HSBI-Student gewinnt für den Entwurf eines Forschungsgebäudes internationalen Architektur-Preis
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Mit seiner Masterarbeit hat HSBI-Student Jannis Kresse den ersten Preis von „campus3“ gewonnen, dem internationalen Wettbewerb für Hochschularchitektur der renommierten Fachzeitschrift Bauwelt, des Deutschen Hochschulverbandes und des Planungs- und Entwicklungsunternehmens rheform. Überzeugt hat Kresse mit dem Entwurf eines innovativen Forschungsgebäudes für das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), in dem er auch Anregungen aus „Gullivers Reisen“ und Paul Klees Werk verarbeitete.
Minden (hsbi). Das war knapp: Nur eine halbe Stunde blieb Jannis Kresse, als sein Zug nach einigen Umwegen und über zwölf Stunden Verspätung endlich in München eintraf. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig in die Alte Kongresshalle. Dort wurde der Student der Hochschule Bielefeld (HSBI) auf der Messe des Architekturfachmagazins „Bauwelt“ für seine Masterarbeit mit dem ersten Preis des Wettbewerbs „campus3“ für Hochschularchitektur ausgezeichnet.
Mit Umwegen kennt Jannis Kresse sich aus, er hat einen vielseitigen Weg hinter sich. Architektur? Für den heute 36-Jährigen war das zunächst überhaupt kein Thema. Er machte nach dem Fachabi erst einmal eine Informatikausbildung und begann am Campus Minden der damals noch Fachhochschule genannten HSBI ein entsprechendes Studium. „Zu verkopft für mich“, fand Kresse aber schon bald. „Ich wollte auch mit den Händen arbeiten.“ Also sattelte er um und wurde Zimmerer, erst Geselle, dann Meister. Die Arbeit gefiel ihm – einerseits. Andererseits fehlte ihm irgendwann doch die intellektuelle Herausforderung. Er stellte sich die Frage, ob er die körperlich anspruchsvolle Arbeit auf der Baustelle bis ins hohe Alter fortsetzen wollte.
Jannis Kresse schaute sich auf dem Mikrokosmos Baustelle um. Eine Spezies beeindruckte ihn besonders: die Architektinnen und Architekten. „Es waren ihre Ideen, Entwürfe und Pläne, die wir Handwerker umsetzten.“ Nach einem langen Tag auf Montage in Hamburg bewarb Kresse sich spontan vom Hotelzimmer aus noch einmal am Campus Minden, diesmal für den Bachelorstudiengang Architektur. Und wurde angenommen. Architektur? Schon im ersten Semester wusste er: „Genau das ist es, da ist alles mit drin. Hier kann ich abstraktes, theoretisches Arbeiten perfekt mit dem konkreten, praktischen verbinden.“ Der anschließende Masterstudiengang Integrales Bauen war dann keine Frage mehr, den wollte er unbedingt ebenfalls machen.
Scientific Community Hub(s) für das Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Das Atelier der Architekten am Campus Minden liegt im frischrenovierten Altbau des Hauptgebäudes, hoch oben unter dem Dach. Durch die Oberlichter fallen ein paar Sonnenstrahlen auf das Modell von Jannis Kresses Masterarbeit: Ein eleganter Gebäudekomplex, der trotz seiner Größe leicht und filigran wirkt, mit vielen Durchlässen, komponiert um einen großzügigen, lichten Innenhof. Es ist der Entwurf eines Scientific Community Hubs für das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Das Gebäude soll als gemeinsamer Hafen für die Wissenschaftler der verschiedenen Disziplinen auf dem Campus fungieren, hier können sie zusammenkommen, miteinander arbeiten und kommunizieren“, erläutert Kresse.
Das Thema war zugleich die Aufgabe des internationalen Architekturwettbewerbs für die visionäre bauliche Weiterentwicklung von Hochschulen „campus3“, ausgeschrieben vom Planungs- und Entwicklungsunternehmen rheform, das auf innovative Lehr-, Lern- und Forschungsgebäude spezialisiert ist. „In der Architektur gehören Wettbewerbe zum Arbeitsalltag, und wir nutzen reale Auslobungen auch gerne schon für die realitätsnahe Ausbildung im Studium“, erklärt Prof. Dipl.-Ing. Bettina Georg. Sie ist zuständig für die Lehrgebiete Entwerfen und Architekturtheorie am Campus Minden und hat Kresses Masterarbeit betreut. Die Aufgabenstellung sprach Jannis Kresse sofort an: „Es geht um Raum für interdisziplinäres Arbeiten, für Forschungen an neuesten Technologien, um die Verbindung analoger und digitaler Welten.“ Oder anders ausgedrückt, um die Zusammenführung verschiedener Ansprüche, Denk- und Kommunikationsweisen unter einem Dach – ein passendes Abschlussthema für Kresse. Nicht zuletzt, weil er für die Bearbeitung all seine verschiedenen Interessen und Fähigkeiten einsetzen konnte.
Von der Architekturtheorie über „Gullivers Reisen“ und eine KI bis hin zu Paul Klee
Zunächst die Theorie: Für die ist Jannis Kresse noch eine Ebene über die theoretischen Planungen hinausgegangen. „Ich habe während meines Studiums ein Faible für Architekturtheorie entwickelt“, bekennt er. So reflektierte Kresse über den Wandel der Kommunikation und die Bedeutung der Architektur zur Unterstützung digitaler Räume und deren positiver Funktion. Und fand eine überraschende Parallele zur heutigen digitalen Kommunikationsgesellschaft in der Literatur, genauer in Jonathan Swifts fast 300 Jahre altem, damals überaus gesellschaftskritischen Roman „Gullivers Reisen“. Kresse: „Darin besucht Gulliver unter anderem eine Insel mit einer völlig verkopften Gesellschaft von Gelehrten, die während der Gespräche mit ihrem jeweiligen Gegenüber im Geist immer schon ganz woanders sind, was zu Missverständnissen und jeder Menge Verwicklungen führt.“ Das Insel-Motiv wiederum fand Kresse im realen Leben bei der Ortsbesichtigung auf dem Campus des KIT wieder. „Dort sind die verschiedenen Disziplinen in jeweils eigenen Gebäuden untergebracht und inselartig über das Gelände verstreut.“
Für die Abbildungen in seiner textlichen Ausarbeitung griff der angehende Architekt noch einmal in die Trickkiste der Informatiker: „KI. Ich habe die literarischen Beschreibungen der Räume in eine entsprechend programmierte Software eingegeben und so Illustrationen erhalten.“ Schließlich rasterte Kresse das Gelände und wies den entstandenen Parzellen je nach zugeordneter Disziplin unterschiedliche Farben zu, als Grundlage für die Übertragung in den architektonischen Entwurf. Denn dafür hatte er längst eine weitere Anregung gefunden, diesmal in der bildenden Kunst: Paul Klees Werk „Polyphon gefasstes Weiß“ (1930), eine abstrakte Arbeit mit verschiedenen, einander überlagernden Farbschichten, gruppiert um ein weißes Feld im Zentrum. „Durch das Zusammenbringen der unterschiedlichen Farben entsteht Neues, ähnlich wie bei der Interdisziplinarität“, so Kresse.
Die Gestaltungsfreiheit ist am Modell eine andere als am PC.
Nun galt es, die auf das Campus-Raster übertragenen geometrischen Formen und Farben des Bildes mit den Kommunikations-Überlegungen zu kombinieren und in eine konkrete Architektur zu übersetzen. „Das hat mir Kopfschmerzen und einige schlaflose Nächte bereitet“, räumt Jannis Kresse ein und grinst. „Diese Arbeitmacht aber auch besonders viel Spaß.“ Er probierte aus, verwarf, versuchte etwas anderes – und zwar ganz analog, am realen Modell. „Man könnte mittlerweile alles in 3-D-Programmen am Computer laufen lassen, aber am Modell hat man mehr Gestaltungsfreiheit“, sagt Kresse. Und Bettina Georg bestätigt: „Beides hat seinen Wert, aber anhand des Modells lässt sich manches stärker abstrahieren. Gleichzeitig ist es auch haptisch. Du kannst am Arbeitsmodell eine Idee entwickeln, ähnlich wie ein Bildhauer – etwas räumlich probieren: Proportionen, eine Wirkung kontrollieren.“ Die Professorin dreht Kresses Modell auf dem Tisch ein wenig hin und her. „Schauen Sie, allein durch den Wechsel des Lichteinfalls verändert sich das Model. Die Erfahrung ist unmittelbar.“
Jannis Kresses Ergebnis wurde nicht nur von Bettina Georg für sehr gut befunden. Eine „zukunftsweisende Lösung“, urteilte die Jury des „campus3“-Wettbewerbs. Und Kresses eigene Zukunft? Eine Verbindung von Theorie und Praxis: Während des Studiums arbeitete er in einem Architekturbüro und gleichzeitig als wissenschaftliche Hilfskraft im Team von Bettina Georg. Georg und Kresse würden sich freuen, dieses Arbeitsverhältnis auch nach dem Abschluss weiterzuführen. Kresse: „Es wäre toll, weiterhin beides machen zu können.“ (uh)