14. November ist Weltdiabetestag: Neue Erkenntnisse über den Teststreifen-Schwarzmarkt
Digital sind die Schwarzmärkte, mithilfe digitaler Methoden könnte auch ihre Beseitigung erfolgen: Der Verkauf von Diabetes-Teststreifen und -Sensoren auf Plattformen im Internet ist Ausdruck von Verschwendung im Gesundheitswesen. Für Diabetiker können die Produkte mitunter gefährlich werden, so Prof. Dr. Heiko Burchert vom Fachbereich Wirtschaft der FH Bielefeld. Seine Untersuchungen zeigen: Ein obligatorisches Diabetes-Selbstmanagement auf digitaler Basis könnte dem Schwarzmarkt die Zufuhr abschneiden.
Bielefeld (fhb). Es ist eine Volkskrankheit: Rund sieben Millionen Menschen in Deutschland leiden an Diabetes mellitus, etwa zehn Prozent von ihnen sind insulinpflichtig. Der internationale Weltdiabetestag am Sonntag, 14. November, macht aufmerksam auf die Krankheit und die Belange der Betroffenen. Aus diesem Anlass hat Prof. Dr. Heiko Burchert vom Fachbereich Wirtschaft der FH Bielefeld seine Untersuchungen über die Diabetes-Testreifen-Schwarzmärkte noch einmal aktualisiert.
Überzählige Teststreifen werden auf Internetplattformen zu Geld gemacht
Für insulinpflichtige Diabetikerinnen und Diabetiker sind Tests im täglichen Leben unverzichtbar. Mit einem kleinen Piks und einem Teststreifen oder Sensor bestimmen sie ihren Blutzuckergehalt und wissen, wieviel Insulin sie sich spritzen müssen. In der Regel mehrmals täglich. Gesetzlich Krankenversicherte bekommen die Hilfsmittel auf pauschale ärztliche Verordnungen hin in der Apotheke: In NRW beispielsweise dürfen 600 Teststreifen pro Quartal verordnet werden, in der Regel in 50-Stück-Packungen. Nicht alle davon werden verbraucht, im Schnitt bleiben 150 Streifen oder drei Packungen übrig. Viele davon finden sich schließlich im Internet auf Verkaufsplattformen wie Ebay wieder, wo sie unter dem in Apotheken üblichen Preisniveau zu Geld gemacht werden.
Dokumentation über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren
„Schwarzmärkte für Diabetiker-Hilfsmittel sind mittlerweile fest etabliert“, sagt Heiko Burchert. Bei solchen Verknüpfungen von Ökonomie und Gesundheit wird er aufmerksam: Sein Lehrgebiet sind die betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen des Gesundheitswesens. Der Ökonom war erstaunt über die Existenz von Schwarzmärkten in Deutschland – für ein Produkt, das bei Bedarf über ärztliche Verordnungen eigentlich frei erhältlich ist.
„Mich interessiert: Wie funktionieren diese Märkte, wer verkauft die Produkte, woher stammen sie, wer sind die Käufer?“ so Burchert. Vor mehr als zehn Jahren begann er deshalb, die Schwarzmärkte zu beobachten und zu analysieren. Seine Ergebnisse hat er bereits in mehreren Publikationen veröffentlicht und bringt sie laufend auf den neuesten Stand.
Rechtlicher Graubereich für 33.600 Verkäufer
Dass die Schwarzmärkte keine Randerscheinungen sind, machen die Dimensionen deutlich: Rund 33.600 als privat gekennzeichnete Verkäufer hat Burchert auf den einschlägigen Plattformen bisher gezählt. Sie nutzen einen rechtlichen Graubereich, da sie mit frei verkäuflicher Ware handeln. „Woher die Ware stammt, interessiert die Verkaufsplattformen nicht“, erklärt Burchert, der nachgefragt hat, aber nie Antworten erhielt.
Mehrere zigtausend Euro Zusatzverdienst für Verkäufer
Anhand ihres Verkaufsverhaltens kann der Professor die Verkäufer in drei große Gruppen einteilen: „Wer nur zwei bis drei 50er-Packungen Teststreifen im Quartal anbietet, ist sehr wahrscheinlich selbst Diabetiker und verkauft, was übrig ist.“ Wer regelmäßig etliche Packungen von unterschiedlichen Herstellern anbietet, hat vermutlich Kontakt zu mehreren Diabetikern gleichzeitig, beispielsweise eine Pflegekraft. Als dritte Gruppe hat Burchert Personen identifiziert, die beruflich Zugang zu den Hilfsmitteln haben, etwa Mitarbeitende in Pharmafirmen oder Großhandelsapotheken: „Es sind Einzelfälle, aber es gibt durchaus Verkäufer, die in einem Jahr mehrere Zigtausend Euro umsetzen.“
Abnehmer in Ländern mit medizinisch schlechter Versorgung
Und die Käufer? „Auch hier gibt es mehrere Gruppen“, erläutert der Wirtschaftswissenschaftler. „Es sind Leute ohne Anspruch auf eine Verordnung. Sie brauchen die Tests entweder für sich selbst, weil sie als nicht-insulinpflichtige Diabetiker ihren Blutzucker kontrollieren möchten oder weil sie als Privatversicherte lieber auf eine Beitragsrückerstattung spekulieren statt Rezeptgebühren einzureichen. Andere geben sie weiter an Angehörige oder Bekannte, die in Ländern leben, in denen die medizinische Versorgung schlecht und die Preise für Teststreifen hoch sind, Russland zum Beispiel. Dort können sich viele Diabetiker die Tests aus Apotheken nicht leisten.“
41 Millionen Euro Schaden für die Krankenkassen
In den vergangenen zwölf Monaten hat Burchert rund 57 Millionen gehandelte Teststreifen und knapp 87.000 Sensoren gezählt, mit denen etwa 26 Millionen Euro Einnahmen realisiert wurden. Dem gegenüber stehen mehr als 41 Millionen Euro, die die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) gar nicht hätten ausgeben müssen. „Ein enormer Schaden“, findet Heiko Burchert. Deshalb weist er die Krankenkassen immer wieder auf den Missstand hin – ohne Erfolg. Bei rund 100 GKV sei der Schaden für die einzelne zu gering, um aktiv zu werden, erhielt er als Rückmeldung.
Mögliche Gesundheitsgefährdung für die Nutzer der Schwarzmarkt-Produkte
Für den Ökonomen ist der Verweis auf die reinen Wirtschaftsdaten kein Argument. Zum einen stelle der Schwarzmarkt auch ein Gesundheitsrisiko dar, wenn dort womöglich minderwertige Produkte gehandelt würden. „Niemand kann ausschließen, dass keine Fakeprodukte beigelegt sind oder solche mit abgelaufenen Verfallsdaten“, so der Professor. „Fatal ist es auch, wenn insulinpflichtige Diabetiker ihre Tests verkaufen statt sie zu nutzen.“ Es sei auch eine Frage der Haltung und des Schutzes der Gemeinschaft der gesetzlich Versicherten, ob man vor dem Schwarzmarkt einfach die Augen verschließt. Burchert: „Die Kassen bezahlen Teststreifen, die ihre Versicherten gar nicht verbrauchen, sondern weiterverkaufen. Letztlich müssten alle Versicherten dies mit ihren Beiträgen finanzieren.“
Digitalisierung von Beschaffung und Verbrauch ist die Lösung
Dabei ließe sich der Schaden für die GKV und gleichzeitig die Existenz der Schwarzmärkte allein durch eine bedarfsgerechte ärztliche Verordnung der Hilfsmittel durchaus vermindern. „Es wären keine Teststreifen mehr übrig, die weiterverkauft werden könnten.“ Der FH-Professor hat zusammen mit Kollegen eine Lösung entwickelt, wie sich der Bedarf einfach und zuverlässig feststellen ließe: durch die Digitalisierung der bisher üblichen handschriftlichen Aufzeichnungen zum Diabetes-Selbstmanagement. „Führen die Patientinnen und Patienten ein elektronisches Tagebuch darüber, wie oft sie ihren Blutzucker messen, kann ihre Ärztin oder ihr Arzt sofort sehen, wie viele Teststreifen tatsächlich benötigt werden und sie entsprechend verordnen.“ Noch exakter könnte der Verbrauch durch das Tagebuch in Verbindung mit dem elektronischen Rezept und der elektronischen Patientenakte bestimmt werden. „Vor allem ließe sich so Missbrauch vermeiden: Patientinnen und Patienten könnten sich Verordnungen nicht mehr von verschiedenen Ärzten gleichzeitig ausstellen lassen. Jeder könnte sofort sehen: Der Bedarf für dieses Quartal ist bereits gedeckt.“
Die Digitalisierung würde außerdem für die Patientinnen und Patienten das Diabetes-Management vereinfachen. Und darum geht es Heiko Burchert nicht zuletzt: „Den Betroffenen das Leben mit Diabetes zu erleichtern.“
Literatur und Links
Burchert, Heiko: Schadensdimensionen eines Schwarzmarktes für Blutzuckerteststreifen. In: Medizinprodukte Journal 2015; 2:134–141
Burchert, Heiko; Julius Engelmann und Maria Kannenberg: Die monetären Aspekte der Blutzuckerselbstkontrolle. In: Diabetes Aktuell 2019, 17: 158-163.
Burchert, Heiko; Horst Mertens und Janko Schildt: Elektronische Tagebücher im Selbstmanagement des Diabetes mellitus. In: Keuper, F.; Hamidian, K.; Verwaayen, E.; Kalinowski, T. und C. Kraijo (Hrsg.): Digitalisierung und Innovation. Planung, Entstehung und Entwicklungsperspektiven. Springer Verlag: Berlin, Heidelberg, New York 2013, S. 325-344.