Fotoausstellung „Zwischen Buxtehude und Bergamo“: Einfühlsame Bilder eines Bielefelders aus den frühen 1930er Jahren
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2017 taucht in Hamburg ein Kasten mit fast 4.000 Negativen auf. Sie zeigen Motive aus dem Leben in den frühen 1930er Jahren. Daraus entstanden sind zwei Fotoausstellungen, die ab dem 20. April in der Galerie Artists Unlimited und ab dem 24. April im Museum Huelsmann zu sehen sind, initiiert vom Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld.
Bielefeld (fhb). Sommerliche Urlaubsleichtigkeit wechselt sich mit stillen Momenten, überraschende Porträtaufnahmen mit Landschaftsfotografien ab. Dabei trifft Großstadtflair auf dörfliche Idylle in einer scheinbar noch unbeschwerten Zeit zwischen Weimarer Republik und Zweitem Weltkrieg: Gelungen sind diese Aufnahmen Friedrich Hülsmann (1904 - 1979), Namensgeber des gleichnamigen Museums Huelsmann in Bielefeld. Sein amateurfotografischer Nachlass wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt und im Zuge eines Forschungsprojekts am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld von Prof. Dr. Anna Zika und Studierenden ausgewertet und kuratiert. Unter dem Titel „Zwischen Buxtehude und Bergamo. Fotografien aus den frühen 1930er Jahren von Friedrich Hülsmann“ werden Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt ab dem 20. April in der Galerie Artists Unlimited sowie ab dem 24. April im Museum Huelsmann zu sehen sein.
Er wird zum Chronisten seines eigenen Lebens
2017 taucht in Hamburg eine Holzkiste mit fast 4.000 Negativen auf. Sie zeigen Motive aus einem deutschen Leben aus den frühen 1930er Jahren. Wer ist der Mann mit der Kamera auf einem der Selbstportraits? Es ist Friedrich Hülsmann, nach dem das gleichnamige Museum Huelsmann im Ravensberger Park in Bielefeld benannt ist. 1904 wird er in Bielefeld geboren und zieht 1925 nach Hamburg, wo er seine Frau Gertrud kennen und lieben lernt. In Hamburg, der Großstadt mit internationalem Hafen und weltweiten Handelsbeziehungen, arbeitet Hülsmann in der Werbeabteilung der Hansa Mühle GmbH, die unter anderem Futtermittel herstellt. Mit Ende 20 entdeckt er die Fotografie und verfällt ihr für ein paar Jahre rauschhaft. Als begeisterter Fotoamateur belichtet er mit seiner Rolleifex Standard hunderte Filmrollen und wird zum Chronisten seines eigenen Lebens.
Hamburger Fotoschatz auf seinem Weg nach Bielefeld
Doch wie kam es zu dem späten Bilderschatz, hinterlassen in einer einfachen Holzkiste? Nach mehreren Jahren als Werbeleiter, schlägt Hülsmann beruflich einen neuen Weg ein: von der Werbung hinein in die Kunst. Gemeinsam mit seiner Frau Gertrud eröffnet er 1938 mitten in Hamburg eine Kunst- und Antiquitätenhandlung. Beide avancieren später zu renommierten Kunsthändlern und -sammlern. „In einem gemeinsamen Testament vermachte das kinderlose Ehepaar sein gesamtes Vermögen der Stadt Bielefeld – verbunden mit der Auflage, die Kunststücke nur auszustellen, nicht aber zu verkaufen“, erzählt Prof. Dr. Anna Zika, Professorin am Fachbereich Gestaltung der FH Bielefeld.
„Zweifellos lässt das Jahr 1938 für die Gründung eines Antiquitätengeschäfts aufhorchen, denn viele Händler:innen bereicherten sich damals, absichtsvoll oder bedenkenlos, an Zwangsverkäufen jüdischen Kunstbesitzes“, so Zika weiter. „Das Bielefelder Museum Huelsman hatte es sich daher 2017 als erste Kultureinrichtung in OWL zur Aufgabe gemacht, die Provenienz der übertragenen Sammelgüter zu erforschen. Die Hamburger Historikerin Brigitte Reuter legte in ihrem dreijährigen Projekt ,Vermächtnis sucht Herkunft‘ eine systematische Überprüfung der Bestände vor.“ (vgl. https://www.museumhuelsmann.de/de/sammlung/provenienzforschung/). 1979 stirbt Friedrich Hülsmann, 1983 folgt ihm seine Frau, und eine frühere Mitarbeiterin und enge Vertraute Hülsmanns, Grete Mainx, erhält jene Holzkiste mit 4.000 Negativen. Rund 30 Jahre später entscheidet sie, die Kunst der Kunst zurückzugeben und schenkt den Bilderschatz dem Museum Huelsmann.
Jenes wiederum bietet den Bildnachlass Prof. Dr. Anna Zika an. Sie entdeckt schnell das außerordentlich hohe fotografische Niveau des Amateurfotografen und beginnt dieses zu erforschen. Die Hochschullehrerin sagt: „Hülsmann hat Menschen und Dinge genau unter der Lupe genommen, genau und authentisch angesehen. Seine Bilder weisen zudem keine typischen Fehler, die Anfänger für gewöhnlich beim Fotografieren machen, auf. Sie sind wie eine Schule des Sehens.“
„Zwischen Buxtehude und Bergamo“ – FH-Studierende gestalten Ausstellungen
Das Forschungsprojekt inklusive Vorbereitung der Ausstellung startete bereits im Wintersemester 2019/2020. Pandemiebedingt musste es aber immer wieder verschoben werden. „Die rund 4.000 Negative wurden zunächst gescannt und von dem Lehrbeauftragten Marcus Wildelau aufwändig nachbereitet sowie digital restauriert, bevor sie in den Werkstätten des Fachbereichs Gestaltung von Studierenden ausgedruckt und schließlich in der Holzwerkstatt gerahmt wurden“, beschreibt Prof. Zika den Entstehungsprozess. Die Hochschullehrerin hat hierzu insgesamt zwei Seminare am Fachbereich Gestaltung angeboten. Eines beschäftigte sich mit Möglichkeiten der Darstellung des Projektes auf Instagram, ein weiteres war das eigentliche Projektseminar, in dem 13 Studierende, aufgeteilt in verschiedene Teams, die beiden Fotoausstellungen praktisch vorbereiteten: Einige Studierende entwickelten Hängekonzeptionen für die beiden Ausstellungsorte, andere gestalteten Publikationen, Plakate und Flyer und wiederum andere übernahmen den Aufbau einer eigenen Website mit informativen Texten zu etwa 200 Bildern. Auch ein Teaser- sowie einen Kurzfilm, die die Ausstellungen begleiten, gingen aus dem Seminar hervor.
Kabinettausstellung eines talentierten Sammlers von Momenten
„Die Studierenden haben sehr begeistert und positiv auf die Bilder reagiert. Vermutlich auch deshalb, weil Hülsmann nicht viel älter war, als er mit dem Fotografieren begann. Hinzukommen mag, dass er ähnliche Grundbedürfnisse wie die der jetzigen Studierenden abbildet: geliebte Menschen, schöne Dinge, Reisen“, so Zika über starke Parallelen von Huelsmanns Bildmotiven und jenen in den heutigen sozialen Medien. „Heute würde man das vermutlich ähnlich fotografieren.“
Herausgekommen ist eine wunderschöne Kabinettausstellung mit sehenswerten „Ausstellungsstücken“, rund 40 an der Zahl, die in eigenständigen passgenauen Holzrahmen eingebunden sind. „Besucherinnen und Besucher dürfen sich auf schöne Landschaftsfotografien, bezaubernde Porträts sowie bestechende Momentaufnahmen am Puls der Zeit freuen und lernen Friedrich Hülsmann als einen liebenswerten, weltoffenen Menschen und Reiseberichterstatter kennen“, so Zika über die Ausstellung im Museum Huelsmann. Ein leicht anderes Eintauchen in die Werke Hülsmanns erwartet Interessierte in der Galerie Artists Unlimited, denn hier haben die Studierenden die Ausstellung in Eigenregie entworfen.
Langwährende Kooperation zwischen FH Bielefeld und Museum Huelsmann
Ebenfalls freut sich Dr. Elisabeth Schwarm, Leiterin des Museum Huelsmann, über die kommende Ausstellung. „Zwischen der FH Bielefeld und dem Museum Huelsmann besteht eine langwährende Kooperation, die in diesem Jahr wieder einmal in eine Ausstellung mündet. Ich bin mir sicher, dass die Aufnahmen Huelsmanns viele Liebhaber finden werden. Die Ausstellungsräumlichkeiten betonen den sehr persönlichen und privaten Charakter der Fotos“, so Schwarm.
Die Ausstellung wurde neben dem Museum Huelsmann und der Galerie Artists Unlimited auch durch großzügige Zuwendungen der Andreas-Mohn-Stifung sowie der Firma Salzerfilm in Bielefeld unterstützt. Zu sehen sind die Fotoausstellungen vom 20. April bis zum 30. April 2022 in der Galerie Artists Unlimited, mit einer Ausstellungseröffnung am 20. April 2022 um 19:00 Uhr, sowie vom 24. April bis zum 31. Dezember 2022 im Museum Huelsmann. Hier findet die Eröffnung am 24. April 2022 um 11:30 Uhr statt. (zik/nsc)