22.12.2023

Entwürfe für Panama: Architektur-Studierende der HSBI machen die Kunsthalle Bielefeld zum „offenen Hörsaal“

Modelle der Studierenden
Architektur-Studierende der HSBI verlegten zu Semesterbeginn ihre Seminare zum Freien Gestalten in die Kunsthalle Bielefeld und setzten sich mit der Ausstellung des US-amerikanischen Künstlers Oscar Tuazon auseinander. © K. Starodubskij/HSBI
Modell Draufsicht
Dabei entstanden innovative Entwürfe für temporäre, nachhaltige Begegnungsräume für ein mittelamerikanisches Architektur- und Designfestival auf einem Gelände am Panama-Kanal. © K. Starodubskij/HSBI
Studierende am lachen
Annette Blome (l.) und Joana Schürmann, beide im 5. Semester des Bachelorstudiengangs Architektur, ließen sich gerne von Oscar Tuazons Werken und der Atmosphäre der Kunsthalle inspirieren. © K. Starodubskij/HSBI

Ein architekturhistorisches Gebäude, eine Ausstellung, die Kunst und Architektur verknüpft, Lernende, die daraus neue architektonische Entwürfe entwickeln: Studierende vom Campus Minden der HSBI nutzten die Kunsthalle Bielefeld zu Semesterbeginn als „offenen Hörsaal“ und arbeiteten in und mit der Ausstellung des US-amerikanischen Künstlers Oscar Tuazon. Entstanden sind innovative Entwürfe für einen temporären Begegnungsraum auf einem Gelände am Panama-Kanal.

Bielefeld (hsbi). Die Treppen hinauf fällt der Blick unweigerlich auf eine Aufforderung: „Bitte die Kunstwerke nicht berühren!“ Ein paar Schritte weiter aber steht man schon mittendrin in Oscar Tuazons „Building“, einem maßstabsgetreuen Nachbau eines nordamerikanischen Langhauses. Benedikt Fahrnschon beruhigt: „Das gilt nicht für Tuazons raumgreifende, architektonische Werke, im Gegenteil: Das übliche Museumsverhalten soll aufgelöst werden. Hineingehen, miteinander ins Gespräch kommen und diskutieren, aktiv mitgestalten – das alles ist ausdrücklich erwünscht.“ Und genau deshalb hat der Kurator Studierende der Hochschule Bielefeld (HSBI) und der TH OWL zum Arbeiten in die Kunsthalle Bielefeld eingeladen.      

Begehbare Kunstwerke, Fokus auf Nachhaltigkeit

Bettina Georg
Kurator Benedikt Fahrnschon von der Kunsthalle Bielefeld und HSBI-Professorin Dipl.-Ing. Bettina Georg.

Fahrnschon hat die Ausstellung „Was wir brauchen“ mitorganisiert, eine Werkschau des US-amerikanischen Künstlers Oscar Tuazon. Tuazon hat nicht nur Kunst, sondern auch Architektur studiert und verbindet Elemente beider Bereiche in seinen Werken. Wie etwa in „Building“ oder den „Water Schools“, begehbaren architektonischen Installationen, in denen er klassische Baustoffe wie Holz mit Karton und Tape kombiniert. „Es sind Orte der Begegnung, die dazu einladen, über gesellschaftsrelevante Themen wie Nachhaltigkeit, Energie- und Umweltpolitik, Architektur, Stadtplanung oder Zukunftsgestaltung nachzudenken und zu diskutieren“, erklärt Fahrnschon.

Leises Stimmengewirr ist zu hören. Um die Ecke der „Water Schools“ liegt die Werk-Insel, ein weiter Arbeitsraum mit durchgängiger Fensterfront zur Altstadt. In der Mitte ein großer Arbeitstisch, drum herum dicht an dicht Architektur-Studierende vom Campus Minden der HSBI: Fahrnschon hat die Ausstellung in einen „offenen Hörsaal“ verwandelt. Immer wieder schauen Museumsgäste vorbei. „Seminare in der Ausstellung sind ein zentraler Bestandteil der Kunst Tuazons. Er versteht Skulptur als Grundlage und als Forum, um kreative und gesellschaftliche Aktivitäten anzustoßen und zu fördern“, sagt der Kurator. Genau das richtige für ihre Studierenden im Modul Freies Gestalten, fand Prof. Dipl.-Ing. Bettina Georg, und nahm das Angebot zur Kooperation gerne an. 

Entwürfe für „Transversal“, das Architektur- und Design-Festival in Panama

„Es ist eine tolle Gelegenheit für die Studierenden, in diesen besonderen Räumen und im Rahmen dieser Ausstellung über Raum nachzudenken“, sagt Georg, am Campus Minden zuständig für das Lehrgebiet Entwerfen. Die Bielefelder Kunsthalle wurde 1968 nach Plänen des US-amerikanischen Architekten Philip Johnson erbaut und zählt zur frühen Postmoderne. Ihr offener Grundriss mit ineinanderfließenden Räumen und starken Außenbezügen durch zahlreiche Fensterfronten betont Prinzipien wie Durchlässigkeit, Verbindung und Dialog. Oscar Tuazons Ausstellung tut ein Übriges, greift diese Prinzipien auf und erweitert sie um Themen wie Nachhaltigkeit, Energie- und Umweltpolitik, Stadtplanung und Zukunftsgestaltung. „Die Ausstellung ‚Was wir brauchen‘, Tuazons Ideen zu diesem Thema und seine Arbeitsweise sind für die Studierenden sehr inspirierend“, sagt Bettina Georg. 

Studierende im Raum
Werk-Kritik: Prof. Dipl.-Ing. Bettina Georg (stehend) diskutierte gemeinsam mit Benedikt Fahrnschon (stehend r.) und den Studierenden ihre Entwürfe.

Ihre Aufgabe für die Studierenden im Wintersemester ist der als internationaler Wettbewerb ausgelobte Entwurf einer temporären Installation für „Transversal“, einem Architektur- und Design-Festival in Panama, das im Januar in der Ciudad del Saber, der City of Knowledge oder Stadt des Wissens, stattfindet. Das Areal liegt direkt am Panama-Kanal und beherbergt verschiedenste High-Tech-Unternehmen, akademische und internationale Institutionen, UN-Einrichtungen, staatliche Einrichtungen, NGOs und Kulturschaffende. „Der Fokus der Installation ist ähnlich dem Tuazons. Es soll Raum für Begegnung und Diskussionen geschaffen werden, ein Treffpunkt. Dabei ist Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor, insbesondere im Fall der verwendeten Materialien“, erläutert Georg. 

„Architektur soll etwas schaffen für die Gemeinschaft“

Studierende lachen
Marcel Kipshagen, Akim Berberović und David John Glynn (v.l.n.r.) präsentieren ihren Entwurf.

Bei den Studierenden kommt die Verlegung des Hörsaals in die Kunsthalle offenbar gut an: „Exkursionen sind immer toll, um neue Ideen und Anregungen zu bekommen – vor allem, wenn man selbst aktiv etwas machen kann“, meint Annette Blome. Und Akim Berberović findet es „viel schöner, in einer Gruppe in den großen Räumen des Museums zu arbeiten als allein im kleinen Kämmerlein. Vor allem sind Tuazons Arbeiten sehr inspirierend für unser Thema.“ Das gilt auch für den Titel der Schau. „Was brauchen wir überhaupt – darum geht es doch. Auch bei unserer Installation“, sagt Berberović. Er hat deshalb über das Internet Kontakt zu Leuten vor Ort in Panama gesucht und sie direkt gefragt. „Wenn Architektur etwas schaffen soll, dann ist es für die Gemeinschaft. Gerade im frühen Stadium des Entwurfs ist es mir deshalb wichtig hinauszugehen und zu sehen, was vor Ort ist, was gebraucht wird“, sagt der Student.

Bettina Georg unterstreicht diesen Ansatz: „Es geht weniger um fertige Antworten, die Studierenden sollen vor allem lernen, Fragen zu stellen: Was unterscheidet Architektur von Kunst? Die Bindungen, z. B. an den Ort. Auch sollten der funktionale Kontext, das Klima, die Geschichte, die Belange der Menschen berücksichtigt werden. Wir wollen den Anwohnern nichts überstülpen.“ Die Studierenden setzten sich intensiv mit dem Gelände, seiner Geschichte und den Gegebenheiten vor Ort auseinander, holten sich Anregungen von Tuazons Werken, bauten zumeist im Team und präsentierten schließlich die Modelle ihrer Vorstellungen von Begegnungsorten. 

Gestalterische und technische Lösungen sind gefragt 

Während die einen mit mobilen Modulen aus Stroh arbeiteten, spannten Annette Blome und ihre Kommilitonin Joana Schürmann eine Art Sonnensegel aus Seilen zwischen die Bäume. „Auf dem Gelände gibt es weite Rasenflächen, und es ist sehr warm. Wir schaffen einen schattigen Ort, an dem man sich gut aufhalten kann“, erklärt Schürmann. Damit erfüllten sie einen wichtigen Wunsch der Leute vor Ort, wie Akim Berberović erfahren hat. Für ihn ist Nachhaltigkeit ein weiterer wichtiger Faktor. Berberović setzte deshalb zusammen mit Marcel Kipshagen und David John Glynn auf lokal vorhandene Baustoffe für einen Pavillon auf Stelzen, der an einem runden Tisch Begegnungen ermöglichen soll. „Perspektivisch soll er komplett aus recycelten Materialien gebaut werden“, erläutert Berberović. Zunächst kommen neben Bambus aber vor allem in Panama heimische Hölzer zum Einsatz. Denn für die Umsetzung braucht es einen gewissen Pragmatismus, oder anders gesagt: Die Bauwerke müssen am Ende stehen können. Bettina Georg interessieren deshalb auch die technischen Lösungen: „Aus welchem Material sind die Verbindungen? Sind es Hanfseile? Oder werden recycelte Materialien verwendet? Müll, beispielsweise alte Fischernetze?“

Die Professorin freut sich über die Ergebnisse der Kooperation mit der Kunsthalle. Mitte November schließt Oscar Tuazons Ausstellung, für die Studierenden geht die Auseinandersetzung mit seinen Themen aber weiter: „Ebenso wie der Architekturwettbewerb war das für uns ein wichtiger Impuls für die weitere Beschäftigung mit Fragen der Nachhaltigkeit und Kommunikation.“ (uh)

Weitere Informationen

Über Oscar Tuazon
Oscar Tuazon (* 1975) lebt und arbeitet in Los Angeles, USA. Er studierte an der Cooper Union School of Art und absolvierte das Whitney Independent Study Program in New York. Im Jahre 2011 gestaltete er einen von vier Para-Pavillons an der 54. Biennale von Venedig. 

Auswahl von Einzelausstellungen: 
The Power Station, Dallas (2011); ICA, London (2010); Kunsthalle Bern (2010); Künstlerhaus Stuttgart (2010); Seattle Art Museum (2008); Palais de Tokyo, Paris (2007); Schinkel Pavillon, Berlin (2013); Museum Ludwig, Köln (2014); Skulptur Projekte Münster (2017); Place Vendôme, Paris (2017).

Campus Minden
Bachelorstudiengang Architektur (Vollzeit, Campus Minden)
Kunsthalle Bielefeld
Oscar Tuazon „Was wir brauchen“

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