Campus Minden: Masterstudierende der FH Bielefeld entwickeln Ideen für ein inklusives Quartier in Bad Oeynhausen
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Auf dem Gelände des Wittekindshofs in Bad-Oeynhausen-Volmerdingsen entwerfen Studierende des Masterstudiengangs Integrales Bauen der Fachhochschule (FH) Bielefeld im Rahmen eines Projektseminars ein neues Quartier. Ehemalige und künftige Funktionen gehen in den Konzepten für „Wohnen für alle am Südhang“ eine neue Verbindung ein. Ziel ist ein inklusiver Ortsteil für das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung.
Minden (fhb). Platz für neue Ideen gibt es genug: An einem grauen Freitagmorgen Anfang Februar betreten Anna Nagel, Rita Jüngling und Pablo Thiemig das leere Foyer des Hörsaalgebäudes auf dem Campus Minden. Kurz danach füllen sie den Raum mit ihren Entwürfen und Modellen, die sie heute präsentieren. In den vorangegangenen Wochen haben die drei Masterstudierenden des Studiengangs „Integrales Bauen“ zusammen mit rund 50 weiteren Teilnehmenden des Seminars „Integrales Projekt“ von Prof. Dr. Matthias Kathmann an einer Frage gearbeitet, die ihnen ebenfalls viel Freiraum für die Umsetzung ihrer Ideen ließ: Wie kann auf einem rund fünf Hektar großen Teilstück des Gründungsgeländes der Diakonischen Stiftung Wittekindshof in Bad Oeynhausen-Volmerdingsen ein Quartier mit unterschiedlichen Wohnformen und einem Gemeinschaftszentrum entstehen?
Aus dem Wittekindshof wird ein inklusives Quartier
Der Wittekindshof ist ein großer regionaler Träger von Betreuungsangeboten für Menschen mit und ohne Behinderung. Ausschlaggebend für seine Umbaupläne ist der Wandel in der Sozialen Arbeit. Immer mehr Menschen mit Behinderung werden nicht mehr in großen Pflegeeinrichtungen, sondern ambulant an ihrem Wohnort oder in dessen unmittelbarer Nähe betreut. Während vor zwanzig Jahren noch knapp 1500 Menschen stationär auf dem Gelände in Volmerdingsen lebten, sind es aktuell nur noch rund 550. Deshalb soll das Gebiet auch für Wohnbebauung geöffnet werden. Weil das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung aber auch in Zukunft eine wichtige Rolle beim „Wohnen am Südhang“ spielen soll, wollte die Diakonische Stiftung eine möglichst große Bandbreite an Ideen für die Weiterentwicklung ihrer 1887 gegründeten Keimzelle einholen.
Realitätsnahe Übung in Planung und Zusammenarbeit
„Es gibt keine bessere Übung, als an einem realen Bauvorhaben mit einem echten Bauherrn zu arbeiten.“
Professor Dr. Matthias Kathmann
Damit waren die Studierenden des Masterstudiengangs „Integrales Bauen“ und Professor Dr. Matthias Kathmann im Spiel. Wie in jedem Semester suchte Kathmann auch im vergangenen Jahr nach laufenden Bauprojekten, in denen seine Studierenden ihre Ideen unter realistischen Bedingungen ausarbeiten können. „Es gibt keine bessere Übung, als an einem realen Bauvorhaben mit einem echten Bauherrn zu arbeiten. Die Studierenden müssen in einem festen Zeitrahmen mit den konkreten Wünschen und Bedingungen umgehen und daraus ihre eigenen Lösungen entwickeln“, erklärt Kathmannn das Konzept seines Seminars.
Als erste Annäherung an das Großprojekt bildeten die Semiarteilnehmerinnen und -teilnehmer in der ersten Veranstaltungswoche interdisziplinäre Projektgruppen. Im besten Fall setzten sich diese aus je einer Vertreterin oder einem Vertreter der im Masterstudiengang vertretenen Fachrichtungen Architektur, Bauingenieurwesen und Projektmanagement Bau zusammen. „Mit dem Praxisprojekt werden die heute üblichen, komplexen Planungsabläufe realitätsnah geübt. Die Studierenden lernen, wie eine integrale Planung funktioniert, bei der unterschiedliche Fachrichtungen vom ersten Arbeitstreffen bis zur Präsentation zusammenarbeiten“, beschreibt der Studiengangsleiter das Ziel seines Projektseminars.
Interdisziplinäre Teamarbeit als Einblick in die Berufspraxis
Dass der integrale und praxisorientierte Ansatz auch von den Studierenden als Gewinn empfunden wird, bestätigt Pablo Thiemig. Der 27-jährige entschied sich nach seinem Bachelor in Bauingenieurwesen an der TH OWL ganz bewusst wegen der Aspekte Interdisziplinarität und Praxisorientierung für den Masterstudiengang am Campus Minden: „In den ‚Integralen Projekten‘ planen wir oft zum ersten Mal im Studium in gemischten Teams und bekommen so ein Verständnis für die Abhängigkeiten und Probleme der anderen Fachrichtungen, während in anderen Studienprojekten oft jeder für sich plant.“
Auch seine Kommilitonin Anna Nagel sieht im Seminarkonzept aus interdisziplinärer Teamarbeit und „echter“ Zusammenarbeit mit einem Auftraggeber eine realistische Übung für ihren künftigen Berufsalltag: „Spannend war nicht nur die Kombination aus Planung in Teams unterschiedlicher Profession. Die größere Herausforderung bestand darin, die Vorgaben und das kritische Feedback immer wieder mit unseren Entwürfen in Übereinstimmung zu bringen. Beide Aspekte werden in unserem Arbeitsleben eine wichtige Rolle spielen“, ist sich die 24-jährige angehende Architektin und Bau-Projektmanagerin sicher.
Kreative Umnutzung erschafft einen neuen sozialen Mittelpunkt im Quartier
Die Vorgabe der Diakonischen Stiftung an die Projektgruppen lautete, ihr am namensgebenden Südhang des Wiehengebirges gelegenes Gelände durch Um- und Neubauten zum übrigen Ort Volmerdingsen hin zu öffnen. Nach dem Abriss einiger Altbauten sollen beim „Wohnen am Südhang“ nicht nur Ein- und Mehrfamilienhäuser ihren Platz finden. Durch ein Café und Praxen soll der neue Wittekindshof auch für externe Besucherinnen und Besucher zu einem attraktiven Treffpunkt werden.
Neben der Planung verschiedener Wohnbauten bestand die zu lösende Aufgabe deshalb auch in der Entwicklung eines sozialen Mittelpunkts für das neue Viertel. Fast alle Entwürfe nehmen dafür das ehemalige Küchengebäude der Anstalt in den Blick. Durch seine Lage ungefähr im Zentrum der Fläche scheint das markante Gebäude mit einem 16 Meter hohen Schornstein wie geschaffen, das zukünftige Gemeinschaftszentrum des neuen Wohnquartiers zu werden. Mit der alten Funktion des gemeinsamen Essens konnten die Seminargruppen bei der Umnutzung des Gebäudes außerdem auf eine historische Konstante aufbauen. „Gerade, weil innerhalb des Projekts unterschiedliche Wohnformen für ganz unterschiedliche Menschen entstehen, war es mir wichtig, den Zusammenhalt der Bewohner*innen des Quartiers durch einen zentralen Treffpunkt zu unterstützen“, erklärt Rita Jüngling den Entwurf ihrer Gruppe. Im Konzept der 23-jährigen angehenden Architektin und Bau-Projektmanagerin wird der verklinkerte Flachbau zu einem Dorfgemeinschaftshaus mit variabler Nutzung. In dessen Saal könnten Konzerte oder Flohmärkte stattfinden und den künftigen Bewohnerinnen und Bewohner einen Ort für Zusammenkunft und Interaktion bieten.
Schwierige Hanglage wird zum Ort der Begegnung
Eine Schwierigkeit, für die alle Gruppen eine Lösung zu finden hatten, war die starke Hanglage des Geländes. Die Gruppe um Pablo Thiemig entschied deshalb, ihre Mehrfamilienhäuser treppenartig in den Hang zu schieben und die Dachflächen als begrünte und begehbare Terrassen zu nutzen: „Für unseren Entwurf war der Gedanke eines Mehrgenerationenwohnens leitend. Das wollten wir mit den verschiedenen Formen betreuten Wohnens auf dem Gelände zusammenbringen. Die Dachflächen sollen als Ort der Begegnung zugänglich sein, auf dem sich die tolle Landschaft erleben lässt.“ Für ein Foto steht Thiemig mittlerweile vor dem Hörsaalgebäude und hält lächelnd das Modell seines Teams in den Händen, auf dem sich drei seiner zweigeschossigen Kuben wie überdimensionale Treppenstufen in den Hügel einfügen.
Konkrete Vorgaben und Unterstützung
Nach einem Ortstermin mit Briefing zu Beginn des Semesters hatten die neun Projektteams zwischen September 2022 und Anfang Februar diesen Jahres ca. 20 Wochen Zeit, ihre Ideen für die abschließende Präsentation fertigzustellen. Unterstützung erhielten sie durch ihren Seminarleiter und sein Team wissenschaftlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Begleitet wurde das Seminar durch einen wöchentlichen „Offenen Hörsaal“. Darin standen wechselnde Referentinnen und Referenten aus der Bau-Praxis den Studierenden Rede und Antwort. Zur Halbzeit des Seminars erhielten die Gruppen außerdem ein Feedback von Architekt Jörg Henke, dem Projektleiter der Diakonischen Stiftung.
Überzeugende Ergebnisse als Vergleichsgröße für die weitere Planung
Angesichts der im Lauf des Semesters entstandenen Entwürfe zeigt sich Henke – der selbst Absolvent des Campus Minden ist – von den Konzepten der Arbeitsgruppen beeindruckt: „Die Studierenden mussten ein enorm umfängliches Aufgabenspektrum erfüllen, das ganzheitlich und praxisnah ausgearbeitet wurde. Die einzelnen Wochenaufgaben innerhalb der Teams zu verteilen, nachzuverfolgen und für die abschließende Präsentation zusammenzufügen, ist für die neun Gruppen sicherlich nicht immer einfach gewesen.“
Auch Matthias Kathmann gefällt, wie seine Studierenden die Hürden des Projekts genommen haben: „Ganz allgemein hat mich die Bandbreite der Arbeiten begeistert. Alle Gruppen haben sich überzeugend mit den schwierigen topographischen Gegebenheiten und der Einbindung der unterschiedlichen Typen von Wohnbebauung auseinandergesetzt. Besonders stark sind auch die unterschiedlichen Umnutzungskonzepte für die Küche ausgefallen, bei denen zwischen Kletterwand und Café alles dabei ist.“ In der Schublade von Jörg Henke werden die Entwürfe jedenfalls nicht einfach verschwinden. „Wir sehen uns alle Arbeiten noch einmal intensiver an, insbesondere auch zum Abgleich mit unserem eigenen städtebaulichen Entwurf. Da helfen uns die Entwürfe mit der ganzen Kraft der Zeichnung sehr.“(mkl)