25.07.2007

1907 – 2007: Fachbereich Gestaltung feiert 100-jähriges Jubiläum

Vor hundert Jahren, am 1. April 1907, wurde die staatlich-städtische Handwerker- und Kunstgewerbeschule. in Bielefeld eröffnet.

In diesem Jahr kann der Fachbereich Gestaltung ein besonderes Jubiläum feiern. Vor hundert Jahren, am 1. April 1907, wurde die staatlich-städtische Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Bielefeld eröffnet. Bis heute änderte der Fachbereich Gestaltung mehrfach seinen Namen: Staatlich-Städtische Handwerkerschule mit kunstgewerblichen Tagesklassen (1907), Handwerker- und Kunstgewerbeschule (1914), Handwerkerschule (1933), Meisterschule des Deutschen Handwerks (1938), Meisterschule für das gestaltende Handwerk (1943), Werkkunstschule (1956). Im Rahmen der Hochschulreform in Nordrhein-Westfalen wurde 1971 die Werkkunstschule aufgelöst - die Nachfolge trat der Fachbereich Design an, der sich 1999 in Fachbereich Gestaltung umbenannte. 100 Jahre sind für die Fachhochschule Bielefeld Anlass, mit der Ausstellung "Werkkunst - Kunst und Gestaltung in Bielefeld 1907 - 2007" im Historischen Museum und einer Publikation zur Ausstellung das Jubiläum zu würdigen. Die Ausstellungseröffnung ist am Sonntag, 14. Oktober 2007, 11:30 Uhr, im Historischen Museum; Ausstellungsdauer bis 10. Februar 2008. Der folgende Text gibt einen kurzen Einblick auf die Ausstellung und die Publikation zur Ausstellung.

Werkkunst - 100 Jahre Kunst und Gestaltung in Bielefeld
Handwerker- und Kunstgewerbeschule - Werkkunstschule - Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld

Bielefeld als Kunststadt - hat es das je gegeben? Tatsächlich bildete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine kleine, aber sehr aktive Künstlerszene in der Stadt, die vor allem aus Sachsen und Schwaben, nach dem Zweiten Weltkrieg auch durch Vertriebene Zuzug und neue Anregungen erhielt. Die Bielefelder Künstlerschaft stand sicher nicht an der Spitze der Avantgarde, hielt aber durchaus Fühlung mit ihr. Der Jugendstil mit den Werken von Gertrud Kleinhempel, der Expressionismus mit Peter August Böckstiegel und den Malern der "Roten Erde", die Bauhausarchitektur mit Beispielen von Richard Woernle und Paul Griesser bis hin zum "Neuen Sehen" in der Fotografie bei Georg Trump und Otto Kraft haben in Bielefeld beachtliche Werke hervorgebracht. Nach der NS-Kulturbarbarei und dem Krieg erreichte die Bielefelder Kunst mit Namen wie Willi Heiner, Herbert Volwahsen und Thyra Hamann-Hartmann bald wieder überregionalen Rang.

Diese Kunstszene in ihren verschiedenen Epochen und Persönlichkeiten ist in Bielefeld bisher wenig gewürdigt worden. Das Historische Museum hat mit den Ausstellungen zu Gertrud Kleinhempel 1998, zum Bielefelder Kunstleben der Nachkriegsjahre 2001 und zu Hans Grohé 2003 erste Ansätze dazu unternommen. Die Bielefelder Kunst der Vergangenheit hat hier im Rahmen der Stadtgeschichte ein Forum gefunden, um das klischeehafte Bild von der Industriestadt durch eine interessante und qualitätvolle künstlerische Komponente zu bereichern.

Im Jahre 2007 ergibt sich ein hervorragender Anlass, in umfassender Weise an die Bedeutung der Kunst in und für Bielefeld zu erinnern. Hundert Jahre zuvor, am 1. April 1907, war die staatlich-städtische Handwerker- und Kunstgewerbeschule eröffnet worden. Sie entwickelte sich zum Kristallisationspunkt des künstlerischen Lebens in der Stadt und zu einer der profiliertesten Schulen für Gestaltung im nordwestdeutschen Raum.

Es gab kaum einen namhaften Künstler in Bielefeld, der nicht in Verbindung mit der Schule stand, sei es als Lehrkraft, oft im Nebenamt, als ehemaliger Absolvent oder zumindest im anregenden Austausch mit den Ausstellungen, Vorträgen und Künstlerfesten, die dort stattfanden. Das imposante Schulgebäude am Fuß der Sparrenburg, heute von der städtischen Musik- und Kunstschule genutzt, war, wenn das Kunsthaus der "Kunsttempel" von Bielefeld war, das "Künstleratelier" der Stadt.

Ihre Ausbildung an der Bielefelder Kunstgewerbeschule erhielten z. B. der expressionistische Maler Peter August Böckstiegel, der Bildhauer Berthold Müller-Oerlinghausen, die Bildhauerin und Barlach-Gefährtin Marga Böhmer, der Grafik-Designer, Hochschullehrer und Documenta-Koordinator Jupp Ernst und die beiden Bauhaus-Künstler Wolfgang Tümpel und Kurt Kranz.

Im Laufe ihres Bestehens änderte die Schule mehrfach ihren Namen:
• Staatlich-Städtische Handwerkerschule mit kunstgewerblichen Tagesklassen (1907)
• Handwerker- und Kunstgewerbeschule (1914)
• Handwerkerschule (1933)
• Meisterschule des Deutschen Handwerks (1938)
• Meisterschule für das gestaltende Handwerk (1943)
• Werkkunstschule (1956)

Im Jahre 1971 wurden im Rahmen der Hochschulreform in NRW die Werkkunstschulen aufgelöst. Die Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Design, trat die Nachfolge an.

Das Wissen über die Geschichte und Leistung der Schule ist in Bielefeld gering, die meisten dort wirkenden Lehrkräfte haben seit vielen Jahren keine angemessene Würdigung durch Ausstellungen und Publikationen erfahren. Eine Ausstellung im Historischen Museum mit Begleitbuch soll zum 100. Geburtstag der Schule 2007 das bisher Versäumte nachholen.

Die Schule hatte im wesentlichen fünf Fachklassen:
• Fachklasse für Dekorationsmaler
• Fachklasse für grafische Berufe
• Fachklasse für Innenarchitekten und Tischler
• Fachklasse für Bildhauer, Steinmetzen, Modelleure
• Fachklasse für textile Berufe und Mode

Kennzeichnend für den Typus der preußischen Handwerker- und Kunstgewerbeschulen war der Werkstattbetrieb, der praktische Arbeit ermöglichte und forderte. Die Lehrkräfte der Schule konnten private Aufträge neben ihrer Lehrtätigkeit annehmen und so ihre künstlerische Entwicklung fortführen. Im Laufe der Jahre erhielten sie zahlreiche Aufgaben von städtischer Seite, von Unternehmen und Privatleuten, die wesentlich dazu beitrugen, das Renommee der Schule zu festigen und sie in der Stadt zu verankern. Auf diese Weise ist die Schule noch heute im Stadtbild präsent, z. B. mit Gebäuden (Geschäftshaus Crüwell, Lampe-Bank, Oetker-Firmengebäude), Plastiken (Leineweberdenkmal, Merkurbrunnen), Kunst am Bau und in vielen Kirchen der Stadt. Manche Bielefelder Familie verwahrt noch Gegenstände, die aus der Kunst-gewerbeschule herrühren, von der kompletten Zimmereinrichtung bis zu Schmuckstücken. Die Schule wirkte so in die städtische Gesellschaft hinein und ebnete den künstlerischen Entwicklungen den Weg.

Im Jahr 2007 feiert die Schule ihren 100. Geburtstag - nicht von ungefähr im selben Jahr wie der Deutsche Werkbund. In den vergangenen Jahren haben bereits andere Städte, die über vergleichbare Schulen verfügten, ein solches Jubiläum mit umfangreichen Ausstellungen, Publikationen, Vortrags- und Aktionsprogrammen begangen. Erwähnt seien hier nur Magdeburg (1993), Leipzig (1996), Trier (2003) und Krefeld (2004). Das Historische Museum Bielefeld plant in Kooperation mit der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Gestaltung, zu diesem Anlass eine umfassende Ausstellung mit Begleitbuch. Da außer einem schmalen Band zum 50-jährigen Bestehen nur wenig Literatur zur Geschichte der Schule vorliegt, sind umfangreiche Vorarbeiten und Forschungen nötig. Die Ergebnisse werden in der Ausstellung erstmals vorgestellt werden. Auf 500 qm Ausstellungsfläche sollen der Werdegang der Schule vor dem Zeithintergund, die künstlerischen Leistungen der Lehrkräfte und der Wandel der Lehrmethoden und Ausbildungsziele dargestellt werden. Die Vielfalt der Exponate wird eindrucksvoll die Summe eines hohen Anspruchs ziehen - Gewerbe und Industrie durch Kunst zu veredeln.

Gemälde, Zeichnungen und Grafik vertreten die Malerklasse, die neben raumgebundenen Dekorationen immer auch freie Kunst hervorgebracht hat. Hier sind vor allem die Künstler der Vereinigung "Rote Erde" mit ihrem Lehrer Ludwig Godewols zu nennen. Erzeugnisse der Gebrauchsgrafik wie Plakate, Verpackungen und Etiketten zeigen die Bedeutung der Produktwerbung. Dabei spielt frühzeitig die Fotografie eine wichtige Rolle, die auch zur Dokumentation von Architektur und plastischen Werken im öffentlichen Raum zum Einsatz kommt. Beispiele der Bildhauertradition an der Schule und plastischer kunsthandwerklicher Arbeiten leiten zum Möbelbau über. Mehrere Ensembles sollen hier einen Eindruck von zeittypischen Raumgestaltungen vermitteln, die von Lehrkräften der Schule herrühren. Verschiedene Wandteppiche und andere textilkünstlerische Arbeiten vertreten die bedeutende Textilklasse ebenso wie Entwürfe für die Textilindustrie und Mode.

Die Publikation zur Ausstellung bietet vor allem eine detaillierte Chronik der Schule, die viele bislang unbekannte Fakten mit historischem Bildmaterial ausbreitet. Die fünf Fachklassen sollen in ihrer jeweiligen Entwicklung vorgestellt werden, wobei die meist langjährigen künstlerischen Leiter mit ihrem Werk im Mittelpunkt stehen. Auch das vorbildliche Schulgebäude erfährt erstmals eine architekturhistorische Würdigung. Am Ende der Betrachtung steht ein Kapitel, das sich der auch schon mehr als dreißigjährigen Geschichte des Fachbereichs Gestaltung an der Fachhochschule Bielefeld widmet, der 1971 die Nachfolge der Werkkunstschule angetreten hat. Kurzbiografien der Lehrkräfte runden das Buch ab, das als Dokumentation und Nachschlagewerk die in Jahrzehnten gewachsene Leistung dieser ganz besonderen Bildungseinrichtung festhalten wird.