New-Horizons-Stipendium der HSBI ermöglicht Gastwissenschaftler aus Bhutan die Forschung zu nachhaltigen Technologien unter Gleichstellungsaspekten am Campus Minden
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Seit August forscht Gastwissenschaftler Dr. Hari Kumar Suberi aus Bhutan am Campus Minden der HSBI zu nachhaltigen Technologien als Teile vernetzter Systeme. Im Fokus: Frauen als Akteurinnen zur Verbreitung der Technologien. Ermöglicht hat Suberis Aufenthalt das neue „New-Horizons-Stipendium“, das seit diesem Jahr an Forschende aus dem Globalen Süden mit Bezug zu Gleichstellungsthemen vergeben wird.
Minden (hsbi). Dr. Hari Kumar Suberi schließt die Augen. Er sitzt auf dem Boden, die Beine im Schneidersitz überkreuzt, seine Handflächen berühren den Teppich. Andächtige Stille breitet sich aus in dem kleinen Raum. Bis Suberi seine Augen wieder öffnet. Sie strahlen. „Mit einer Meditation beginne ich meinen Arbeitstag. Ich verbinde mich mit Mutter Erde“, sagt der Ingenieur für Elektrotechnik, der einen Doktortitel in nachhaltiger Entwicklung und einen Master in internationalem Stoffstrommanagement besitzt. Ein Stoffstrommanager versucht Stoff- und Energieströme ökologisch und ökonomisch zu beeinflussen mit dem Ziel der Ressourcenschonung und der Schaffung von nachhaltigen Kreisläufen.
Frauen sind oft Schlüsselakteure, um nachhaltige Entwicklungen in Gang zu setzen
Dies „im Gepäck“, verbringt Hari Kumar Suberi seinen Arbeitstag seit August auf dem Campus Minden der Hochschule Bielefeld (HSBI): Der 41-Jährige aus Bhutan hat das erste „New-Horizons-Stipendium“ der HSBI erhalten. Es wird seit diesem Jahr einmal jährlich von der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten vergeben und finanziert Forschenden aus dem globalen Süden einen vier- bis sechsmonatigen Aufenthalt an der HSBI, um Projekte mit Bezug zu Gleichstellungsthemen zu entwickeln oder zu bearbeiten. „Uns interessieren neue Lehr- und Forschungsperspektiven auf Gleichstellung. Im globalen Süden zeigt sich besonders, dass nachhaltige Entwicklungen und Frauenförderung zusammengehören“, sagt HSBI-Gleichstellungsbeauftragte Prof. Dr. Yüksel Ekinci. „Außerdem wollen wir unsere Kontakte in den globalen Süden stärken und neue Hochschulpartnerschaften aufbauen.“ Dass nun ausgerechnet ein Mann das gleichstellungsbezogene Stipendium erhalten hat, stört Ekinci nicht: „Dr. Suberi setzt sich in Buthan dafür ein, dass das Know-how im Umgang mit nachhaltigen Technologien gestärkt wird und sein besonderer Fokus liegt dabei auf den Frauen, die in den ländlichen Gemeinschaften das Sozial und Familienleben prägen.“
Doch der Reihe nach: Suberis Heimatuniversität ist die Royal University of Bhutan, genauer das College of Science and Technology (CST) in Phuentsholing im Süden des Landes. Vom Fuß des Himalaya ging es für Suberi nun also direkt ins Norddeutsche Tiefland – mitnichten ein ‚Naturschock‘: „Ehrlich gesagt gefällt es mir sehr, dass es hier so flach ist und man in die Ferne schauen kann“, bekennt Suberi lächelnd. Er ist ein höflicher Mensch, auch das Essen in Deutschland lobt er: „Der Geschmack ist einfach, aber gut. Die bhutanische Küche ist mir selbst manchmal zu würzig und scharf.“ Besonders aber gefällt ihm, dass die HSBI Nachhaltigkeit in ihrem Leitbild verankert hat – denn Nachhaltigkeit ist Suberis Thema. In Bhutan fast schon eine Selbstverständlichkeit: Der Himalaya-Staat hat den Umweltschutz in seiner Verfassung festgeschrieben und wartet regelmäßig mit einer neutralen CO2-Bilanz auf. Was aus westlicher Sicht sehr fortschrittlich wirkt, hat seine Gründe auch in der Vergangenheit. Suberi: „Die Verehrung und Achtung der Natur gehören zu den traditionellen, spirituellen bhutanischen Werten. Zusätzlich schützt in Bhutan nun auch die Verfassung den Umgang mit der Umwelt und fördert einen nachhaltigen Fortschritt, das ist einzigartig.“
Transdisziplinärer Ansatz verbessert die Effizienz des Einsatzes von nachhaltigen Technologien
Die dafür eingesetzten Mittel sind aber keineswegs nur alt und traditionell. Suberi etwa führte nach seinem Studium zahlreiche Bürgerberatungen zur Nutzung nachhaltiger Technologien wie Photovoltaik-Anlagen durch. Dabei fiel dem Elektrotechniker und Stoffstrommanager allerdings etwas auf: „Obwohl die Geräte technisch einwandfrei und nachhaltig waren, setzten die Leute sie einfach nicht ein.“ Zu kompliziert in Bedienung und Wartung, zu wenig bekannt war ihr Nutzen für die Gesellschaft, nur schwer fügten sie sich in die Strukturen der Gemeinschaft ein. „Diese Beobachtung war ein Wendepunkt in meiner Arbeit“, sagt Suberi, der fortan in seiner Forschung zu nachhaltigen Technologien einen umfassenderen Ansatz verfolgte.
Auf dem Lesesessel am Fenster liegt ein aufgeschlagenes Buch, es geht um vernetztes Denken. „Wir können uns nicht allein auf die Technologien fokussieren“, führt Suberi aus. „Sie gehören zwar zu den Hauptfaktoren, um ein System nachhaltig zu transformieren und den Energie- und Materialverbrauch zu reduzieren, Arbeit zu erleichtern und negative Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren. Aber sie dürfen nicht als unabhängige sozio-ökologische Herausforderung gesehen werden, sondern als Teil eines vernetzten Systems. Die Gesellschaft, Ökonomie, Umwelt und Gemeinschaft gehören ebenfalls dazu und müssen mitbedacht werden, wenn Technologien wirken sollen.“ Deswegen setzt er in seinem geplanten Projekt für die Verbreitung nachhaltiger Technologien in Bhutan auf eine Art Integrationskraft innerhalb des Systems: Frauen. „Frauen sind im sozialen System Bhutans kreative Akteure des Wandels, sie zeigen sich meist innovationsfreudiger als Männer. Durch den entsprechenden Zugriff auf Wissen über nachhaltige Technologien gilt es, ihre Einbindung in den Prozess der nachhaltigen Entwicklung zu fördern, auch als Multiplikatorinnen.“
Welcome Center der HSBI unterstützt bei der Organisation des Aufenthalts
Bleiben die Technologien: Hari Kumar Suberi streift sich die Jacke über und schlüpft in seine Schuhe. Von seiner Wohnung zum Campus Minden ist es nur ein kurzer Fußmarsch. Der Weg führt durch Kopfsteinpflasterstraßen, vorbei an altehrwürdigen Villen und Mehrfamilienhäusern. Das Welcome Center der HSBI hat die Unterkunft vermittelt. „Das war eine große Hilfe“, sagt Suberi. „Wohnungssuche, Visum und Krankenversicherung sind echte Herausforderungen bei der Organisation eines Gastaufenthalts in Deutschland.“
Am Campus Minden wartet bereits Prof. Dr. Frank Hamelmann. Der Physiker ist Experte für Photovoltaik-Anlagen und Suberis Gastgeber an der HSBI. Die beiden kennen sich bereits aus vorherigen Online-Kooperationen. „Der Austausch war bislang sehr fruchtbar, er erweitert unseren Horizont. Bhutan hat einen einzigartigen Ansatz in der Gesellschaft, von dem wir lernen können“, findet Hamelmann. Ganz konkret interessiert ihn „die Perspektive anderer Kulturkreise. Welche Bedürfnisse gibt es dort, was genau wird gebraucht?“
Erneuerbare Energien, insbesondere Photovoltaik, sind ein wichtiges Thema für Bhutan, Expertise und Fachkräfte sind gefragt. „Das technische Know-how haben wir“, sagt Hamelmann und blickt sich im Photovoltaik-Labor um. „Aber welche spezifischen Anforderungen gibt es für den Einsatz in Bhutan, klimatisch und auch gesellschaftlich? Wie muss die Technologie beschaffen sein?“ Die Antwort von Suberi kommt prompt: „Einfach und benutzerfreundlich. Sie muss leicht von der Gemeinschaft übernommen werden können, einen Mehrwert schaffen und ein tieferes Interesse an sozialer Wertschöpfung erzeugen.“ Wie etwa den Schutz der Umwelt. Genau das erfüllt für Suberi das technische Verfahren, an dem Hamelmann und sein Team derzeit forschen: eine kostengünstige Überwachung von Photovoltaikanlagen. „Wir entwickeln eine Software, mit der jederzeit unkompliziert überprüft werden kann, ob eine Anlage einwandfrei funktioniert“, erläutert Hamelmann. „Das spart nicht nur die aufwändige und teure Wartung durch eine technische Fachkraft, sondern hilft auch, Fehlerquellen sofort zu identifizieren. So werden auch Mindererträge vermieden durch Module, die möglicherweise monatelang unerkannt nicht richtig arbeiten.“
Suberi nutzt noch bis Januar die Zeit an der HSBI, um mehr über das Verfahren von Hamelmann zu lernen. Dann geht es für ihn wieder zurück nach Bhutan. Auch wenn ihm die hohen Berge nicht sonderlich fehlen, „auf meine Familie freue ich mich schon sehr“, sagt der Vater einer dreizehnjährigen Tochter und eines fünfjährigen Sohns. Das Ende seines Aufenthalts in Minden bedeutet keineswegs das Ende des Austauschs mit der HSBI, im Gegenteil, betont Hamelmann: „Wir haben bereits ein Kooperationsprojekt zum Austausch von Studierenden und Lehrenden beim Deutschen Akademischen Austauschdienst beantragt und bereiten weitere kooperative Forschungsprojekte vor.“ Vielleicht muss Suberi nicht allzu lange auf das Norddeutsche Tiefland verzichten. (uh)