07.10.2020

Verbindungstechnik Kleben und Nachhaltigkeit – ein Widerspruch?

18. Tag der Materialforschung der Fachhochschule und Universität Bielefeld mit Fachvorträgen aus Forschung und Industrie.

Bielefeld (fhb). „Eine der wichtigsten Errungenschaften der vergangenen Jahre in der Materialforschung auf dem Campus Bielefeld ist die Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld, weshalb die heutige Veranstaltung von Uni und FH gemeinsam gestaltet wird“, begrüßte Prof. Dr. Christian Schröder, Leiter des Bielefelder Instituts für Angewandte Materialforschung (BIfAM) und Vizepräsident der Fachhochschule (FH) Bielefeld für Forschung, Entwicklung, Transfer am 22. September die gut 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 18. Tags der Materialforschung, der erstmals online stattfand. Dr. Sonja Schöning, Professorin für Physik am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik (IuM), ergänzte: „Es freut uns sehr, dass wir zu unserer heutigen Fragestellung, ob Kleben und Nachhaltigkeit einen Widerspruch darstellen, Experten aus Forschung und Industrie gewinnen konnten“.  Sie berichtete gemeinsam mit Prof. Dr. Andreas Hütten von der Universität Bielefeld, mit dem sie das Centrum für interdisziplinäre Materialforschung und Technologieentwicklung, kurz CiMT, leitet, über die Fortschritte des 2019 gegründeten Centrums. „Wir möchten das CiMT, in dem sich die Kompetenzen von Uni, FH, Unternehmen und anderen Einrichtungen bündeln, als Leuchtturm der Materialforschung etablieren“, so Schöning.

Den Einstieg in die Vortragsreihe machte Prof. Dr. Dario Anselmetti, der seit über 20 Jahren an der Fakultät für Physik der Universität Bielefeld tätig ist und dem Fachpublikum seine Ergebnisse zu Anwendungen der Adhäsion vorstellte. „Wir nutzen seit jeher Vorbilder aus der Natur. Ihre Klebebindungen und teilweise sehr dynamischen Mechanismen verwenden wir für künstliche Nachbauten. Bisher sind nur eine Handvoll der in der Natur vorkommenden Systeme identifiziert worden. Das Feld der Bindungen ist größer als man noch vor einigen Jahren angenommen hat“, berichtete Anselmetti.

Im Anschluss gab Prof. Dr. Anant Patel Einblicke in die Forschungsarbeiten der FH Bielefeld.  Der Professor für Verfahrenstechnik forscht schwerpunktmäßig an neuen Materialien, Methoden und Technologien zur Fermentation und Formulierung von biobasierten Wirkstoffen. Patel machte deutlich, dass es einen wachsenden Bedarf für biobasierte Klebstoffe mit neuen Funktionalitäten gibt. Mit Beispielen aus seiner Arbeit legte er den Fokus insbesondere auf die Gewinnung, Derivatisierung und Anwendung von Biopolymeren als Klebstoff. „Wir sollten innerhalb der eigenen Forschungstätigkeiten nicht zu kurz denken. Kooperationen sind in vielfacher Form möglich. Beispielsweise kooperieren wir in einem Projekt mit dem Fachbereich Gestaltung der FH Bielefeld. Es gibt in der Wissenschaft keine Grenzen. Im Gegenteil: Wir sollten Brücken schlagen“, schloss Patel.

Für einen ganz anderen Blick auf die Thematik sorgten die Industrievorträge. Dr. Hartmut Henneken gab in seiner Funktion als Leiter der Forschungsdienste bei der Firma Jowat SE einen Überblick aus Sicht eines Herstellers von Industrieklebstoffen. „Von der Idee bis zum fertigen Produkt“, erschloss sich den Zuhörerinnen und Zuhörern ein authentisches Bild von der Breite des Einsatzgebietes von Klebstoffen. Sven Krumbiegel, Gruppenleiter im Center for Materials bei der Miele & Cie.KG, erläuterte „DIE (DIN 2302) Norm für Klebeprozesse“, und warum sie eine gelungene Norm für die erfolgreiche Implementierung von Anforderungen im betrieblichen Ablauf des Unternehmens sei. Den Abschluss bildete Stephan Schmidt, Leiter des Gummi- und Kunststofflabors bei der Miele & Cie. KG, der ein Verfahren zur optischen Füllstandsdetektion mittels Silicon-Haftgelen erläuterte. „Wir realisieren mehr und mehr wiederverwendbare Materialien“, berichtete Schmidt.

Prof. Schröder startete die anschließende Podiumsdiskussion mit der provokant formulierten Frage an die Hersteller: „Ist Kleben überhaupt eine Zukunftstechnologie?“ dem stimmte Henneken zu: „Der globale Markt wächst stetig an. Sämtliche Multimaterialmixe benötigen Kleber. Flächen benötigen Hafttechnik. Die Lösung für die Zukunft wird ein Wechselspiel mit anderen Fügeverfahren sein.“ Auch die anderen Redner waren sich einig, dass die Klebstoffe der Zukunft nicht nur kleben, sondern auch immer besser abdichten, eine desinfizierende Wirkung aufweisen und leitfähig sein müssen. Es gelte, toleranzausgleichende Fügeverfahren herzustellen. Das Plenum kam zu dem einhelligen Ergebnis, dass „Funktionsintegration“ ein Schlüsselwort für die Zukunft sei. Es sei die große Herausforderung der Zukunft, dem Nachhaltigkeitsgedanken und damit den Anforderungen der EU, den Kundenwünschen und der Wirtschaftlichkeit für das eigene Unternehmen gerecht zu werden. All das gehe nicht ohne stetige Forschungsarbeit, weshalb Kooperationen von Industrie und Hochschulen auch immer bedeutender würden.

Die Verleihung des Nachwuchspreises durch das BIfAM bildet in jedem Jahr einen Höhepunkt des Materialtages. Die Preisträgerin Joanne Wahrenburg wurde für ihre Masterarbeit über Bestimmung von Oberflächentemperaturen mittels Infrarotstrahlung in Kooperation mit der Firma Miele & Cie. KG ausgezeichnet. „Wir gratulieren zu dieser großartigen Leistung und sind stolz, eine so talentierte Nachwuchskraft ausgebildet zu haben“, fasste Sonja Schöning zusammen, die die Masterarbeit betreut hat. „Ich freue mich sehr über die Würdigung meiner Arbeit und bedanke mich bei der Firma Miele und bei der FH Bielefeld für die engagierte Unterstützung“, so die FH-Absolventin Joanne Wahrenburg, die ihr Masterstudium in Elektrotechnik im April 2020 abgeschlossen hat.  

 

Text: Tanja Hage / Sarah Heise