge. Nottmeyer: „Das eine sind die nackten Zahlen zu Ausstattungsvarianten und zur Menge der Teile, aber es ist etwas ganz Anderes, vor Ort zu erleben, wie alles zusammengeführt wird – das kann kein Werbevideo vermitteln und zeigt, wie spannend und anspruchsvoll Logistik sein kann.“
Das Werk arbeitet im 3-Schicht-Betrieb und ausschließlich auf Bestellung. „Im Grunde genommen gleicht kein Auto, das hier vom Band läuft, dem anderen“, erläutert Nottmeyer. „Es gibt ja Tausende von Möglichkeiten, Motoren, Sitze, Räder und Ausstattungen zu kombinieren und dann müssen noch länderspezifischen Ausprägungen berücksichtigt werden. Außerdem werden auf dem gleichen Montageband sowohl elektrische und hybride Motoren, als auch normale Verbrennungsmotoren verbaut. Das alles erfordert eine superintelligente Logistik vor, während und nach der Produktion. Diese Materialflüsse strukturieren das ganze Werksgelände und die Zulieferlandschaft, die bis in entfernte Länder reicht.“
Reduzierte Lagerung, maximale Flexibilität – darum ist „just in time“ und „just in sequence“ so wichtig
Im Werk Bremen wird jedes Teil „just in time“, also pünktlich, angeliefert – das heißt: genau dann, wenn es benötigt wird. Damit nicht genug: Die meisten Komponenten müssen auch „just in sequence“ bereitstehen – also genau in der Reihenfolge, in der sie am Fließband eingebaut werden sollen. Das ist nötig, um Zeit zu sparen und die Lagerflächen klein zu halten. „Es kann nur ein Vorrat von einer halben Schicht am Band liegen, sodass die Logistik immer pünktlich und zuverlässig anliefern muss – eine wahnsinnige Herausforderung“, so Nottmeyer.
Das Orchestrieren der gesamten Lieferkette funktioniert nur durch den intensiven Einsatz von IT. Vom Scanner über die Schnittstellen bis hin zu den Datenbanken – alle Systeme müssen auf Flexibilität ausgerichtet sein. Zwar hatten die Logistik-Studierenden bereits in der Hochschule bei ihrem „Logistik-Prof“ gelernt, welche Stellhebel zur Verfügung stehen, damit ein Produktionsprozess mit verschiedenen Beteiligten reibungslos laufen kann. Aber das gigantische länderübergreifende Ausmaß von notwendiger Planung und Koordination in der modernen Automobilproduktion war für die meisten in dieser Form neu. „Das war eine wichtige, praxisnahe Erfahrung“, so Nottmeyer. Fazit: Der Fokus, alles auf Qualität auszurichten, wird im Werk Bremen nicht nur durch die vor Ort produzierten Pkw verkörpert, sondern auch von allen Produktions- und Logistikprozessen. „Hier passt einfach alles zum Stern“, so der resümierende Kommentar von HSBI-Student Simon Möller. (jn/lk)
Praxisintegriert BA Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Logistik am Campus Gütersloh studieren
Absolvent:innen des praxisintegrierten Bachelorstudiengangs Wirtschaftsingenieurwesen können am Campus Gütersloh der HSBI im vierten Semester zwischen den Schwerpunkten Technik und Logistik wählen. Die „Logistiker:innen“ beschäftigen sich in den abschließenden drei Semestern ihres Studiums dann u.a. mit Materialflusssystemen, Produktionsplanung und -steuerung, Transportlogistik, digitaler Fabrikplanung und -simulation, Fördertechnik, Supply Chain Management sowie IT- und Business Intelligence Systemen.
Generell ist das Wirtschaftsingenieurstudium eine Kombination aus Technik, Betriebswirtschaftslehre und Top-Themen wie KI und Nachhaltigkeit. Am Campus Gütersloh der HSBI wird es in seiner praxisintegrierten Form angeboten. Das heißt für die Studierenden: Sie bewerben sich für einen Studienplatz über eines der Partnerunternehmen und erhalten vom ersten Tag des Studiums an ein eigenes Gehalt. Praxisphasen im Unternehmen (elf Wochen) wechseln sich in der Folge ab mit Theoriephasen an der Hochschule (zwölf Wochen). Aufgrund der ausgewogenen ingenieur- und betriebswirtschaftlichen Ausbildung sind die Absolvent:innen des Studiengangs befähigt, Unternehmensabläufe ökonomisch und technisch zu beurteilen, zu organisieren und zu optimieren.