Auf dem Weg zu autonomen Landmaschinen: HSBI-Studierender schreibt Masterarbeit bei Claas und forscht als Doktorand weiter im Unternehmen
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Mirco Felske hat an der HSBI den Masterstudiengang „Optimierung und Simulation“ absolviert und zugleich seine Kenntnisse als Werkstudent bei Claas angewendet, dem international erfolgreichen Landtechnikhersteller aus Harsewinkel. Sein Fokus: Das Training und der Einsatz von neuronalen Netzen. Die Verbindung von Theorie und Praxis funktionierte dabei so gut, dass Felske nach seiner Masterarbeit über simulierte Bilder in der Objekterkennung direkt bei Claas als Testingenieur einstieg und nun gemeinsam mit dem Unternehmen seine Doktorarbeit vorantreibt.
Bielefeld (hsbi). Der Raps ist reif. Aus dem strahlenden Gelb des Frühlings ist ein trockenes Braun geworden: Zeit für die Ernte. Mirco Felske steht am Feldrand und beobachtet, wie eine mächtige Maschine anrollt, gesteuert von einem Fahrer, der in seiner Glaskabine fast schon winzig wirkt. „Mit unserem System zur Objekterkennung wollen wir den Fahrer unterstützen und helfen, zum Beispiel versteckte Rehkitze oder andere Objekte vor der Maschine rechtzeitig zu entdecken“, sagt Felske. Langsam sinkt das Schneidewerk zu Boden, dann beginnt der Mähdrescher unter lautem Getöse mit der Arbeit.
Mirco Felske ist Testingenieur bei der Claas E-Systems GmbH, einem Unternehmen des internationalen Landtechnikherstellers Claas aus Harsewinkel.
„Der Master traf genau meine Interessen. Ich wollte die Welt um mich herum simulieren, um Abläufe und Funktionen optimieren zu können.“
Mirco Felske
„Landwirtschaftliche Maschinen sind hochkomplexe und sehr moderne Fahrzeuge, in denen viele Steuergeräte mit verschiedensten Funktionen stecken. Sie müssen programmiert, optimiert und getestet werden“, erklärt der 28-Jährige. Zu Claas hat ihn sein Studium an der Hochschule Bielefeld (HSBI) gebracht. Erst absolvierte er den Bachelorstudiengang Ingenieurinformatik, dann machte er mit dem Masterstudiengang „Optimierung und Simulation“ weiter. „Der Master traf genau meine Interessen“, erzählt Felske. „Ich wollte die Welt um mich herum simulieren, um Abläufe und Funktionen optimieren zu können.“
Prof. Dr. Jonas Ide: Mathematik hilft den Ingenieurwissenschaften – und umgekehrt.
Dafür gibt der Studiengang die entsprechenden Werkzeuge an die Hand. „Wir modellieren reale Problemstellungen als mathematisches Problem, oder anders ausgedrückt: Wir übersetzen sie in mathematische Modelle“, erklärt Prof. Dr. Jonas Ide, Studiengangsleiter und zuständig für das Lehrgebiet Wirtschaftsmathematik am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der HSBI. „Mit Hilfe der Programmierung werden die Modelle dem Computer verständlich gemacht, damit dieser die optimale Lösung berechnen kann.“ Ide legt viel Wert auf eine praxisnahe Ausrichtung des Studiums. Der Master-Studiengang Optimierung und Simulation kann dabei nicht nur an ein Mathe-Studium, z.B. im Bachelor Angewandte Mathematik, sondern explizit auch an ingenieurwissenschaftliche Studiengänge anschließen: „Mathematik benötigt Anwendungsfälle, um einen sinnvollen Einfluss auf die Welt zu haben, und die Anwendungsfälle benötigen Mathematik, um sinnvoll bearbeitet werden zu können. Das ist für beide Seiten ein Gewinn“, so Ide.
Mirco Felske nickt zustimmend. Er fand bei Claas eine ideale Verknüpfung mit der Praxis. Erst als Praktikant, dann als Werkstudent im Bereich selbstfahrender Erntemaschinen eröffneten sich ihm gleich mehrere Anwendungsfelder für die Studieninhalte. In seiner Masterarbeit wollte er Simulation mit Künstlicher Intelligenz (KI) verknüpfen – und rannte damit bei Dr. Timo Korthals offene Türen ein. Der Entwicklungsingenieur forscht bei Claas zu Bilderkennung und Kameratechnik bei autonomen Traktoren, er sieht hier hohes Potential für KI, oder genauer: für maschinelles Lernen: „In der Bilderkennung sind neuronale Netze state of the art. Sie können die Menge und Komplexität von Bilddaten viel besser verarbeiten als einfache Wenn-Dann-Abfragen.“ Dazu müssen sie aber zunächst mit Daten trainiert werden. „So lernen sie, passende Entscheidungen zu treffen und etwa eine Nutzpflanze von einem Hindernis zu unterscheiden“, erläutert Korthals.
Der entscheidende Unterschied in der Wahrnehmung von Gehirn und neuronalem Netz
Mirco Felske vergleicht die Funktionsweise neuronaler Netze mit der des menschlichen Gehirns und beschreibt den Lernprozess: „Wenn wir ein paar Mal gegen eine Wand gelaufen sind, haben wir gelernt, dass wir das nächste Mal vor einer Wand stoppen sollten.“ Prof. Ide nimmt den Faden auf: „Vielleicht laufen wir dann aber trotzdem gegen eine Glasscheibe, was neuronalen Netzen im übertragenden Sinne auch passieren kann.“ Mit anderen Worten: Neuronale Netze brauchen sehr viele und vor allem unterschiedliche Daten für ihr Training. Hier kommt die Simulation ins Spiel: „Oft reichen die vorhandenen Datenmengen nicht aus, sodass auf simulierte Daten zurückgegriffen werden muss“, sagt Ide. Im Fall von Claas heißt das, mit simulierten Bildern von Pflanzen und Ackerland und allem, was sich darauf befinden kann. Mirco Felske nimmt eine Rapspflanze in die Hand und schaut sich die Schoten genauer an. „Entscheidend dabei ist auch, inwieweit die simulierten Bilder realen Bildern entsprechen. Sieht eine simulierte Rapsschote tatsächlich aus wie eine reale?“ Denn je realitätsnäher die Bilder sind, um so bessere Ergebnisse liefern die neuronalen Netze später bei der Erkennung realer Bilddaten. Damit hatte Felske das Thema seiner Masterarbeit gefunden.
Und mit Dr. Jens Vogelpohl einen weiteren wichtigen Ansprechpartner im Unternehmen. Der Maschinenbauer ist Experte im Bereich „Test und Validierung“ und nennt auch gleich ein weiteres Anwendungsgebiet simulierter Bilddaten: „Wir brauchen sie auch zum Testen der Landmaschinen, da reales Bildmaterial von Szenarien außerhalb des normalen Erntebetriebs knapp ist. Diese Lücken werden mit synthetischen Daten gefüllt.“ Vogelpohl grinst verschmitzt. „Davon abgesehen wäre auch der Testzeitraum sehr kurz: Die Ernte ist nur wenige Wochen im Jahr möglich.“
Ziel: Der autonom fahrende Traktor und der Mähdrescher, der versteckte Rehkitze zuverlässig erkennt
In seiner Masterarbeit entwickelte Mirco Felske nun zunächst einen sogenannten Score, der die simulierten Bilder in Bezug auf ihre Realitätsnähe quantifizieren und dabei sensitiv auf Veränderungen in den Bildern reagieren kann. „Neuronale Netze analysieren Bilder anders als das menschliche Gehirn“, erläutert Felske. „Sie suchen nach gemeinsamen Merkmalen in den Daten und gewichten dabei oft anders als wir.“ Prof. Ide nennt ein Beispiel: „Soll ein neuronales Netz Feuerwehrschiffe erkennen, identifiziert es vielleicht auch einen Springbrunnen als ein solches, denn eine Wasserfontäne könnte für das neuronale Netz als bestimmendes Merkmal eines Feuerwehrschiffes gelten.“ In einem weiteren Schritt analysierte Felske deshalb, worin genau die Unterschiede von simulierten und realen Bildern bestehen. Dazu fokussierte er auf Bildausschnitte: „So konnte ich zeigen, dass es bei Pflanzen entscheidend sein kann, wenn die Farbgebung nicht übereinstimmt.“ Das war auch für die Claas-Mitarbeiter eine wichtige Erkenntnis: „Daran sollten wir als nächstes weiterarbeiten“, sagt Jens Vogelpohl.
Mirco Felske ist dann mit dabei. Nach seinem Abschluss war ihm klar: „Mir reicht es noch nicht mit dem wissenschaftlichen Lernen.“ Bei Claas bekam er die Gelegenheit, nicht nur als Testingenieur einzusteigen, sondern zugleich als Doktorand weiterzuforschen. Prof. Ide freut die Verknüpfung besonders: „Unser Master ist nicht nur praxisnah, sondern befähigt mit seinem hohen wissenschaftlichen Anspruch nicht nur formal, sondern auch inhaltlich zur Promotion.“ Nun beschäftigt sich Felske mit der Absicherung von sicherheitskritischen Funktionen, die durch neuronale Netze unterstützt werden. Langfristiges Ziel: ein autonom fahrender Traktor. „Und der soll dann bitte auch vor einem in der Wiese versteckten Rehkitz automatisch stoppen“, sagt Mirco Felske und blickt dem Mähdrescher hinterher. (uh)