Studium mit Kindern: Zweifache Mutter meistert den HSBI-Bachelor in Regelstudienzeit
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Rund 30 Prozent der Studierenden schließen das Studium in Deutschland innerhalb der Regelstudienzeit ab. HSBI-Absolventin Janina Pohen ist eine davon. Die 36-Jährige hat das Studium der Pädagogik der Kindheit in sechs Semestern gemeistert. Das Besondere: Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern, wohnt 100 Kilometer vom Campus Bielefeld entfernt und arbeitet nebenbei in einem Waldkindergarten in Niedersachsen. Wie sie das geschafft hat? Mit Organisationstalent und Durchhaltevermögen.
Bielefeld (hsbi). Janina Pohen steht im Wald. Die Sonne wirft ihre Strahlen durch die Baumkronen auf ein großes beigefarbenes Tipi. Baumstümpfe und ein Tisch bieten Platz zum Malen und Spielen. Pohen ist mitten drin im Waldkindergarten Wildniswissen im niederächsischen Brockum. Der Name der Einrichtung macht klar, was die Kinder hier erwartet: Spielerisch lernen sie den Wald und seine Bewohner kennen. Sie begutachten Mistkäfer, bauen Hocker für den Stuhlkreis und sammeln Brombeeren für das Frühstück. Dabei begleitet sie Janina Pohen. Die Mutter und gelernte Physiotherapeutin hat an der Hochschule Bielefeld (HSBI) Pädagogik der Kindheit studiert – in Regelstudienzeit. In sechs Semestern hat sie Vorlesungen besucht, Seminararbeiten geschrieben und schließlich ihren Bachelor abgeschlossen. „Die Anfangszeit war chaotisch und wir brauchten alle Zeit für die Umstellung“, sagt die zweifache Mutter. Um das Studium mit einer Neun- und einer Zwölfjährigen zu meistern bedarf es Organisation, Disziplin und Durchhaltevermögen. „Ich habe gelernt, Aufgaben fürs Studium direkt zu erledigen. Aufschieben ist keine Option. So lernt man Effektivität“, sagt die 36-Jährige.
Dreifachbelastung: Kinder, Studium und Arbeit
Das Studium begann für Pohen in der Coronazeit. Die Distanz zwischen Hochschule und Wohnort von knapp 100 Kilometern musste sie zu Beginn selten zurücklegen, da viele Seminare und Vorlesungen online stattfanden. „Das hat mir die Zeitplanung enorm erleichtert und ich konnte mir die Seminare die mich interessieren belegen,“ erklärt sie. „Denn das Pendeln mit Auto, Bahn und Bus war schon schwierig. Auf dem Weg zur HSBI habe ich meistens gelernt, auf dem Rückweg lief auch schon mal eine Serie“, lacht die Kindheitspädagogin.
Für die HSBI entschied sich Pohen aus gutem Grund: Die Inhalte des Studiengangs passten perfekt zu ihrem beruflichen Ziel. Pohen wollte schon im Kindergarten Wildniswissen arbeiten, seit ihre Töchter selbst dort waren. Pohen half damals ab und an ehrenamtlich aus. „Ich wollte mit der Zeit immer mehr im Kindergarten arbeiten. Deshalb absolvierte ich neben diversen wildnispädagogischen Fortbildungen auch die zur sogenannten QuiK-Kraft.“ Die Abkürzung steht für „Qualität in Kindertageseinrichtungen“. In Niedersachsen sind über diesen Weg auch Quereinstiege möglich. Die Arbeit als QuiK-Kraft ist jedoch zeitlich begrenzt. Eine Anschlussperspektive musste her: das Studium. „Eine Kollegin absolvierte ebenfalls Pädagogik der Kindheit an der HSBI, übrigens auch als Mutter. Der Studiengang wird nur an wenigen Hochschulen in Deutschland angeboten. Da war die Entscheidung für die HSBI schnell gefallen.“
„Ich habe gelernt, Aufgaben fürs Studium direkt zu erledigen. Aufschieben ist keine Option. So lernt man Effektivität.“
HSBI-Absolventin Janina Pohen
Im Studiengang B.A. Pädagogik der Kindheit erwerben die Studierenden umfangreiche Kenntnisse, mit denen sie sich auf die Arbeit mit Kindern zwischen 0 und 14 vorbereiten. „Der Schwerpunkt liegt auf der Bildungsarbeit mit Kindern in Kindertageseinrichtungen,“ erklärt Studiengangsleiterin Prof. Dr. Helen Knauf. „In den ersten Lebensjahren sind Kinder besonders lernfähig. Unsere Studierenden lernen, wie sie Bildung bereits in diesem frühen Alter anregen und begleiten können.“ Anders als die Ausbildung von Erzieherinnen ist das Studium der Kindheitspädagogik forschungsorientiert angelegt.
Umfangreiche Unterstützungsangebote an der HSBI
Laut einer Erhebung des Deutschen Studentenwerks sind acht Prozent der Studierenden Eltern und balancieren Lehrpläne, Kita-Zeiten und Alltagshürden parallel. Eine kurzfristige Unterbrechung des Studiums kann bei Überforderung die notwendige Konsequenz sein. Doch trotz Mehrfachbelastung kam eine Pause für die gelernte Physiotherapeutin nicht in Frage. „Meine Eltern sind oft aus Düsseldorf gekommen, um sich um die Kinder zu kümmern, wenn es bei mir zeitlich nicht klappte. Sie sind auch jetzt noch eine große Hilfe. Und der Vater der Kinder unterstützt auch.“
Die Vereinbarkeit von Familie und Studium hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stetig verbessert. Das Mutterschutzgesetz gilt seit 2018 auch für schwangere Studentinnen und beginnt sechs Wochen vor der Geburt. Bis acht Wochen nach der Entbindung müssen die Frauen nicht an Lehrveranstaltungen oder Prüfungen teilnehmen, sofern diese laut Gefährdungsbeurteilung problematisch sein könnten. An der HSBI gibt es zudem zahlreiche Unterstützungsangebote: Die hochschuleigene Kita, Kinderteller in der Mensa, Randzeiten- und Ferienbetreuungsangebote, Nachteilsausgleich. Der Nachteilsausgleich soll sicherstellen, dass den Studentinnen kein Nachteil aus der Schwangerschaft oder der Mutterschaft entsteht. So können Prüfungen nachgeholt werden, die Prüfungsform angepasst oder Abgabefristen für Seminar- und Abschlussarbeiten verlängert werden.
Am Campus Bielefeld ist der Eltern-Kind-Raum beispielsweise ein guter Rückzugsort für Kinder und Eltern. Ausgestattet mit buntem Spielzeug, Kinderbett, Sessel, Küchenbereich und Toilettenraum mit Wickeltisch, gibt es hier die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen oder ungestört zu spielen. An den Standorten Campus Minden und Lampingstraße gibt es ähnliche Räume.
Den Töchtern ein Vorbild sein
Unterstützung erfuhr Absolventin Pohen auch von Professorinnen und Professoren im Fachbereich Sozialwesen. „Ich musste und wollte einen Kurs besuchen, kam aber aufgrund der Teilnehmerzahl nicht mehr rein. Um den Kurs nicht erst im nächsten Semester zu machen und somit länger studieren zu müssen, wandte ich mich an den Dozenten. Ich durfte noch teilnehmen und so in Regelstudienzeit abschließen. Dafür bin ich sehr dankbar.“
Jetzt, nach dem Studium folgt das Berufspraktische Jahr, das Pohen und ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen machen müssen, um staatlich anerkannte Kindheitspädagogin zu sein. „Das berufspraktische Jahr mache ich jetzt berufsbegleitend“, so Pohen. Das erleichtert ihre Zeitplanung enorm und sorgt für mehr Stabilität innerhalb der Familie. „Ich lebe auch immer mit dem schlechten Gewissen, für meine Töchter nicht genug da zu sein. Denn natürlich möchte ich jede freie Minute mit ihnen verbringen. Wir haben viel darüber gesprochen und sie sind mit neun und zwölf Jahren sehr verständnisvoll und jetzt stolz auf mich. Und ich finde es toll, ihnen ein Vorbild zu sein.“
Als Ausgleich zum Studium suchte sich Pohen in Bielefeld ein sportliches Hobby: Sie entdeckte Eishockey für sich und trainierte, so oft es möglich war, mit im Team.
Wildniswissen: „Die Natur gibt den Takt vor“
Morgens verlassen die Pohens das Haus meist zusammen und die Pädagogin ist in der Regel vor den Töchtern wieder zurück. Im Kindergarten Wildniswissen verbringen die Kinder die meiste Zeit draußen – egal wie das Wetter ist. „Wenn es stürmt, dann ist der Wald zu gefährlich und wir weichen auf einen Hof in der Nähe aus“, sagt Pohen. Aber Regen oder Schnee halten die Kinder nicht davon ab, im Wald zu spielen. Im großen Tipi finden 14 Kinder und die Erwachsenen Platz. Drinnen dienen Felle als Sitzplätze und schützen gegen Kälte. Die Feuerstelle brennt vor allem im Winter. Der Morgen beginnt im Waldkindergarten immer anders – um 10 Uhr gibt es ein gemeinsames Frühstück. Die Leseecke wird kurzerhand aus Fellen gebaut - mal an diesem Baumstamm, mal am anderen. Schaukel und Hängematte sind besonders beliebte Plätze der drei- bis sechsjährigen Kinder.
Die Inhalte aus dem Studium nimmt Pohen mit in ihren Alltag im Wald und umgekehrt. „Jedes Kind hat seine eigenen Grenzen und Befindlichkeiten. Der eine mag keine Spinnen, die andere stören nasse Socken.“ Es gibt viele Rituale und Routinen im Waldkindergarten, aber bei allem gilt: „Die Natur gibt den Takt vor.“ „Letztens fiel ein junges Eichhörnchen vom Baum. Das ist seitdem natürlich ein Topthema und die Kinder möchten alles über das Tier erfahren“, erklärt Pohen. Das Eichhörnchen wurde mit Unterstützung des Verein Eichhörnchennotruf e.V. gesund und lebt wieder in freier Wildbahn.
Auch Zuhause bestimmen Natur und Tier den Alltag der HSBI-Absolventin. Pohen lebt mit ihren Töchtern und ein paar Pferden. Den alten Hof renoviert sie nach und nach, jetzt wo sie mit dem Studium durch ist und wieder etwas mehr Zeit hat.
Das Abschlusszeugnis jetzt in den Händen zu halten ist für Janina Pohen etwas ganz Besonderes: „Mein Ziel war es das Studium irgendwie zwischen meiner Familie, meinem Job, dem Hof und meinen Hobbies zu schaffen – dass es dann jetzt sogar in der Regelstudienzeit geklappt hat, macht mich stolz.“ (kst)