Kühlen mit Magneten für weniger CO₂-Ausstoß: Wie kann der sogenannte MK-Effekt für eine energiesparende und umweltfreundliche Kühltechnik genutzt werden?
Weniger giftig, weniger klimaschädigend und viel effizienter als die konventionelle Kompressortechnologie: FH Bielefeld und Universität Bielefeld forschen gemeinsam an Legierungen, welche die Basis bilden sollen für zukunftsweisende Kühlsysteme. Dafür arbeiten Materialwissenschaften, Physik und Informatik im Projekt „DiProMag“ Hand in Hand. Im Fokus stehen Heuslerverbindungen und der magnetokalorische Effekt (MK-Effekt).
Bielefeld (fhb). Laut einer aktuellen Studie der UN gibt es weltweit ca. 3,6 Milliarden Kühlgeräte, pro Sekunde kommen bis zu 10 weitere hinzu. [1] Die negativen Folgen sind erheblich: 2018 kostete die Kühlung 3,4 Prozent des globalen Energiehaushaltes, bis 2050 könnte sich dieser Wert verdreifachen. Kühlung ist einer der Treiber des wachsenden CO2-Ausstoßes auf diesem Planeten.
Überraschend ist das nicht: Immer mehr Güter müssen gekühlt werden, weil der Mensch sie über lange Strecken befördert und sie andernfalls verderben. Die fortschreitende Digitalisierung benötigt in ganz erheblichem Maße Energie, weil Rechenzentren und Server nur wohltemperiert funktionieren. Und immer mehr Menschen auf der Welt möchten auch bei hohen Temperaturen im angenehm kühlen Büro arbeiten, im klimatisierten Supermarkt einkaufen und zuhause die Klimaanlage anstellen, wenn es mal zu heiß wird.
DiProMag setzt auf den MK-Effekt
Klimatisierte Lager und Kühlcontainer, Klimaanlagen und Gefrierschränke – sie alle werden heute noch mit der in die Jahre gekommenen Kompressortechnologie auf die richtige Temperatur gesenkt. Deren Wirkungsgrad ist weitgehend ausgereizt, sie benötigt relativ viel Energie und ist noch dazu auf umweltschädliche Kühlmittel angewiesen. Dringend sind also neue, möglichst nachhaltige Kühlkonzepte gefragt. Das Forschungsprojekt „DiProMag“ begibt sich auf die Suche nach Antworten. DiProMag steht für „Digitalisierung einer Prozesskette zur Herstellung, Charakterisierung und prototypischen Anwendung magnetokalorischer Legierungen“. Die Fachhochschule (FH) Bielefeld und die Universität Bielefeld arbeiten im Rahmen des Projekts gemeinsam an einem alternativen Ansatz zur Kühlung. Die Forschungsteams konzentrieren sich dabei auf den sogenannten magnetokalorischen Effekt (MK-Effekt).
Dieser physikalische Effekt tritt bei bestimmten magnetisierbaren Materialien auf, die sich erwärmen, sobald sie auf ein magnetisches Feld treffen. Die entstandene Wärme wird an die Umgebung abgegeben, bis die Ausgangstemperatur wieder erreicht worden ist. Beim Entfernen des Feldes kühlt sich das Material dann schlagartig ab. Das Ergebnis: ein steuerbares Kühlverfahren ohne umweltschädliche Kühlmittel. Magnetokalorische Kühlsysteme besitzen dabei einen bis zu 30 Prozent höheren Wirkungsgrad als Kompressoren, kurz: Sie sparen Energie und reduzieren den CO2-Ausstoß.
FH und Universität forschen gemeinsam
DiProMag-Projektleiter und Verbundkoordinator an der FH Bielefeld ist Prof. Dr. Christian Schröder, Vizepräsident für Forschung, Entwicklung und Transfer sowie Leiter des Bielefelder Instituts für Angewandte Materialforschung (BIfAM). An der Universität Bielefeld ist Prof. Dr. Andreas Hütten, Professor für Experimentalphysik an der Fakultät für Physik, federführend für DiProMag. Die benötigte Informatik-Expertise steuert Dr. Basil Ell, Post-Doktorand in der Gruppe Semantic Computing von Prof. Dr. Philip Cimiano am CITEC der Universität, bei.
Außerdem sind noch weitere Teams eingebunden. Prof. Dr. Sonja Schöning wird Konzepte für adaptive Materialfertigung gemeinsam mit einem Industriepaten verfolgen. Jr-Prof. Dr. Luana Caron wird magnetokalorische Bulk-Systeme untersuchen. Prof. Dr. Günter Reiss verstärkt DiProMag mit seiner Expertise zur Dünnschichttechnologie. Die Expertinnen und Experten der Bielefelder Hochschulen suchen im Rahmen von DiProMag in den kommenden drei Jahren nach innovativen Legierungen, mit denen sich der MK-Effekt optimieren lässt.
Materialwissenschaft, Physik und Informatik in einem Team
Prof. Dr. Christian Schröder kennt den MK-Effekt aus seiner Arbeit an magnetischen Molekülen noch aus seinem Physikstudium als eine angeblich nicht sinnvoll weiterzuverfolgende Technologie. Die Stärke von DiProMag sieht er im interdisziplinären Ansatz von Materialwissenschaft, Physik und Informatik: „Wir müssen die Materialien und ihre Eigenschaften von der Pike auf verstehen. Der Weg führt über Experimente, aber auch über theoretische und computerbasierte Berechnungen.“ Zu diesem Zweck führt das FH-Team rund um Prof. Schröder Computer-Simulationen durch, um besser zu verstehen, wie sich das Zusammenspiel von Atomen in einem Material auf dessen Eigenschaften auswirkt.
Legierungen nach dem Baukastenprinzip
Denn: Noch findet der MK-Effekt aus mehreren Gründen keine breite Anwendung in der Praxis. Zum einen sind extrem große Magnetfelder notwendig, damit sich der Effekt stark genug einstellt, um damit kühlen zu können. Zum anderen müssen zurzeit noch kritische Rohmaterialien wie Metalle aus der Gruppe der „Seltenen Erden“ verwendet werden, deren Gewinnung nicht nur aufwendig und teuer, sondern oft auch umweltschädlich ist.
Neuartige, bisher nicht bekannte Verbindungen könnten die Lösung sein, so die These der DiProMag-Experten. Ihr Plan: eine genaue Auslotung der Möglichkeiten von sogenannten Heuslerverbindungen. Der Name dieser speziellen Legierungen geht auf den deutschen Chemiker Friedrich Heusler zurück, der 1903 die erste magnetische Legierung entwickelte, die sich aus den nichtmagnetischen Metallen Kupfer, Mangan und Aluminium zusammensetzt. In der Welt der Heuslerverbindungen lassen sich durch die Kombination von 52 Metallen theoretisch unzählige Legierungen erstellen. Diese weisen dann verschiedene Funktionen auf – zum Beispiel magnetisch, halbleitend oder eben magnetkalorisch.
„Eine riesige extrem zeitaufwendige Feldforschung würde anstehen, um Millionen von möglichen Verbindungen zu beschreiben“, skizziert Prof. Dr. Hütten die Herausforderung. „Das Geheimnis des Erfolgs von DiProMag wird also darin bestehen, frühzeitig im Prozess die vielversprechendsten Verbindungen zu identifizieren und genauer zu untersuchen.“ Verschiedene Forschungsteams nehmen dabei Heuslerlegierungen der unterschiedlichsten Formen unter die Lupe – von der ultradünnen Schicht bis hin zum Bulk-Material. Den vielversprechendsten Ansatz wollen dann am Ende alle gemeinsam optimieren.
Materialeigenschaften mit Künstlicher Intelligenz vorhersagen
Dennoch bleibt am Anfang die Herausforderung, dass es bei 52 Heuslerverbindungen zu viele Kombinationsmöglichkeiten gibt, die man nicht alle im Hinblick auf den MK-Effekt ausprobieren kann. Dank Künstlicher Intelligenz (KI) muss man das allerdings auch gar nicht. Hier kommt Dr. Basil Ell ins Spiel: Der Informatiker „übersetzt“ dem Computer die bis dahin noch unstrukturierten Daten über Heuslerverbindungen. Entwickelt werden soll damit eine sogenannte Ontologie. Das ist eine Datenbank für ein Wissensmanagement, deren Inhalte intelligent miteinander verknüpft sind.
„Die Eigenschaften der Materialien und Legierungen sind am Anfang reine Zahlenwerte“, erläutert Dr. Ell. „Unsere Erkenntnisse aus den theoretischen und praktischen Experimenten fließen jedoch in die Ontologie ein, werden hier systematisiert und lassen sich so besser wiederfinden und anwenden. Gleichzeitig wird die Ontologie, die aus strukturierten Daten besteht, mit unstrukturierten Daten verknüpft und in einen Vektorraum eingebettet, um damit neues Wissen über Analogieschlüsse abzuleiten, neue Antworten auf die Fragen der Forschung zu finden oder neue Hypothesen zu generieren.“
Zeitersparnis dank Ontologie
Die Ontologie und der daraus konstruierte Vektorraum könnten also dafür sorgen, dass sich die zahlreichen Materialzusammensetzungen und deren Eigenschaften noch genauer vorhersagen lassen. Und sie zeigt den Forschenden damit auch, welche Kombinationen am vielversprechendsten sind. Diese können dann experimentell ganz konkret in ihrer Leistungsfähigkeit überprüft werden. „Das könnte der Materialforschung enorme Zeit und Kosten sparen“, so Dr. Ell.
Eine Extraportion Motivation zieht der Forscher aus dem ökologischen Stellenwert des Projekts: Sollte mithilfe der DiProMag-Erkenntnisse tatsächlich ein großer Schritt in Richtung auf die Entwicklung eines nachhaltigen und auf breiter Front einsetzbaren Kühlverfahrens gelingen, wäre das auch persönlich ein großer Erfolg. „Ich bin Informatiker und profitiere von der allgemeinen Digitalisierung und der Entwicklung von KI. Das alles verbraucht aber gewaltige Energiemengen. Vielleicht kann ich mit meiner Arbeit nun dazu beitragen, dass der ökologische Fußabdruck reduziert wird, den mein Arbeitsfeld hinterlässt.“
Prototypen aus dem Hybrid-3D-Drucker
Obwohl bei DiProMag Grundlagenforschung betrieben wird, hat das Team dennoch die Sicht eines tatsächlichen späteren Anwenders im Blick und arbeitet dafür eng mit einem Hersteller für Haushaltsgeräte zusammen. Sobald eine erfolgversprechende Legierung gefunden ist, wird in einem zweiten Schritt ein Hybrid-3D-Drucker der FH Bielefeld eine Komponente für ein Kühlaggregat erstellen. DiProMag-Verbundkoordinator Prof. Dr. Schröder: „Gemeinsam mit unserem Industriepaten soll die gesamte Prozesskette von der experimentellen Herstellung und Charakterisierung der magnetokalorischen Materialien über deren theoretische Beschreibung bis hin zum Aufbau eines Prototypen realisiert und durchgehend digitalisiert werden.“
Evolution statt Revolution
Wie schätzt das Forschungsteam die Erfolgsaussichten von DiProMag ein? „Für eine technische Revolution reicht es noch nicht“, sagt Prof. Dr. Schröder. „Noch sind viel zu große Magnetfelder für einen nennenswerten MK-Effekt notwendig. Aber genau deswegen brauchen wir ja Projekte wie DiProMag.“ Prof. Dr. Hütten ist sich sicher: „Unsere Forschung führt zu einer erheblichen Beschleunigung in der Entwicklung neuer Materialien, und das ist ein wertvoller Beitrag auf dem Weg hin zu nachhaltig arbeitenden Kühlsystemen.“
Damit nicht genug: Die im Rahmen von DiProMag gewonnenen Erkenntnisse sollen auch auf andere Bereiche angewendet werden können. Dr. Ell: „Wenn wir eine Ontologie entwickeln, die genau beschreibt, mit welchen Zielen ein Experiment durchgeführt wurde und welche Ergebnisse erzielt wurden, so lassen sich dadurch die Menge der prinzipiell machbaren Experimente besser überblicken und vielversprechende, bisher nicht umgesetzte Experimente identifizieren, und zwar auch außerhalb der Materialwissenschaften.“ (lk/she)