Student des Fachbereichs IuM erforscht Energiesystem der Indios im Urwald
Domingo Peas ist der Häuptling der Achuar, einem Indio-Volk aus Sharamentsa. Das Dorf liegt in Ecuador inmitten des Regenwalds Südamerikas. Umgeben von der tropischen Landschaft sitz Peas bei fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit vor einer Holzhütte mit Palmendach. Ein prächtiger Federkranz schmückt seinen Kopf und das Gesicht hat sich Peas mit feinen schwarzen Linien bemalt. Es bedeutet, dass er glücklich ist.
Forschungsaufenthalt in Sharamentsa (Ecuador) Fotografin/Fotograf: Mascha Kauka
Peas könnte den Eindruck vom typischen Indianer fern jeglicher Zivilisation vermitteln, wären da nicht der Laptop auf seinem Schoß und die Solaranlage auf dem Dach. Diese widersprüchlichen Bilder von traditionellen Indios, die ihr E-Mail-Postfach checken, sah Florian Bauer zum ersten Mal im Fernsehen. Sie faszinierten den jungen Mann und gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Bauer, der Regenerative Energien im Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik an der Fachhochschule (FH) Bielefeld studiert, beschloss nach Ecuador zu fliegen und eine Studienarbeit über das Energiesystem Sharamentsas zu schreiben. Möglich wurde dieser Forschungsaufenthalt durch die Stiftung Amazonica. Sie arbeitet seit über zehn Jahren mit den Achuar für einen nachhaltigen Fortschritt in Sharamentsa, denn das Dorf ist Teil eines einmaligen Projektes. Eines Projektes, in dem David gegen Goliath kämpft.
Der Lebensrau der indigenen Bevölkerung wird unter anderem durch Öl-Konzerne bedroht, die im Regenwald riesige Öl-Vorkommen vermuten. Dem großen Ausverkauf des Waldes und der darin lebenden Menschen folgten im Norden Südamerikas bereits Vertreibung, Rodung sowie Boden- und Wasserverschmutzung. Amazonica hilft den Indios den trügerischen Verlockungen der Öl-Industrie entgegenzutreten und sie so vor den katastrophalen Auswirkungen zu schützen. Mit Hilfe von Tourismus will die Stiftung den Ureinwohnern neue Perspektiven für die Zukunft aufzeigen und damit eine finanzielle Basis als Lebensgrundlage schaffen. Dabei setzen sie aber nicht auf den klassischen Luxustourismus, da dieser ebenfalls eine Zerstörung des traditionellen Lebens der Indios und der Umwelt mit sich bringen würde. Die Waffe im Kampf gegen die Öl-Konzerne heißt Gemeindebasierter Wissenschaftstourismus. Nicht Touristen, die unterhalten werden wollen, sollen in den Urwald gelockt werden, sondern Wissenschaftler und Studierende, die Wissen bringen und keine Animation brauchen, da sie vor Ort ein Forschungsprojekt verwirklichen.
Einer dieser Wissenschaftstouristen ist Florian Bauer. Letztes Jahr war er für drei Wochen in Sharamentsa. Wie er haben bereits über ein Dutzend Studierende ihre Semester- oder Abschlussarbeiten über Aspekte des Amazonica-Projektes geschrieben. Sharamentsa ist eine von zwei Mustergemeinden, in denen die Amazonica-Stiftung in Kooperation mit der Hochschule München eine Urwaldakademie aufbaut und in diesem Zusammenhang den Indios nachhaltigen Fortschritt ermöglicht, ohne ihre Lebensgrundlage - den Wald - zu zerstören. Bauer konnte die ersten Veränderungen vor Ort beobachten: "Die Indios bauen jetzt Obst und Gemüse an. Dadurch wird ihre Ernährung abwechslungsreicher. Dazu trägt auch bei, dass ihnen gezeigt wurde, wie man Hühner züchtet. Eine große Entwicklung für die Einwohner Sharamentsas stellen die Wasseranlage und das Photovoltaik-System dar. Alle Häuser im Dorf sind mit fließendem Wasser und Strom versorgt." Die Wissenschaftstouristen sind für die Achuar zudem eine Einnahmequelle, von der auch die umliegenden Dörfer profitieren sollen. Aber vor allem ist der erleichterte Zugang zu Bildung für die Einwohner ein unbezahlbarer Nutzen. Denn die ausländischen Studierenden und Dozenten forschen nicht nur, sondern können an der Urwaldakademie auch lehren. So konnte Bauer trotz Sprachbarrieren das Verständnis der Achuar von Energie und Elektrizität durch Zeichnungen und Experimente erhöhen.
Für seine Studienarbeit, die durch Professorin Eva Schwenzfeier-Hellkamp vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik betreut wurde, dokumentierte und bewertete Bauer das Energiesystem Sharamentsas. Dazu nahm er Messungen und Beobachtungen am Photovoltaik-System der Gemeinde vor und befragte die Achuar zu ihrem Umgang mit der Anlage. "Das Gebäude der Urwaldakademie ist bald fertig gebaut und dann muss dort ein Energiesystem installiert werden. Das Ziel meiner Arbeit ist es, dafür Projekthinweise und -möglichkeiten sowie mögliche Fehlerquellen aufzuzeigen." So kann im Dorf mit den vier unabhängig voneinander arbeitenden Solaranlagen nicht das Optimum an Wirtschaftlichkeit und Effizienz erreicht werden. Der Bielefelder Student der Regenerativen Energien rät deshalb, bei der Urwaldakademie oder bei ähnlichen Projekten ein zentrales Energiesystem zu installieren. "Eine gemeinsame Photovoltaik-Anlage ist für das gesamte Dorf effizienter, da man beispielsweise Laderegler und Wechselrichter sparen kann." Einziges Problem ist die Versorgungssicherheit. Bei einem zentralen Energiesystem wird bei einem Defekt die gesamte Gemeinde nicht mehr mit Strom versorgt. "Zwei oder drei Einwohner müssen mit einer fundierten elektrotechnischen Grundausbildung vor Ort sein", formuliert Bauer die Bedingung für ein zentrales System, "Diese müssen bei einem Stromausfall den Defekt reparieren. Wenn das nicht möglich ist, müssen sie die Notversorgung idealer Weise mithilfe eines pflanzenölbasierten Generators oder mit einem Benzingenerator in Gang setzen und die nötigen Ersatzteile beschaffen." Und das kann in Sharamentsa sehr lange dauern, da man das Dorf nur mit dem Flugzeug erreicht.
Einige von Bauers Vorschlägen sollen schon in diesem Jahr von einem Studenten der Hochschule München, der sein Praxissemester in Sharamentsa absolviert, umgesetzt werden. Dieser wird vor Ort Mängel des Energiesystems Sharamentsas beseitigen. Zudem wird er die Achuars schulen, damit sie ein Verständnis für Elektrizität und die damit zusammenhängenden Gefahren entwickeln und den Umgang mit Messgeräten lernen. Die FH Bielefeld plant ebenfalls weitere Kooperationen und Abschlussarbeiten mit der Stiftung Amazonica und der Hochschule München.
Jedes Haus in Sharamentsa ist mit Photovoltaik-Anlagen ausgestattet. Fotografin/Fotograf: Mascha Kauka
Florian Bauer nimmt Messungen im Batteriehaus vor. Fotografin/Fotograf: Patricia East