Ist eine sichere Energieversorgung trotz Energiewende möglich? Oder ist gerade die Energiewende und die damit verbundene Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen der Weg zur sicheren Energieversorgung? Diese Fragestellung diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Hochschule, Industrie und Politik auf dem ITES-Fachkongress am 09. September. Die Gäste der Fachhochschule (FH) Bielefeld erwartete neben Fachvorträgen und einer Podiumsdiskussion auch die Ausstellung von Exponaten und Postern.
„Wir befinden uns inmitten eines gewaltigen Transformationsprozesses“, so die einleitenden Worte der FH-Präsidentin Professorin Dr. Ingeborg Schramm-Wölk. Die Pandemie, der völkerrechtswidrige Einmarsch der Russen in die Ukraine, die dadurch forcierte aktuelle Energiekrise und die zunehmenden Naturkatastrophen lassen augenscheinlich werden, dass wir anders haushalten müssen. Sie beglückwünschte die vorausschauende Auswahl der Forschungsthemen des Instituts für Technische Energie-Systeme (ITES). Diese lösungsorientierte Herangehensweise sei Teil der DNA der Hochschulen für angewandte Wissenschaften."
Den Anfang machte Promovend Marius Dotter mit seinen Forschungsergebnissen zu den breiten Anwendungsmöglichkeiten der Farbstoffsolarzelle im Zusammenhang mit der Energiewende. Masterstudentin Katharina Schnatmann schloss mit ihrem Beitrag zum nachhaltigen Design von Photovoltaikmodulen an. „Das Design von PV-Modulen ist nicht auf Kreisläufe ausgelegt. Dadurch entstehen zahlreiche Schwierigkeiten im Bereich Recycling und Reparatur. Dies bedarf der Erforschung neuer oder aus anderen Branchen adaptierter Strukturen und Materialien“, erläutert die Studentin den rund 50 Gästen des Kongresses. Kommilitonin Katrin Handel studiert Regenerative Energien. Sie berichtete über die Ergebnisse ihrer Praxisphase, in der sie sich mit der Problematik beschäftigte, dass es durch den zunehmenden Ausbau von erneuerbaren Energien vermehrt zu Leistungsrückspeisungen auf der Niederspannungsebene kommt. Student Julian Hövelmann informierte über die Erkenntnisse seiner Arbeit im Rahmen eines Praktikums. Das von ihm bearbeitete Themengebiet beschäftigt sich mit einer KI basierten Wärmebedarfsprognose für Blockheizkraftwerke. Hövelmann möchte diese Thematik in seiner Bachelorarbeit weiterverfolgen.
„Wenn es zukünftig überhaupt noch Verbrennungskraftmaschinen gibt, dann wird es sie in absehbarer Zeit nur noch mit synthetischen Kraftstoffen geben!“, so die sichere Auffassung von Institutsmitglied Prof. Dr. Herbert Funke. Er machte deutlich, welches Optimierungspotential bei konventionellen Viertaktmotoren vorherrscht und welche Effektivitätsvorteile ein Hubkolbenmotor für synthetische Kraftstoffe habe. Im Abgas stecke nach wie vor zu viel ungenutzte Wärmeenergie. Die Lösung: „Ein Viertaktmotor mit Hubveränderung“, so Funke. Das asymmetrische Hubverhältnis sei entscheidend. Der Motor könne auf den entsprechenden Kraftstoff eingestellt werden und das bei laufendem Betrieb. Eine Kühlung sei nicht mehr erforderlich. Dadurch soll in realen Motoren ein Wirkungsgrad bis zu 65 Prozent erreicht werden. „Effizienzsteigerung durch Entspannung!“, lautete sein vorläufiges Fazit
Prof. Dr. Jan Boris Loesenbeck stellte dem Plenum seine Auffassung über die Rolle der Leistungselektronik in der Energiewende vor. Der jüngste Neuzugang des ITES gab einen Überblick über den bisherigen Einsatz von Leistungselektronik in der Energieerzeugung, machte Anforderungen sichtbar und zeigte neue Aufgabengebiete auf. Den Abschluss des durch die Hochschule geprägten ersten Kongressteils machte Bachelorstudent Sandro Benjamin Meyer. Im Rahmen seiner Praxisphase beschäftigte er sich mit der energetischen Umstrukturierung von mittelständischen Unternehmens am Beispiel der Alleima GmbH. „Den Vormittagsblock haben wir bewusst in dieser Form aufgebaut. Wir möchten Ihnen eine Idee von den Mög-lichkeiten der Zusammenarbeit mit dem ITES vermitteln“, so der Aufruf von Schwenzfeier-Hellkamp, bevor sie den zweiten Block des Kongresses eröffnete, der durch Impulsvorträge von Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik sowie der Energiebranche gestaltet wurde.
Zunächst erhielt Sascha Gödecke, Leiter des Kommunalmanagements bei der Westfalen Weser Netz GmbH, das Wort. Er stellte den Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmern die Herausforderungen und Ziele seitens der Netzbetreiber auf. „Bis 2030 wird eine 40-prozentige Steigerung des Stromverbrauchs erwartet. Die Ausbauziele stellen uns nicht nur in Material und Personalfragen vor große Herausforderungen. Netzwerktransparenz, -verfügbarkeit, -stabilität und -qualität sind die entscheidenden Schlagworte“, verrät Gödecke. „Wir müssen von der jetzigen Einbahnstraße in eine sternförmige Vernetzung der Kommunikation kommen. Die Lösung sind intelligente, digitale Netze. Mehr Messtechnik und der Ausbau der künstlichen Intelligenz sind entscheidend“, so Gödecke weiter. Letztlich sei auch die Akzeptanz der zu erwartenden digitalen Transformation eine Herausforderung. Künftig würden in Deutschland jährlich 1,5 Milliarden Euro in den Netzausbau investiert. Fernsteuerbare Technik und Überwachung seien dabei im Fokus. Der Mensch solle durch die künstliche Intelligenz unterstützt, nicht ersetzt werden. „In Zukunft wird der Ingenieurberuf die Welt retten, zwar nicht allein, aber er wird entscheidend dazu beitragen“, ist sich Gödecke sicher.
Der politische Impuls des Kongresses kam von Wibke Brems, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag NRW. Sie stieg mit der Anekdote ein, dass sie selbst Absolventin der FH Bielefeld sei und vor vielen Jahren Elektrotechnik mit Schwerpunkt erneuerbare Energien abgeschlossen habe. „Als ich im Jahr 2000 angefangen habe zu studieren, hieß es noch: Erneuerbare Energien haben keine Zukunft. Es macht mich glücklich, dass wir das Gegenteil bewiesen haben“ so Brems. Ihr Aufruf: „Energie hatte schon immer ganz viel mit Politik zu tun. Mischen Sie sich ein! Wir im Landtag sind auf Ihre Rückmeldungen zu den Bedarfen angewiesen.“ Die Entwicklung der vergangenen Jahre sei enorm, aber auch überfällig. Zu lange sei klimapolitisch nicht gehandelt worden. Im Jahr 2000 ginge man noch davon aus, dass maximal 4 Prozent der Energieversorgung aus regenerativen Energien zu gewinnen seien. Ein weiteres Beispiel sei der Kohleausstieg. Sprach man zunächst von einem endgültigen Ausstieg im Jahr 2045, so sei dieser Termin immer weiter nach vorne gerückt. „Das wir heute von 2030 sprechen macht mich als Grüne zufrieden. Es könnte noch viel früher sein, aber als Elektrotechnikerin weiß ich auch, was dies für eine Mammutaufgabe darstellt. Technisch können wir das schaffen. Ich bin aus der Technik in die Politik gegangen, weil ich weiß: Jetzt müssen politische Taten folgen“, verriet die Politikerin.
Diesen Aspekt griff Johannes Lackmann, Geschäftsführer der WestfalenWIND GmbH gerne auf. „Es ist wichtig, dass wir uns alle - und wenn auch nur nebenberuflich – politisch engagieren. Seien Sie kein Aufgabenempfänger, sondern Gestalter!“, empfiehlt Lackmann den angehenden Ingenieurinnen und Ingenieuren im Publikum. „In unseren Einstellungsgesprächen zählt diese Form des Engagements manchmal mehr als gute Noten“, unterstrich der einstige FH-Absolvent mit einem Augenzwinkern. Der Geschäftsführer des 2009 gegründeten Industrieunternehmens, das mittlerweile 100 Mitarbeitende beschäftigt, berichtete: „Heute sind knapp unter 50 Prozent der Stromlieferungen aus erneuerbarer Energie gewonnen. Darunter ist die Windenergie die Größte. Was uns zum weiteren Wachstum fehlt, ist nicht Geld, sondern die Bereitwilligkeit der örtlichen Politik. Die unterschiedliche Abdeckung zeigt, dass es an den jeweiligen Kommunen hängt.“ Eine Studie belege, dass erst 25 Prozent des Gesamtpotentials ausgebaut seien. „Von der Potentialausschöpfung auf den Dächern ganz zu schweigen und das, obwohl der günstigste Strom eindeutig vom eigenen Hausdach kommt“, äußert der Geschäftsführer engagiert. „Ich bin der Meinung, dass wir allein mit regenerativer Energie sicher versorgen können und keine fossilen Brennstoffe mehr in petto haben müssen.“ Netzausfälle durch erneuerbare Energien seien nicht zu befürchten. „Wir benötigen aus meiner Sicht keinen Netzausbau, sondern eine intelligente Verteilung. Der Stromverbrauch muss flexibilisiert und an das Angebot von Wind und Sonne angepasst werden. Das ist technisch auch schon ohne die große Smart Grid Lösung möglich“, schließt Lackmann.
In der anschließenden Podiumsdiskussion erhielten die externen Gäste die Möglichkeit, sich direkt untereinander und mit dem anwesenden Fachpublikum auszutauschen. Prof. Dr. Jens Haubrock, stellvertretender Leiter des ITES zeigte sich erfreut über die zahlreichen Wortmeldungen und interessierten Rückfragen aus den Reihen der Kongressgäste. „Neben Hochschulangehörigen sind die Kommunalpolitik, Klimamanager, Unternehmensvertreter und Vereine anwesend, was den Austausch ungemein vorantreibt und unsere Aufgaben als Hochschule für die Zukunft sichtbar macht“, so Haubrock.
Die Podiumsrunde wurde durch Michael Esken, dem Bürgermeister der Stadt Verl, erweitert. „Die starke Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wird in Zeiten von volatilen Energiepreisen zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Menschen und Unternehmen in unseren Kommunen führen. So, wie viele Eigenheimbesitzerinnen und Besitzer sich jetzt graduell unabhängig machen - mit Photovoltaik-Anlagen, Speichersystemen und regenerativen Heizungen - müssen wir auch auf kommunaler Ebene denken und handeln. Das heißt: Ausbau von PV und Windkraft in Kombination mit Speicherlösungen und einer kommunalen Wärmeplanung, die grundlegend auf die Nutzung von erneuerbaren Energien setzt.“ Esken forderte klar die schnelle Unterstützung der Bundespolitik. NRW-Fraktionsvorsitzende Brems sieht die Kommunalpolitik gleichwertig in der Pflicht: „Aufgrund des akuten Zeitdrucks ist es wichtig, dass alle Ebenen parallel arbeiten. Die Kreativität der Kommunalpolitik ist ebenfalls gefragt!“. Neben den unterschiedlichen Auffassungen der Aufgabenverteilung wurde auch das Thema Verbraucherverhalten, Datenerfassung und Datenschutz kontrovers diskutiert. Lackmann dazu: „Es ist nicht nötig, dass wir viele Daten erheben. Wir brauchen auch keine Fördermittel, was wir benötigen, ist Freiheit. Würde man uns lassen, könnten wir den Ausbau der Windkraftanlagen zeitnah umsetzten.“ Darüber hinaus sei der Planungshebel der Wichtigste. Vor Verteilung des Baulands müsse der Energieplan stehen. Ein Positivbeispiel sei Lichtenau. Es gäbe eine Stiftung, Bürgertarife, Gewerbesteuereinnahmen und folglich eine große Akzeptanz in der Bevölkerung. „Ich plädiere ebenfalls für klare Planungssicherheit“, stimmt Gödecke seinem Vorredner zu. „In den Baugebieten sollten die unterschiedlichen Energiesysteme nicht miteinander konkurrieren. Da ist die kommunale Planung gefragt“, so Gödecke weiter.
Die Veranstaltungsmoderation Dr. Sissy-Christin Lorenz fragte die Podiumsgäste nach dem konkreten Forschungsbedarf der Branche. „Wir haben eine gut ausgebaute Infrastruktur. Es gibt über 700 Netzbetreiber in Deutschland mit unterschiedlichen Qualitäten. Vielleicht kommen wir temporär an unsere Grenzen, aber nicht dauerhaft. Ich bin dennoch überzeugt, dass die Netze weiter ausgebaut werden müssen. Aber natürlich geht es nicht nur darum, weitere Kabel in die Erde zu bekommen. Neue Vertriebsmodelle müssen her, um aufzuzeigen, was noch nicht ideal ausgenutzt wird“, schließt Gödecke. Lackmann stimmt zu: „Es ist richtig, dass die Verteilnetze noch zu wenig und ineffektiv ausgenutzt werden. Intelligente Verteillösungen müssen geschaffen werden. Dann wird auch das Entgelt günstiger. Doch dafür benötigen wir: „Ingenieure statt Kupfer!“ Nicht nur das ITES-Team ist sich sicher, dass das klar formulierte Statement von Johannes Lackmann gleichzeitig der Satz des Tages war: „Was wir für eine erfolgreiche Energiewende benötigen, ist kein Kupfer, wir brauchen Ingenieurinnen und Ingenieure!“ (th)