Wie wir trauern: Mit ihrem Start-Up „Trauergestalt“ bricht FH-Studentin Marie Pischel mit Tabuthemen
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Abseits der konventionellen Trauerkultur: Neben modernen Trauerkarten und individuell gestalteten Erinnerungsstücken für Trauernde bietet die Gründerin auch Unterstützung für Tröstende. Eine Crowdfunding-Kampagne soll die erste Auflage ihrer Trostkarten mit hilfreichen Schreibimpulsen finanzieren.
Bielefeld (fhb). „Kaum jemand spricht gerne darüber, und doch betrifft Trauer uns alle im Leben“, sagt Marie Pischel, Kommunikationsdesignstudentin am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld und Gründerin des Start-Ups Trauergestalt. „Nicht nur dann, wenn wir selbst jemanden oder etwas verloren haben, sondern auch dann, wenn unser Umfeld trauert.“
Die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen ist in feste Formen gepackt, mit denen nicht alle Menschen etwas anfangen können: Beileidsformeln, schwarze Kleidung, Kirchenlieder, todernste Zeremonien, Kränze, ein Trauerjahr und dann – weitermachen! Trauernde bleiben auf diesem Weg oft verunsichert und alleine zurück. Marie Pischel: „Auch für das Umfeld ist das eine Herausforderung, denn wie gehen wir mit Trauernden eigentlich ‚richtig‘ um?“
Trauergestalt ist Anlaufstelle für Menschen, die eine alternative Trauerkultur suchen
Genau an dieser Stelle möchte Marie Pischel unterstützen: Für ihr Start-Up „Trauergestalt“ entwickelt sie Produkte, die Menschen im Trauerprozess begleiten – darunter individuell gestaltete Trauerkarten. Ihr Ziel: Mit dem Tabu brechen und dabei unsere Trauerkultur neu gestalten. Denn viele Menschen wollen längst anders trauern – weg von unpersönlichen Beerdigungen und hin zu einer alternativen und „individuelleren“ Trauerkultur. Diesen Menschen möchte Marie Pischel mit Trauergestalt ein Angebot machen.
Bei der Gründung ihres Start-ups wird die Studentin durch die Coaches des Center for Entrepreneurship (CFE) der FH Bielefeld unterstützt. Unter www.startnext.com/trostkarten läuft noch bis zum 10. April eine Crowdfunding-Kampagne, mit der eine erste Kollektion von Trauerkarten finanziert werden soll.
Karten können Brücke zwischen Trauernden und Tröstenden bauen
„Verluste können wir leider nicht rückgängig machen. Worauf wir jedoch Einfluss haben, ist, wie wir mit ihnen umgehen - alleine, miteinander und als Gesellschaft.“ Marie Pischel, Gründerin von Trauergestalt
So ist die Designerin auf die Idee gekommen: Immer wieder kamen Kundinnen und Kunden in Marie Pischels Atelier für Schriftgestaltung im Bielefelder Osten, die von der Angebotspalette an Trauerkarten enttäuscht waren oder ganz besondere Wünsche hatten. Zwischen Gestaltung und Gesprächen wurde Marie Pischel klar, dass Trauerkarten mehr sein können als ein Stück Papier: nämlich eine Brücke zwischen Trauernden und Tröstenden.
Aus diesem Grund nennt Marie Pischel ihre Karten auch „Trostkarten“ statt „Trauerkarten“: Zu jeder Karte entwickelt sie eine Beilage mit Impulsen für die Schreibenden. ‚Ich habe keine Worte, aber ich möchte, dass du weißt, dass ich trotzdem an dich denke‘, steht auf einer der Karten. „Wenn man keine Worte findet, können eben auch Taten, wie eine Umarmung oder ein Einkauf, eine Hilfe sein“, so Pischel.
Bekommen blinde Menschen eigentlich Trauerkarten?
Welche Karte eignet sich für Menschen, die ein Kind verloren haben? Was passt, wenn es um Alltagstrauer, wie den Verlust von Freundschaften, geht? Und bekommen blinde Menschen eigentlich Trauerkarten? Der fehlenden Vielfalt, insbesondere bei vermeintlichen Tabuthemen, möchte Marie Pischel mit ihrem Unternehmen entgegenwirken.
„Karten zu Tabuthemen anzubieten, macht sie eben auch sichtbarer – damit sie irgendwann keine Tabuthemen mehr sind!“, so Pischel. Die Jungunternehmerin betont, dass Trauer nicht nur bei Todesfällen aufkommen kann: „Auch der Verlust vom Job, die Trennung vom Partner oder der Partnerin oder Veränderung durch notwendige, aber unerwünschte Umzüge können Trauergefühle auslösen.“
Omas Handschrift gerahmt als Erinnerung
Für all diese Fälle will Trauergestalt Anlaufstelle sein: Ob Gestaltung von Trostkarten oder Traueranzeigen, Gespräche während des Trauerprozesses oder als Unterstützung für Menschen, die trösten wollen und nicht die richtigen Worte finden. Denn: Trauer ist mindestens so individuell wie wir Menschen selber. Marie Pischel begleitet diese Prozesse mit ihren Erfahrungen als Gestalterin und Künstlerin, um gemeinsam Möglichkeiten des Gedenkens zu finden.
Für eine Kundin rekonstruierte sie beispielsweise Erinnerungsstücke aus antiken Kochbüchern der verstorbenen Großmutter und gestaltete die bekanntesten Sprüche in der Original-Handschrift. „Gedruckt und gerahmt konnte so die ganze Familie ein Oma-Original an der Wand haben, nah bei sich“, so Pischel.
Center for Entrepreneurship der FH Bielefeld unterstützt in allen Phasen der Start-Up-Gründung
Unterstützung beim Aufbau ihres Start-Ups erhält die Studentin von den Coaches vom Center for Entrepreneurship (CFE) an der FH Bielefeld, eine hochschulweite Anlaufstelle für alle Gründungsinteressierte der Hochschule. Seit Mai 2021 wird Trauergestalt außerdem im Rahmen eines Gründerstipendium.NRW vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.
Stefanie Pannier ist Persönlichkeitscoach im CFE und sieht in Marie Pischels Charakter die Stärke des Start-Ups: „In der Zusammenarbeit spürt man die Leidenschaft für ihr Projekt, gepaart mit Kompetenz und Durchhaltevermögen. Was Marie Pischel aber besonders auszeichnet ist ihre Vision, den Bereich ‚Trauerarbeit‘ neu zu denken und zu gestalten – dafür nimmt sie jede Herausforderung an und schafft es, mit ihrer offenen Art andere zu begeistern sowie daran teilhaben zu lassen.“
Für Marie Pischel selber war vor allem das Projekt- und Persönlichkeitscoaching mit Stefanie Pannier wichtig: „Es war sehr hilfreich für mich, zu jeder Zeit eine Austauschpartnerin zu haben, die mit einem weiteren Paar Augen auf den Gesamtprozess, ebenso wie die Detailschritte, schaut.“
Crowdfunding-Kampagne ermöglicht Druck der ersten Karten-Kollektion
Um die erste Auflage ihrer Trostkarten-Kollektion zu finanzieren, startete Marie Pischel eine Crowdfunding-Kampage. Noch bis zum 10. April können Interessierte unter www.startnext.com/trostkarten die Idee finanziell unterstützen – entweder mit einem frei gewählten Betrag oder durch die Auswahl eines „Dankeschöns“, beispielsweise ein Trostkarten-Set oder ein individuell gestaltetes Erinnerungsstück. Die Trostkarten sollen im Sommer zu kaufen sein, unter anderem über Marie Pischels Website www.trauergestalt.de. „Ich würde die Karten aber natürlich gerne auch in Geschäften in Bielefeld anbieten“, so die Studentin.
Marie Pischel möchte mit Trauergestalt vor allem eins: Menschen zur Seite stehen. Dabei hilft ihr auch ihr pädagogischer Hintergrund als Erzieherin mit dem Schwerpunkt stationäre Jugendhilfe. „Verluste können wir leider nicht rückgängig machen. Worauf wir jedoch Einfluss haben, ist, wie wir mit ihnen umgehen - alleine, miteinander und als Gesellschaft.“
Pischel möchte die derzeitige Trauerkultur aktiv mitgestalten. Dafür setzt sie auch auf einen engen Austausch mit Akteurinnen und Akteuren aus der Trauerkultur, darunter beispielsweise Psychologinnen und Psychologen, Hebammen, die im Bereich Trauer in Schwangerschaft und Geburt arbeiten, sowie dem noch kleinen Feld der wissenschaftlichen Trauerforschung, um ihren Kundinnen und Kunden mit vielen verschiedenen Angeboten ganzheitlich zur Seite stehen zu können. (she)