„Immer mehr Familien mit Kindern sind den Lockdown-Belastungen nicht mehr gewachsen“: Prof. Dr. Helen Knauf fordert Tests und Impfungen, damit Schulen und Kitas sicher öffnen können
Die Familienforscherin von der Fachhochschule Bielefeld rät zu systematischen Tests von Lehrkräften, Betreuer*innen und Schüler*innen, damit Schul- und Kitabesuch sowie Freizeit- und Sportveranstaltungen trotz Corona für Kinder und Jugendliche wieder stattfinden können.
Bielefeld (fhb). Die Kita hat wieder aufgemacht, und die Älteste darf zumindest an einigen Tagen wieder in die Schule gehen. „Nachdem Kitas und Schulen teilweise wieder geöffnet sind, können wir wenigstens ein bisschen aufatmen“, erzählt FH-Studierende Monica Exposito Pozo aus Lippe.
Prof. Helen Knauf vom Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Bielefeld kennt dieses Bedürfnis nach Aufatmen. Seit Beginn der Covid19-Pandemie erforscht sie, welche Auswirkungen die Restriktionen auf Familien mit Kindern hat. Angesichts der aktuellen Diskussionen über Lockerung oder Fortführung des Lockdowns bezieht sie klar Position: „Zahlreiche Familien waren schon vor dem zweiten Lockdown ausgelaugt. Bis ein Impfschutz für große Teile der Bevölkerung besteht, müssen Lehrkräfte, Betreuer*innen und Schüler*innen systematisch getestet werden, um Schul- und Kitabesuch sowie Freizeit- und Sportveranstaltungen für Kinder und Jugendliche auf möglichst sichere Weise zu gewährleisten.“
Überforderte Familien mit wenig Ressourcen
Knauf hat zwei Studien zum Thema veröffentlicht und zusätzlich auch einen Empfehlungskatalog für Lehrer*innen zum Homeschooling veröffentlicht. Ernste Sorge bereiten ihr nach dem vergangenen Lockdown-Winter vor allem schlechter gestellte Familien: „Ob Familien einen Lockdown gut überstehen, hängt ganz besonders von ihren Ressourcen ab: die Sicherheit des Arbeitsplatzes, gute Beziehungen untereinander, gegenseitige Entlastungsmöglichkeiten unter den Eltern, die Fähigkeit, den Kindern bei den Schulaufgaben zu helfen, genügend Platz zuhause, digitale Ausstattung und natürlich ausreichend Geld.“
Familien müssen wieder „auftanken“
Sah die Professorin für Bildung und Sozialisation nach dem ersten Lockdown noch eine gewisse Ausgewogenheit zwischen gestiegenen Belastungen für Familien einerseits und Chancen durch eine stärkere Innigkeit des Zusammenlebens und Entschleunigung des Alltags andererseits, so beurteilt sie die aktuelle Situation kritisch: „Seit über einem Jahr können Familien nicht mehr nachhaltig auftanken. Auch die Lockerungen des vergangenen Sommers konnten das nicht leisten. Dazu war der Alltag nach wie vor zu stark reglementiert: Weiterhin musste in Schulen Masken getragen werden, Freunde konnten sich nur in engen Grenzen treffen, Sport- und Freizeitveranstaltungen waren zu großen Teilen gestrichen.“
Auch positive Aspekte des familiären Zusammenrückens
Zum Hintergrund: Die erste Studie von Prof. Dr. Helen Knauf zu Familien mit Kindern während der Corona-Krise wurde im Mai dieses Jahres von der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlicht. Hier untersuchte die Professorin anhand von Familienblogs im Internet, wie Eltern ihre Situation beschreiben und welchen Belastungen Familien aufgrund der Corona-Beschränkungen ausgesetzt sind. In der zweiten Untersuchung interviewte Knauf zwanzig Elternteile während der Schul- und Kitaschließung im Frühjahr, um herauszufinden, wie Familien mit der neuen Situation umgingen.
Laut der Wissenschaftlerin zeigte sich in beiden Studien deutlich, dass Eltern zwar immer häufiger an der Belastungsgrenze agierten je länger die Krise dauerte. Als positiv stellte sich Knauf zufolge jedoch heraus, dass in einer Vielzahl von Familien das soziale und alltagspraktische Lernen eine größere Rolle spielte, der Zusammenhalt gestärkt wurde und Kinder trotz erschwerter Beschulung Neues lernen konnten.
Wie Knauf setzt auch Monica Exposito Pozo ihre Hoffnung auf ein baldiges Ende der Pandemie durch die fortschreitende Impfung von weiten Teilen der Bevölkerung. Darüber hinaus fordert die Mutter von vier Kindern, dass Schulen und Kitas geöffnet bleiben. Und: „Schnelltests beim Personal würden zusätzlich Sicherheit schaffen.“ (lk)