Erfolgreiche Karrieren: Anne Janssen-Bokämper und Bianca Schuster
Seit fünf Jahrzehnten wirken in Bielefeld ausgebildete Ingenieurinnen und Ingenieure als Motor der Wirtschaft in Stadt und Land und arbeiten in der ganzen Welt. In einer Serie stellen wir beispielhafte Wege von Absolventinnen und Absolventen vor.
Seit fünf Jahrzehnten wirken in Bielefeld ausgebildete Ingenieurinnen und Ingenieure als Motor der Wirtschaft in Stadt und Land und arbeiten in der ganzen Welt. Aus der einstigen Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen ist inzwischen der Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik an der Fachhochschule Bielefeld gewachsen, die Ingenieurausbildung wurde um Forschung und Transfer erweitert. In einer Serie stellen wir beispielhafte Wege von Absolventinnen und Absolventen vor.
Was nicht passt, wird passend gemacht: Diplom-Ingenieurin Anne Janssen-Bokämper / Referat Elektrotechnik, Landesbauabteilung, Oberfinanzdirektion Hannover
Anne Janssen-Bokämper wächst Anfang der 1960er Jahre in einem kleinen Dorf in Ostfriesland, genauer gesagt auf dem Bauernhof ihrer Eltern, auf. Ein Hof ist Familiensache; da packen alle mit an - auch die kleine Anne. Körperliche Arbeit hat ihr dabei nie etwas ausgemacht, und sie weiß schon früh: »Ich will nicht in diese klassischen Mädchenberufe«. Mit zehn Jahren fängt sie an die Bügeleisen ihrer Mutter und was sonst so greifbar ist auseinander zunehmen. Mit der Zeit zerlegt sie so zig Geräte - leider ohne sie wieder zusammenzukriegen. »Ich fand es witzig, dass wenn ich irgendeinen Schraubenzieher in der Hand hatte, ich damit irgendetwas aufschrauben, daran herumschrauben und es mit angucken konnte«, erinnert sich die heutige Diplom-Ingenieurin. Neben Tischlerarbeiten hat es ihr die Elektronik besonders angetan. »Ich hatte einfach keine Scheu drauf los zu basteln«, sagt sie, was sicher auch am Leben auf dem Bauernhof lag. Die klassische Rollenverteilung der 1960er und -70er Jahre - Vater geht arbeiten, Mutter macht den Haushalt - gilt im Hause Janssen nicht. Während der Vater ausschließlich den Hof bewirtschaftet, schmeißt Mutter Janssen den Haushalt, hilft auf dem Hof mit und zusätzlich macht sie alle anstehenden Reparaturen selbst. »Ich denke, von ihr habe ich mir das abgeguckt: Einfach machen! Irgendwas ist kaputt: sich einfach rantrauen. Nicht erst groß irgendwen fragen. Wir hatten eben auch gar keinen, den wir fragen konnten.«
Typisch Mädchen? Nein, danke! Anne fährt natürlich Traktor auf dem Hof und außerhalb Moped. Mit einer Zündapp 50 ccm, selbstverständlich eigenhändig frisiert, düst sie statt mit 40 mit bis zu 80 Stundenkilometern zur Realschule nach Aurich. Dort wählt sie den Leistungskurs Physik und schafft es als Mädchen sogar in den Werken-Kurs, der eigentlich Jungen vorbehalten ist, während Mädchen zum Handarbeiten und Kochen gehen. Nach dem Schulabschluss 1979 überlegt sie sich, was sie nicht machen will: Frisörin, pflegerische und erzieherische Berufe… Typische Mädchenklischees lassen sie kalt. Schließlich geht sie zur Rolf Janssen GmbH, der Firma ihres Onkels in Aurich, und beginnt eine dreieinhalbjährige Berufsausbildung zur Elektromechanikerin und Elektronikerin. Aber nun lebenslang in der Werkstatt stehen? Nein, das kann sie sich nicht vorstellen. Deshalb geht sie nach der Ausbildung an die Berufsbildenden Schulen Haxtum und macht ihre Fachhochschulreife. »Erst war ich mir nicht sicher, ob ich studieren will, aber dann habe ich den Schritt gewagt, mich abgenabelt und bin an die Fachhochschule Bielefeld gegangen.«
Und dann kam die Liebe Im Jahr 1984, mit 22 Jahren, verlässt Anne Janssen das kleine ostfriesische Dorf und zieht in die Großstadt Bielefeld. Für 140 Mark bezieht sie ein kleines, möbliertes Zimmerchen im Studentenwohnheim am Johannesstift in Schildesche. »Ich kannte in Bielefeld niemanden, aber das war nicht weiter schlimm. Ich war immer schon ein Einzelgänger und gehe eigentlich immer allein in neue Situationen.« Auch an die Situation, die einzige Frau zu sein, hatte sich die junge Studentin bereits in der Realschule und der Ausbildung gewöhnt und gelernt sich zu behaupten. An der FH Bielefeld ist sie unter den rund 100 Studierenden des Studiengangs Energietechnik ebenfalls die einzige Frau. Schrecklich findet sie die ersten Tage an der Hochschule deswegen aber nicht, sondern, weil ihre ganzen männlichen Kommilitonen Elektronik richtig als Hobby zu betreiben schienen. Während ihre Kollegen im Basteln und Konstruieren richtig aufgingen, betrachtet Anne Janssen Elektronik als ihren Beruf. Basteln tut sie nur, wenn etwas repariert werden muss. Damals denkt sie: »Irgendwie bist du hier falsch. Gibt es hier denn keine normalen Studenten, die einfach gesagt haben, ich werde Elektroingenieur, weil ich damit gute Berufsaussichten habe?!« Die anfängliche Unsicherheit verschwindet aber bald und sie freundet sich mit ihren Kommilitonen an. Nach einem Semester hat sich für sie und die männlichen Studierenden alles normalisiert. Ein paar Semester später, im Jahr 1987 lernt sie im Studium den Diplomanden Claus Bokämper kennen. »Ich denke, das ist so eine Liebesgeschichte, wie sie meistens verläuft: Man sieht sich, man redet miteinander und entdeckt plötzlich, dass man zueinander passt.« Bokämper wechselte für seine Diplomarbeit von Hannover an die FH Bielefeld. Über einen gemeinsamen Freund lernen sich die beiden kennen und merken schnell, dass sie vieles gemeinsam haben. Beide kommen gebürtig von einem Bauernhof und beide fahren leidenschaftlich gerne Motorrad. »Das war so ein ausschlaggebender Punkt, dass wir gesagt haben, jetzt können wir uns noch ein bisschen länger unterhalten.« 1989 heirateten sie und feierten dieses Jahr ihren 20. Hochzeitstag. In der Regelstudienzeit von acht Semestern macht Anne Janssen 1988 ihr Diplom zur Ingenieurin. Gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Jörg Schneider arbeitet sie an ihrer Diplomarbeit der Konstruktion eines Leuchtdichtenormals für die Firma PRC Krochmann in West-Berlin. »Wir sind damals auch öfter nach Berlin gefahren. Das war eine spannende Zeit. Damals, 1988, wussten wir ja noch nicht, dass ein, zwei Jahre später die Grenzen offen sein würden.«
»Meine Tochter ist Elektroingenieurin« Während der ganzen Studienzeit und auch schon während der Berufsausbildung wird Anne Janssen durch ihre Mutter unterstützt. Während ihr Vater sich wenig in die Kindererziehung einmischt, sorgt ihre Mutter für finanzielle Hilfe und ermöglicht ihrer Tochter alles, wozu sie selbst, als Frau der Kriegsgeneration, nie eine Chance hatte. »Sie wollte mir alles geben und hat mich immer gefördert. Mein Vater hatte aber auch nicht wirklich was gegen meine Entscheidung für einen klassischen Männerberuf. Er hat später sogar ganz gerne mit mir angegeben: ›Meine Tochter ist Elektroingenieurin‹.«
Nach dem Studium fängt Anne Janssen bei ABB in Bremen als Jungingenieurin an. Sie kann in diesem großen Unternehmen mit Bauleitung anfangen - das, was sie auch gerne wollte. »Ich bin eigentlich nie so der Entwickler und Konstrukteur gewesen. Ich wollte schon immer einfach bauen.« Das Unternehmen bietet ihr ein breites Spektrum. Sie hat viel im Hafen zu tun, baut Lager- und Industriehallen und große Warenhäuser. Hier baut sie die gesamte elektrotechnischen Installationen, der Energieversorgung, der Beleuchtung, der IT-Vernetzung oder auch der Gebäudeautomation. Angefangen beim Angebot erstellen, über Kostenkalkulation, Logistik, Personal, Bauleitung vor Ort bis zur Endabnahme und Endabrechung wickelt Anne Janssen ihre Projekte ab.Vom kleinen Forstamt bis zur Bundeswehrkaserne Nach vier Jahren wechselt die mittlerweile verheiratete Anne Janssen-Bokämper die Seite des Schreibtisches und geht in den öffentlichen Dienst. Ihre erste Stelle bekommt sie im Staatshochbauamt Hameln. »Dort habe ich eigentlich das gleiche gemacht, was ich vorher gemacht habe, nur, dass ich da noch die Planung für die Elektroinstallationen aufgestellt habe.« Später werden die Staatshochbauämter teilweise zusammengelegt und umbenannt in Staatliches Baumanagement. So kommt Janssen-Bokämper 1996 nach Bückeburg. Dem Finanzministerium Niedersachsen unterstehend, betreut sie dort alle Gebäude, die zum Land Niedersachsen gehören und auch die, die zum Bund gehören und innerhalb Niedersachsens liegen. »Dort habe ich es mit Liegenschaften vom kleinen Forstamt, idyllisch gelegen, bis hin zu großen Bundeswehranlagen zu tun.« Sie hat es mit Kasernenkommandeuren, Förstern, Polizisten, Finanzämtern und allem, was vom Land oder Bund neu- oder umgebaut werden sollte, zu tun. »Den letzten großen Umbau, den wir in Niedersachsen hatten, war die JVA, die Jugendvollzugsanstalt in der Nähe von Hannover. Das war ein riesiges Projekt, bei dem man alle Fassetten im öffentlichen Bereich des Bauens kennenlernt.«
»Mein oberster Boss ist der niedersächsische Finanzminister« Im Herbst 2008 wird Anne Janssen-Bokämper in die Oberfinanzdirektion in Hannover abgeordnet und anschließend auch dorthin versetzt. In der Landesbauabteilung bildet sie nun die Mittelinstanz zwischen den Bauämtern, bei denen sie früher gearbeitet hat, und dem Nutzer. »Ich bin in einem Bereich, der sich mit Bundeswehr und britischem Militär beschäftigt. Meine Nutzer sind also Bundeswehr, Bundesverteidigungsministerium und britisches Militär.«
Steht eine Baumaßnahme an, bekommt das Staatliche Baumanagement einen Auftrag von der Oberfinanzdirektion. Die notwendigen Informationen dazu liefert das Bundesverteidigungsministerium. Anne Janssen-Bokämper prüft dann in ihrem Büro in der Oberfinanzdirektion die Bauunterlagen. Je nach dem, ob die Unterlagen die Prüfung bestehen, gibt sie dem Verteidigungsministerium das O.K. zum Bauen oder korrigiert die Pläne. »Ich bin praktisch in diese prüfende Instanz gegangen. Ich kann überall meinen weisen Senf dazu geben, muss aber nicht selber vor Ort die Projekte abwickeln.« Bei kniffligen Aufträgen schaut sich die Ingenieurin die Lage aber doch vor Ort an.
Den Bezug zur Technik verliert sie nicht. »Wenn ich eine Bauunterlage prüfe, muss ich ja genau wissen, was ich da prüfe.« Die jahrelange Tätigkeit als Bauleitung kommt ihr dabei natürlich zu Gute. So muss sie aufwendige Technik, die bei der Bundeswehr eingesetzt wird, beurteilen und für richtig oder falsch befinden. Neben den Prüfungen bietet sie den Kollegen aus den Bauämtern Seminare an oder organisiert Produktschulungen durch Unternehmen. Auch über neueste VDE-Vorschriften informiert sie ihre Kollegen und bleibt so ständig selber am Ball.
Allein unter Männern Anne Janssen-Bokämper ist die erste und bis heute einzige Frau im Elektrotechnikreferat der Oberfinanzdirektion Hannover. Landesweit gibt im Staatlichen Baumanagement unter den insgesamt rund 40 Elektroingenieuren noch eine weitere Frau. »Ich habe es so gut wie immer mit Männern zu tun. Nicht nur im Amt, auch die Elektriker-Teams vor Ort sind Männer, die Nutzer sind Männer, die Auftragnehmer sind Männer, aber einmal hatte ich es mit einer Tiefbauingenieurin zu tun und die Zusammenarbeit war wunderbar.« Endlich mal eine Frau, mit der Janssen-Bokämper über Technik reden konnte. Das ihr sonst nur mit den Frauen vom VDE- oder VDI-Stammtisch möglich. Für Frauen in Ingenieurberufen hat sich Janssen-Bokämper bereits stark gemacht, als es Aktionen wie Girls' Day oder Girls@MINT noch gar nicht gab. »Wir haben damals beim VDE-Elektrotechnikerinnenkreis in Hannover viel auf die Beine gestellt und 1994 den ersten Mädchen-Technik-Tag in Hannover organisiert.« Janssen-Bokämper ist zusätzlich in den VDI - Verein Deutscher Ingenieure eingetreten und nimmt dort an den Veranstaltungen »Frauen im Ingenieurberuf« (FiB) teil. »Dort trifft man nicht nur Elektrotechnik-Ingenieurinnen, sondern ebenso Architektinnen, Maschinenbau-Ingenieurinnen und so weiter. Das ist interessant und ein guter Austausch.«
Strippen ziehen und Gemüse anbauen Trotz der Arbeit im öffentlichen Dienst hat sich Anne Janssen-Bokämper das Basteln zuhause erhalten. »Die normalen elektrotechnischen Sachen mache ich immer noch.« Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie sich ein großes, altes Haus bei Minden gekauft, wo sie selbst die Lichtinstallation samt Lichtsteuerung gebaut hat. »Wenn man so einsam wohnt, wie wir, ist es ganz schön, wenn man draußen viel Licht hat.« Bei Dämmerung setzt automatisch das Licht am Haus ein und eine Alarmanlage, die Janssen-Bokämper installiert hat, reagiert auf Bewegung. Allerdings mit Nebenwirkungen: »Nachts sitze ich manchmal senkrecht im Bett, vor allem, wenn ich alleine zuhause bin und mich frage, wer da jetzt den Alarm ausgelöst hat.«
Entspannen tut sich Anne Janssen-Bokämper nach wie vor beim Motorrad fahren. Während des Studiums hat sie aus Kostengründen das Fahren zwischenzeitlich an den Nagel gehangen. Heute besitzt sie eine 850er BMW und kann beim Fahren so richtig abschalten. Um das schnelle Fahren geht es ihr nicht. Sie fährt lieber gemütlich mit Ehemann und Freunden durch die Landschaft. Eine geführte Tour durch Südafrika hat sie auch schon mit dem Motorrad gemacht. »Wir fahren eigentlich nur selten in den Urlaub, aber wenn, dann ist das wirklich ein besonderer Urlaub.« Entspannen kann sie nämlich auch gut zuhause. Als sie vom heimischen Bauernhof wegzog hatte sie eigentlich die Nase voll vom Gemüseanbau, aber mit dem Abstand so vieler Jahre gefällt ihr das Gärtnern richtig gut. Dabei geht es auch weniger um das Ergebnis, als um die Gärtnerei an sich. »Ich versuche jedes Jahr, mein Gemüsebeet dazu zu überreden, dass es mir auch Gemüse liefert. Jedes Jahr tue ich tapfer wieder Samen ins Beet und Pferdemist darauf, aber es will nicht recht klappen.« …und das als Kind vom Bauernhof.Mit Mut, Offenheit und frischen Bädern zum
Erfolg:Diplom-Ingenieurin Bianca Schuster / Projekt-Ingenieurin, August Storck KG, Halle (Westfalen)
Bianca Schuster ist in Fahrt, voll bei der Sache und redet mit viel Überzeugungskraft. "Einfach etwas mutiger sein! Sich etwas zutrauen!", insistiert sie. Es geht gerade um das Thema "Frauen in Ingenieurberufen", und daher spricht sie hier zunächst einmal die Mädchen an, die Entscheidungen für ihren Berufsweg treffen müssen. "Aber das gilt ja auch für die Jungen ... und besonders eigentlich für alle Jugendlichen, die nur einen Hauptschulabschluss haben." Sie betont das "Nur", denn sie meint es nicht einschränkend. Auch ihnen stehe die Welt offen. In jeder Richtung, erklärt die 37-Jährige. Sie hat leicht reden, denn sie hat es geschafft - mit einem Hauptschulabschluss und trotz des vermeintlichen Handicaps, eine Frau zu sein. Die geborene Gütersloherin arbeitet heute als Projekt-Ingenieurin bei dem Süßigkeiten-Hersteller Storck im westfälischen Halle. Ihr Weg dorthin ist wesentlich geprägt von ihrem Ingenieurstudium an der Fachhochschule Bielefeld. Grundschule in Avenwedde, Hauptschule in Friedrichsdorf, keine Ehrenrunde, aber auch kein überragendes Zeugnis, die Eltern weder reich noch Akademiker - "Ich hatte ein ganz normales zu Hause, und auch aus der Schulzeit gibt es nichts Besonderes zu berichten", erzählt Schuster. Ihr Hobby waren die Pferde - ebenfalls nichts Außergewöhnliches bei einem Mädchen, ebenso wie der Berufswunsch. Sie wollte Bauzeichnerin werden. Doch von einem Architekten erhielt sie damals den Tipp: "Vielleicht besser derzeit nicht die Baubranche, geh lieber in die Industrie!" So bewarb sie sich bei Miele in Gütersloh um einen Ausbildungsplatz zur Technischen Zeichnerin und bekam ihn auch. "Ich bin da mehr oder weniger hineingestolpert", sagt sie.
Ausprobieren kann man es ja mal Die 17-Jährige war eine von acht Frauen unter den insgesamt rund 60 Azubis ihres Jahrganges. "In der Miele-Lehrwerkstatt wurde kein Unterschied zwischen Mädchen und Jungen gemacht, die Ausbildung war klasse und wir wurden immer prima motiviert." So reifte auch schnell der Entschluss, die Lehrzeit auf drei Jahre zu verkürzen. Alles klappte prima, Technik machte Spaß, und voller Selbstvertrauen zog sie dann im zweiten Ausbildungsjahr gemeinsam mit zwei Kolleginnen aus ihrem Lehrjahr los, um sich bei der Technikerschule Bielefeld zu bewerben. Ausprobieren konnten sie es ja mal. Mit dem Abschluss ihrer Ausbildung hätten es die erforderlichen zwei Jahre Berufserfahrung um dort die Technikerprüfung ablegen zu dürfen, rechnete sich das Trio aus. Es hatte viel vor, wurde dann aber erst einmal freundlich und mit einer anständigen Prise Humor ausgebremst.
Ob man nicht vielleicht doch erst einmal den bereits Ausgelernten den Vortritt lassen wolle, kam es schriftlich aus Bielefeld zurück. Sie dürften es gerne im Jahr darauf erneut probieren, hieß es weiter in dem Brief, und die Schule würde schon einmal die Adressen der Bewerberinnen ins Verzeichnis aufnehmen. Bianca Schuster disponierte um. Warum nicht auch ein Studium? Dann müsste sie nach der Ausbildung erst einmal für ein Jahr zur Fachoberschule. Wieder sagte sie sich: "Man kann es ja wenigstens mal ausprobieren." Schon während der Berufsausbildung nahm sie Nebenjobs an, um das Vorhaben finanzieren zu können. 1991 meldete sie sich dann an der Fachoberschule für Technik in Gütersloh an, Fachrichtung Metalltechnik. Mit einem Gesellenbrief in der Tasche, einem BAföG-Bescheid über knapp 100 Mark, einem kleinen Sparkonto und großer Motivation ging sie das Projekt an. Sie schloss es mit Erfolg ab, als Klassenbeste, und wagte sich an den nächsten Schritt. 1992 schrieb sie sich an der FH Bielefeld für ein Maschinenbau-Studium ein.
Bloß Keine Angst vor Mathe! "Das muss doch zu schaffen sein", meinte die angehende Studentin. Doch es plagte sie ein Problem: Wahre Horrorgeschichten hatte sie über die Anforderungen im Fach Mathematik gehört. Schon in den ersten Semestern merkte sie dann: "Da wurden doch nur Ängste geschürt. Meine Sorgen waren absolut unberechtigt." Mit einer glatten Eins bestand sie die allseits gefürchtete Klausur Höhere Mathematik im dritten Semester, und auch sonst verlief das Studium ohne Probleme.
Ihre Diplomarbeit schrieb Schuster dann im Rahmen eines Kooperationsprojektes der FH mit dem Bielefelder Unternehmen FLEXLIFT Hubgeräte. Im Bereich der Projekt- und Konstruktionsabwicklung sollte für das Karstadt-Warenverteilzentrum in Unna eine Versuchsanlage gebaut werden, und das in nur sechs Wochen. "Das war meine erste, große, berufliche Herausforderung", erinnert sie sich, und dass es eine harte Zeit mit etlichen Nachtschichten und viel Fahrerei gewesen sei. Zusammen mit einem Kommilitonen, der ebenfalls in diesem Projekt arbeitete, konnte sie die schwere Aufgabe bewältigen. "Bei der Neugestaltung und Realisierung der Anlage konnte ich Arbeiten übernehmen und Ideen einbringen, die über den Rahmen einer Diplomarbeit weit hinausgingen." 1996 hatte sie nicht nur ihren Abschluss in der Tasche, sondern auch drei Stellenangebote.
"Da habe ich erstmals gespürt, wie wichtig Netzwerkarbeit und Kontakte sind", sagt Schuster. Ihr Professor Dr. Ralf Hörstmeier pflegte zahlreiche Kontakte in die Industrie. "Davon haben wir als Studenten profitiert, während des Studiums zum Beispiel in Projekten und am Ende auch bei der Stellensuche." Im Mai 1996 nahm die Jung-Ingenieurin eine Stelle bei dem Sondermaschinenbauer Wemhöner Anlagen in Herford an. Zunächst wurde sie als Maschinenbau-Ingenieurin in der Anlagen-Projektierung eingesetzt, wechselte nach einem halben Jahr in die Konstruktionsabteilung und übernahm dort zusätzlich Aufgaben auf dem Gebiet der Angebotseinholung und Neuentwicklung. Dabei setzte sie sich zunehmend mit betriebswirtschaftlichen Fragen auseinander, wollte tiefer in die Materie einsteigen und schrieb sich erneut an der FH Bielefeld ein.
Und keine Scheu vor neuen Aufgaben Von 1997 bis 1999, parallel zu ihrem Berufseinstieg, absolvierte Schuster ein Aufbaustudium zum Wirtschaftsingenieur und erwarb auch die Diplomzulassung. "Aber für die Abschlussarbeit selbst fehlte mir einfach die Zeit", berichtet sie. "Und was ich wissen wollte, wusste ich ja nun. Ein Titel war mir da nicht so wichtig. Außerdem gab es andere, spannende Herausforderungen." So sei ihr in der Zeit die erste englischsprachige Projektleitung übertragen worden. "Das war ein Sprung ins kalte Wasser, denn mein Englisch war wirklich nicht so besonders." Mit Mut sei sie die Sache angegangen und schnell sei ihr klar geworden: "Nur nicht zeigen, dass man sich noch nicht sicher fühlt". Lachend empfiehlt sie, dann schnellstens mal nachzuschlagen, zu lernen und sich vorzubereiten. Man müsse eben auch die Unsicherheiten überwinden. 2001 wurde sie zusätzlich Gruppenleiterin in der Konstruktion, und auch ihr Aufgabengebiet im Kundenbereich erweiterte sich stetig. Sie unterstützte den Vertrieb und präsentierte Projekte. 2005 übernahm sie als Projektleiterin die Einführung und den Einsatz eines Produktionsplanungs- und Steuerungssystems (PPS-System) im gesamten Unternehmen und realisierte Projekte im Bereich "Prozess-Ablauf-Optimierung". Sie betrachtete die Prozesse im Unternehmen und sie analysierte die Ablaufschwächen, die dann durch ihre Arbeit dezimiert werden konnten. 2007 wechselte Bianca Schuster die Stelle. Die August Storck KG suchte einen Ingenieur oder eine Ingenieurin für technische Projekte. Das reizte die Gütersloherin. Sie bewarb sich, erhielt den Zuschlag, und sogleich wurde ihr ein Großprojekt anvertraut: Eine Produktions- und eine Verpackungsanlage für ein neues Produkt sollten eingerichtet werden. Inzwischen läuft die Anlage und die neuen "Werthers Original" sind auf dem Markt.
Vorteile durch Zweiten Bildungsweg: Immer tolle Nebenjobs Wie das alles so geklappt hat? "Schritt für Schritt", antwortet Bianca Schuster. "Ich habe alle Chancen genutzt, die sich boten. Und etwas Glück gehörte natürlich auch dazu." Von Vorteil sei der Zweite Bildungsweg gewesen. "Da ich bereits eine Ausbildung hatte, bekam ich immer tolle Nebenjobs und konnte so das Studium finanzieren. Und ich habe Einblicke in sehr viele Bereiche bekommen."
Sie arbeitete unter anderem beim Gütersloher Möbeldesignleuchten-Hersteller Koch, für die Gütersloher Patentanwaltskanzlei Meldau & Strauß, für den Drucklufttechnik-Spezialisten Birkenstock in Herzebrock-Clarholz und im Beckumer Ingenieurbüro für Hygiene und Lebensmittel ITEC. Sie schrieb zum Beispiel Produktdatenblätter für Kataloge und erstellte TÜV-Abnahmezeichnungen sowie Redaktionsunterlagen für die CE-Zertifizierungen. Auch an der FH Bielefeld verdiente sie sich die ein oder andere Mark. Als Studentische Hilfskraft habe ich im Bereich der CAD-Veranstaltungen geholfen. Und immer wieder arbeitete Schuster bei ihrem ehemaligen Lehrherrn. In der Miele-Betriebsmittelkonstruktion jobbte die Studentin und erstellte technische Unterlagen. Zumeist reichte nur eine telefonische Anfrage: "Hallo, ich habe Semesterferien. Gibt es etwas für mich zu tun?" Es gab. Offensichtlich hatte die ehemalige Auszubildende einen guten Eindruck hinterlassen.
"Das war nicht immer so ganz leicht und ich hatte stets gewaltig mit dem Problem 'Zeit' zu kämpfen. Ach, das habe ich eigentlich immer noch", überlegt Schuster. Mittlerweile sind es nicht mehr die Nebenjobs, die sie zusätzlich in Atem halten, sondern unter anderem ihr ehrenamtliches Engagement im Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Seit 1999 hat sie die Bezirksgruppe Herford mit aufgebaut und leitet sie auch. Sie organisiert unter anderem zahlreiche Exkursionen in Unternehmen des Herforder Raumes. "Es ist zwar viel Arbeit, es ist aber auch schön, auf diese Weise immer wieder andere Unternehmen und Menschen kennenzulernen", schwärmt sie. Das sei höchst spannend, und sie schätze den fachlichen Austausch. Schon im Studium hatte sie die Bedeutung der Netzwerkarbeit erkannt, und mittlerweile setzt sie sich selbst dafür ein. Für ihr vorbildliches Schaffen wurde sie 2008 mit der VDI-Ehrenplakette ausgezeichnet.
Trotz der zeitlichen Belastung, Bianca Schuster nimmt sich auch Zeit für Privates: für Triathlon und kulturelle Fernreisen, vor allem aber für den Reitsport. Schon als Kind liebte sie Pferde. Etwas anders als viele Altersgenossinnen wollte sie aber nichts "Berufliches mit Pferden machen", sondern in einer Stellung arbeiten, die es ihr erlauben würde, ein Pferd zu besitzen. Das hat sie geschafft. "Adi" heißt ihr Hannoveraner, dem sie fast jede freie Minute widmet.
"Hätte ich gewusst, dass Sie Ihre Sekretärin mitbringen …" Sie zeigt Bein, trägt ein schickes Kleid, hochhackige Stiefel, klimpernde Armreifen, lange Haare und sie hat sorgfältig manikürte Fingernägel. "Ingenieure hantieren nicht stetig bis zu den Ellenbogen in Ölwannen, tragen nicht grundsätzlich Blaumann, und sie haben auch nicht dauernd schwarze Fingernägel." Soviel hat Schuster zu den Vorurteilen zu sagen, die ihr "leider auch heute noch" begegnen. Solche Bilder ärgern sie fast ein wenig, aber sie nimmt es mit Humor und einer entwaffnenden Offenheit. Dann muss sie plötzlich lachen. Ja, in Sachen "Frauen in Männerberufen" gebe es bisweilen noch komische Vorstellungen. Sie erinnere sich da an eine Situation ….
Mit einem Vorgesetzten war sie unterwegs. Ein Kundengespräch. Und zur Begrüßung sagte der Geschäftspartner:"Hätte ich gewusst, dass Sie Ihre Sekretärin mitbringen ...". Ihr Vorgesetzter hätte dann freundlich und spontan eingelenkt: "Das ist Frau Schuster, und diese 'Sekretärin' wird Ihre neue Maschine konstruieren." Das habe sie damals nicht getroffen oder verstimmt, sondern vielmehr belustigt, sagt Schuster. Noch heute erinnere sie sich höchst amüsiert daran, wie es dem Geschäftsmann die Schamesröte ins Gesicht getrieben habe. "Für ihn war das wahrscheinlich richtig schlimm, aber nicht für mich." Derartige Begebnisse zählten aber wirklich zu den absoluten Ausnahmen, sagt sie. Sie habe in ihrem Beruf kaum Nachteile durch das Frausein erfahren. "Im Gegenteil! Die meisten meiner Kollegen haben mich immer prima unterstützt."
Sie wolle jetzt aber keine Plädoyers halten oder gar über "Frauen in Männerdomänen" referieren, meint Schuster. "Das ganze Feld ist noch zu sehr von Vorurteilen beherrscht. Vieles von dem, was da hartnäckig behauptet wird, erfahre ich in der Praxis doch ganz anders. "Ich kann nur allen empfehlen - Männern sowie Frauen - sich etwas zuzutrauen und neue Aufgaben mutig anzugehen. Klar, Fleiß und Durchhaltevermögen gehören natürlich dazu." Erfolg habe seinen Preis, und so einige kalte Bäder habe sie nehmen müssen - mal geschubst und mal gesprungen. "Manchmal findet man sich dann auch im kalten Wasser wieder, aber das gehe den männlichen Kollegen doch genauso. Das gehört dazu", sagt sie. "Dann muss man eben mal ein bisschen schwimmen!" Text: Sabine Nollmann