07.03.2022

Die Bachelorarbeit einer FH-Modeabsolventin ist ein ebenso kämpferischer wie augenzwinkernder Kommentar zum „Tag der Frau“ am 8. März

Die vier Frauen des Theaterstücks auf der Damentoilette.
Modeabsolventin Julia Wartemann bietet vier starken Frauen mit ihrem Theaterstück „Auf der Damentoilette“ eine Bühne. © Jana Stein
Théroigne de Méricourt und Dr. James Barry stehen nebeinander und schauen in die Kamera.
Modeabsolventin Julia Wartemann bietet vier starken Frauen mit ihrem Theaterstück „Auf der Damentoilette“ eine Bühne. © Jana Stein
Katherine Johnson steht im Vordergrund, der Fokus liegt auf ihrer Taille, an der Tastatur-Tasten kleben.
Modeabsolventin Julia Wartemann bietet vier starken Frauen mit ihrem Theaterstück „Auf der Damentoilette“ eine Bühne. © Jana Stein
Alle vier Frauen stehen nebeneinander.
Modeabsolventin Julia Wartemann bietet vier starken Frauen mit ihrem Theaterstück „Auf der Damentoilette“ eine Bühne. © Jana Stein
Eine der Toiletten des Bühnenbilds.
Modeabsolventin Julia Wartemann bietet vier starken Frauen mit ihrem Theaterstück „Auf der Damentoilette“ eine Bühne. © Jana Stein
Im fiktiven Theaterstück „Auf der Damentoilette“ begegnen sich vier historische Frauenpersönlichkeiten. Erdacht hat das Szenario FH-Modeabsolventin Julia Wartemann. Neben der Neuinterpretation von Moden der Vergangenheit reizte die junge Designerin die Klischeehaftigkeit weiblicher Begegnungen auf dem „Stillen Örtchen“ aus und thematisierte zugleich den Schutzraum, den die Damentoilette unzweifelhaft darstellt – eine Autorin für das Stück wird noch gesucht...

Bielefeld (fhb). In der westlichen Welt dürfen Frauen wählen, Hosen tragen, Fahrrad fahren oder Bundeskanzlerin werden. Der internationale Frauentag oder auch Weltfrauentag, der jedes Jahr am 8. März gefeiert wird, soll daran erinnern, dass diese Rechte hart erkämpft wurden. Passend zu diesem Anlass stellt die Hochschulkommunikation der Fachhochschule (FH) Bielefeld die Bachelorarbeit von Julia Wartemann vom Fachbereich Gestaltung vor: Die Modeabsolventin bietet vier starken Frauen in einem fiktiven Theaterstück mit Namen „Auf der Damentoilette“ eine Bühne. Wenngleich das Stück also gar nicht existiert, entwarf Wartemann das Bühnenbild und – hier kommt die Mode ins Spiel – ein Kostüm für jede ihrer Charakterfrauen. Die Bühnenoutfits sind eine Hommage an die Persönlichkeit und die Lebensgeschichte der vier Hauptakteurinnen, die sich im wahren Leben niemals begegnet wären, im Szenario der Künstlerin aber nun auf der Damentoilette ins Gespräch kommen.

Wartemanns Motivation: außergewöhnlichen Frauen eine Bühne geben

„Obwohl die Frauen so verschieden waren und in ganz unterschiedlichen Zeiten gelebt haben, hatten alle mit denselben Stigmata zu kämpfen.“

Julia Wartemann, Mode-Absolventin

„Ich wollte Frauen porträtieren, die ihrer Zeit voraus waren und die zugleich ganz unterschiedliche Leben geführt haben“, erklärt die 25-jährige Modedesignerin ihre Motivation. Die vier Frauen des Stückes sind Théroigne de Méricourt, Dr. James Barry, Gertrude Bell und Katherine Johnson. Den meisten dürften die vier unbekannt sein, allenfalls Johnson gelangte durch den Film „Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen“ zu einer gewissen Popularität. Wartemann: „Es gibt so viele Frauen, die Unglaubliches geleistet haben, aber die niemand kennt. Ich hatte irgendwann eine Liste mit über 100 Frauen recherchiert, die alle nicht in unseren Geschichtsbüchern vorkommen. Solchen Frauen wollte ich mit meinem Projekt – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Bühne geben.“

Die französische Amazone: Théroigne de Méricourt

Die erste der vier Frauen des Stücks ist Théroigne de Méricourt. Sie lebte von 1762 bis 1817 und setzte sich während der Französischen Revolution für die Rechte der Frauen ein. Sie besuchte die Verhandlungen der Nationalversammlung und gründete gemeinsam mit anderen Besuchern eine politische Gesellschaft mit dem Namen „Klub der Menschenrechte“. In ihren Reden forderte Méricourt die Gleichheit von Männern und Frauen und das Recht für Frauen, sich zu bewaffnen und in die Armee einzutreten. So entstand auch ihre Bezeichnung als französische Amazone – die weibliche Kriegerin.

Das Bild der Amazone jedoch ist bis heute lebendig und findet sich in Wartemanns Kostüm für Méricourt wieder: „Ich wollte den Bezug zur Französischen Revolution schaffen, indem ich die Rüschen und den Faltenrock in den Farben der Trikolore gestaltet habe. Die Knieschoner und der Brustpanzer sollten die kämpferische Seite Méricourts hervorheben.“ Außerdem arbeitete Wartemann viel mit goldenen Details und Nähten, da Amazonen in der griechischen Mythologie einen goldenen Gürtel trugen, der als Symbol für Selbstständigkeit stand. Für die Silhouette des Kostüms ließ sich die Absolventin von der Mode der damaligen Zeit inspirieren: „Um das Outfit immer noch kriegerisch zu halten und genug Beinfreiheit zu erlauben, habe ich eine Art Schleppe entworfen, die den weit ausgestellten Röcken der damaligen Mode nachempfunden ist. Auf den Stoff der Schleppe habe ich ein Bild der griechischen Göttin Ariadne gedruckt, wie sie die französische Flagge in die Luft reckt – ein Sinnbild der Freiheit. Dadurch wollte ich erneut den Bezug zur griechischen Mythologie und Méricourt als Amazone der Freiheit herstellen.“

Margaret Ann Bulkley als Dr. James Barry

Dr. James Barry aus Wartemanns Theaterstück sitzt auf einer der Toiletten und schaut in die Kamera.
Die Frau im Männergewand: Margaret Ann Bulkley lebte als Dr. James Barry.

Die zweite Frau in Wartemanns Setting ist Dr. James Barry, die 1789 eigentlich als Margaret Ann Bulkley in Irland geboren wurde. Um Medizin studieren zu können, verkleidete Margaret sich als Mann und lebte schließlich unter dem Namen James Barry. Nach ihrem Medizinstudium trat sie der britischen Armee bei, arbeitete als Chirurg und setzte sich für die Verbesserung der Hygiene von Soldaten, Gefangenen und Sklaven ein. Zu ihren Erfolgen zählte unter anderem der erste erfolgreiche Kaiserschnitt in Afrika, den Mutter und Kind überlebten. Erst nach ihrem Tod 1865 entdeckte man ihr Geheimnis.

Die zwei Identitäten Barrys prägen Wartemanns Kostüm: Eine rote Militärjacke unterstreicht Barrys Position in der Armee. Die abgeplatzten Ärmel der Jacke lassen jedoch einen Blick auf das darunterliegende weiße Hemd zu. Wartemann erläutert: „Das weiße Männerhemd ist durch die aufgebauschten Ärmel an die Frauenmode der damaligen Zeit angelehnt und soll die in Barry schlummernde Weiblichkeit symbolisieren. Die abgeplatzten Ärmel sollen sinnbildlich für die Momente stehen, in denen ihr Geheimnis beinahe gelüftet worden wäre.“

Historikerin, Schriftstellerin und Archäologin Gertrude Bell

Die dritte Frau auf der „Damentoilette“ ist Gertrude Bell. Sie erkämpfte sich die Anerkennung von Männern nicht dadurch, dass sie selbst zu einem wurde, sondern durch ihre Arbeit als Historikerin, Schriftstellerin, Archäologin, politische Beraterin und Angehörige des britischen Geheimdienstes im Ersten Weltkrieg. 1868 in besseren britischen Verhältnissen geboren, bereiste sie schon früh die Welt und entdeckte ihre Faszination für die Wüste. Sie zog in den heutigen Irak, an dessen Gründung sie später als politische Verbindungsoffizierin maßgeblich beteiligt war.

Das Problem der damaligen Zeit: Für Bells Expeditionen in die Wüste gab es keine geeignete Frauenkleidung. Um trotzdem möglichst komfortabel reisen zu können, begann sie, Männerkleidung zu tragen. Wartemann behob den Mangel an Funktionskleidung für die Frauen der damaligen Zeit – zumindest in ihrem Theaterstück: „Ich wollte dieser unglaublich klugen und starken Frau endlich die Kleidung geben, die sie auf ihren Reisen in der Wüste gebraucht hätte. Daher habe ich ein sandfarbenes Kostüm entworfen, das mit seinem Poncho an die Kleidung der Beduinen angelehnt ist, die Bell in der Wüste kennengelernt hat. Die vielen Taschen an ihrem Rock erinnern an heutige Trackinghosen, in denen alles Wichtige verstaut werden kann.“

Mathematikern Katherine Johnson bei der NASA

Katherine Johnson aus Wartemanns Theaterstück sitzt auf einer Toilette und schaut in die Kamera. Sie trägt einen blauen Overall mit einem Print in Computer-Platinen-Optik.
„Human Computers“ – der blaue Stoff mit Print in Computer-Platinen-Optik soll Johnsons Position als Frau bei der NASA verdeutlichen.

Die vierte Frau in Wartemanns Stück hatte es doppelt schwer: 1918 als afroamerikanische Frau geboren, hatte Katherine Johnson nicht nur mit den Benachteiligungen von Frauen zu kämpfen, sondern auch mit der Rassentrennung. Trotzdem machte sie sich als Mathematikerin bei der NASA einen Namen und leistete mit ihrer Berechnung der Flugbahnen für den ersten bemannten Flug zum Mond einen bedeutenden Beitrag für die Wissenschaft. Für ihre Arbeit wurde sie Ende 2015 mit der „Presidential Medal of Freedom“ ausgezeichnet.

Auch Johnsons Kostüm ist von ihrem Lebensweg geprägt: Weil Frauen bei der NASA auch als „Human Computers“ bezeichnet wurden, verwendete Wartemann für die Hose einen blauen Stoff mit einem Print, der an die Optik von Computer-Platinen erinnert. Zudem orientierte Wartemann sich bei der Jacke an den Anzügen der Männer und brachte diesen Schnitt zusammen mit der Eleganz der weiblichen Mode. Ein Sinnbild dieser Eleganz der 50er waren die beliebten und hochwerten Bar-Jackets von Dior. Während Dior in den 50er Jahren viel mit Pailletten und Dekor arbeitete, entschied Wartemann sich für eine individuelle Variante: „Statt Pailletten habe ich Tastatur-Tasten verwendet und damit die Taille der Jacke betont.“

Alle Frauen hatten mit denselben Stigmata zu kämpfen

Der Internationale Frauentag

Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Seinen Ursprung hatte der Frauentag 1908 in den USA und sollte auf Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter aufmerksam machen. In Berlin ist der 8. März seit 2019 ein gesetzlich festgelegter Feiertag.

 Eines wird bei der Betrachtung der vier Frauen deutlich: Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Lebenswege setzten sich alle auf ihre Weise für die Gleichberechtigung von Frauen ein und verwirklichten sich selbst. Wartemann resümiert: „Obwohl die Frauen so verschieden waren und in ganz unterschiedlichen Zeiten gelebt haben, hatten alle mit denselben Stigmata zu kämpfen.“ Mit ihren Kostümen wollte Wartemann den Errungenschaften der Frauen Rechnung tragen und auf ihre individuellen Lebenswege Bezug nehmen. Zugleich sollten die Kostüme eine Hommage an die Frauen und ihr Leben darstellen.

Das Bühnenbild – eine skurrile Parallelwelt à la Tim Burton

Die vier Frauen sind von oben in dem von Wartemann gebauten Bühnenbild zu sehen - in der pinken Damentoilette.
Eine skurrile Parallelwelt: Auf der Damentoilette treffen sich vier Frauen, die sich im wahren Leben nie begegnet wären.

Zusätzlich zu den Kostümen der Frauen entwarf Wartemann auch das Bühnenbild selbst: Eine pinke Damentoilette mit einem Boden im Schachbrettmuster à la Tim Burton. Die Idee dahinter: „Ich wollte mit der Toilette eine Art skurrile Parallelwelt schaffen, da sich die Frauen im echten Leben ja nie begegnet wären. Außerdem wollte ich mit dem Klischee von Weiblichkeit und der Farbe Pink spielen. Für viele Frauen und Mädchen ist diese Farbe heutzutage ein No-Go, weil sie so typisch weiblich ist – daher wollte ich die Farbe ganz bewusst dominant einsetzen.“

Damentoiletten: für viele Frauen ein geschützter Raum

Doch neben der Surrealität und dem Spielen mit Klischees hat die Damentoilette für Wartemann noch eine andere Bedeutung: Inspiriert durch die Fotoserie „Ladies rooms around the world“ von Maxi Cohen wurde der Modeabsolventin bewusst, dass Damentoiletten in vielen Ländern der Welt für Frauen einen geschützten Raum darstellen. Diesen „Safe Space“ wollte sie auch für die Protagonistinnen ihres Theaterstücks schaffen und entschied sich daher für das entsprechende Bühnenbild.

Neben Kostümen und Bühnenbild schaffte Wartemann es bisher nicht, das bislang nur fiktive Theaterstück tatsächlich zu schreiben. Lediglich die Ausgangssituation auf der Damentoilette steht fest. „Ich bin leider keine sonderlich talentierte Dramatikerin“, sagt Wartemann und so wird es wohl bei der bloßen Fiktion eines Stückes bleiben – es sei denn, es findet sich noch eine talentierte Autorin, denn mittlerweile arbeitet Wartemann als Assistentin für Bühne und Kostüm am Theater Bielefeld.

Starken Frauen die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdienen

Die vier Frauen in Wartemanns Theaterstück sind nur Beispiele für viele Frauen, deren außergewöhnliches Leben es wert ist, erzählt zu werden. Wartemann betont: „Bisher wurde vielen starken Frauen in der Geschichte viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt – mit meiner Abschlussarbeit wollte ich einen kleinen Beitrag leisten, um das zu ändern.“ (nhe)

 Für weiteres Bildmaterial können Sie sich gerne an presse@fh-bielefeld.de wenden.