22.08.2013

Anderthalb Jahre Ecuador

Bachelorstudentin Sandra Holtgreve erlebt Ecuador hautnah für das „Global Social Work“ Projekt.

Bielefeld (fhb). Eigentlich ist beim Projekt "Global Social Work" ein Auslandsaufenthalt von mindestens 60 Tagen vorgesehen. Bei Sandra Holtgreve sind es anderthalb Jahre in Ecuador geworden. Im Juli 2011 hat sich die Studentin der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Bielefeld auf den Weg nach Lateinamerika gemacht, um dort für ein Jahr im Ministerium für Soziales zu arbeiten. Sie hat Land, Leute und die dortige Arbeitsweise im Sozialamt, im Jugendamt, in der Gleichstellung und der Sozialen Wirtschaft kennengelernt und dann schließlich noch Feldforschung im ecuadorianischen Hochland betrieben.
Fünf Wochen hat sie in einem Dorf der Kichwa-Indianer gelebt und gearbeitet. Unter anderem hat sie unter die Lupe genommen, wie sich die Kultur der Kichwa in ihrem Alltag widerspiegelt. Seit Ende 2012 ist sie zurück in Deutschland, hat mit den Ergebnissen ihre Bachelorarbeit an der Fachhochschule Bielefeld geschrieben und hat sich jetzt bereits wieder auf den Weg nach Ecuador gemacht: nochmal ein Jahr für das Masterstudium.

Erst über das Projekt "Global Social Work" kam Sandra Holtgreve der Gedanke, in Lateinamerika ein Praxisprojekt anzugehen. "Global Social Work" wird als zusätzliches Vertiefungsstudium am Fachbereich Sozialwesen angeboten und will Handlungs-, Kommunikations- und Forschungskompetenzen im Umgang mit Fremdheitserfahrung in interkulturellen Räumen vermitteln. "Ein Auslandsaufenthalt ist dafür ein Muss", sagt Holtgreve. Ihre betreuende Professorin Dr. Cornelia Giebeler beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Lebenswelten in Lateinamerika und betreibt regelmäßig Feldforschung mit Studierenden vor Ort und verfügt über dementsprechend viele Kontakte. "Ich hätte nach Mexiko gehen können, aber ich wollte in ein Land, wo noch nicht so viele deutsche Studierende sind. Wo es nicht so viel Routine mit den Ausländern gibt", erklärt die Studentin.

In Ecuador bekam sie mit Giebelers Hilfe einen Platz im Ministerium für Soziales in der Stadt Riobamba, die als Agrar- und Handelszentrum des Hochlands von Ecuador gilt. Für ein Jahr ging es also alleine in die Hauptstadt der Provinz Chimborazo mit knapp 150.000 Einwohnern, wo sie bei der Familie eines Kollegen aus dem Ministerium wohnen durfte. "Wenn man dort ankommt, freut man sich wahnsinnig, und alles ist neu und schön. Erst im Alltag begreift man die Unterschiede zur deutschen Arbeitsweise und zur Kultur", sagt Sandra Holtgreve. Da sie sich für ein ganzes Jahr in Riobamba entschieden hatte und ihr Praktikum in der Sozialen Arbeit machen wollte, durfte sie alle Stationen am Ministerium durchlaufen. Sie arbeitete in der Registrierungsstelle für die Sozialhilfe, im Amt für Soziale Wirtschaft, das Mikrokredite an "Startup"-Unternehmen ausgibt, und begleitete Workshops für unterschiedliche Arbeitergruppen, etwa Bauern oder Landarbeiter, denen Hilfestellungen bei der Steigerung der Landwirtschaftserträge oder der Tierhaltung gegeben werden. "Die Arbeit, die mir am meisten Spaß gemacht hat, war aber die im Jugendamt. Wir sind zu den Familien rausgefahren und haben dort eigentlich Familienhilfe geleistet", verdeutlicht Holgreve. Dabei ging es oft um die Beratung und Versorgung bei häuslicher Gewalt, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, aber auch von Vergewaltigungsopfern. "Allerdings handelt es sich in Ecuador dabei eher um Schadensbegrenzung, als um handfeste Maßnahmen", sagt sie.

Sandra Holtgreve hat die Arbeitsweilt also nicht nur hinter dem Schreibtisch in Riobamba kennengelernt. Sie hat zudem fünf Wochen lang in dem kleinen Dorf Totoras im ecuadorianischen Hochland mit 2000 Einwohnern gelebt und machte dort ihre Feldforschungen, die fester Bestandteil des "Global Social Work"-Projektes sind. Sie nahm unter die Lupe, wie es ist, den Lebensunterhalt Tag für Tag auf dem Feld zu erwirtschaften, wie die Kwicha ihre Kultur ausleben und welche Probleme es für die Ureinwohner dort vor Ort gibt, etwa durch die schlecht ausgebaute Infrastruktur oder die sanitären Gegebenheiten. Die Ergebnisse hat sie  im "Global Social Work"-Projekt mit ihren Professorinnen und Professoren sowie mit ihren Kommilitonen besprochen und auch ihre Bachelorarbeit darüber geschrieben.

Trotz der Arbeit im Ministerium und in Totoras blieb für Sandra Holtrgeve genug Zeit, das Land und die Leute genauer kennenzulernen. Mit 15 Millionen Menschen ist Ecuador, das ungefähr die Fläche der alten Bundesländer umfasst, dünn besiedelt und das viertärmste Land Südamerikas. "Ich finde, dass es das vielfältigste Land Lateinamerikas ist und die Ecuadorianer sind sehr offen und wollen viel von den 'Gringos', wie sie die Weißen nennen, wissen", erklärt Holtrgeve. Zwar sei es in den großen Städten auch nicht ganz ungefährlich,  sie selber ist ausgeraubt worden , was sie aber bereitwillig auf ihre eigene Kappe nimmt: "Man muss sich einfach an ein paar Dinge halten und sollte zum Beispiel eben nicht zu später Stunde als "Gringo" durch ein bestimmtes Viertel gehen."

Nach diesen  Erlebnissen und der langen Zeit in der Ferne kam sie Ende des letzten Jahres nach Deutschland zurück und hat ihr Bachelorstudium der Sozialen Arbeit und "Global Social Work" zu Ende gebracht. "Ich finde dieses Projekt sehr empfehlenswert für alle Studierenden. Das ist einfach eine unbezahlbare Erfahrung, sich selbst in der Fremdheit zu erleben, und ich habe persönlich wie fachlich viel gelernt", so die Studentin. Den Weg nach Ecuador hat sie bereits wieder angetreten. Wegen des Landes, und  auch wegen der Liebe. In der Hauptstadt Quito wird sie vorerst ein Jahr ihrem Masterstudium der Soziologie nachgehen und dann an der Universität Bielefeld zu Ende studieren. Sandra Holtgreve: "Meine Arbeit in Riobamba und Totoras ist für mich ganz klar eine Option, das im Master weiter zu erforschen. Was danach kommt, ist für mich noch ganz weit weg."