Wachstum und Fortschritt benötigen erweiterte Spielräume
Vor 40 Jahren wurde die Fachhochschule Bielefeld gegründet.
Bielefeld (fhb). Vor 40 Jahren, am 1. August 1971, wurde die Fachhochschule (FH) Bielefeld gegründet. Sie gehört damit zu den deutschen Fachhochschulen der ersten Stunde.
Mit der Einführung des neuen Hochschultyps reagierten die Landesregierungen damals unter anderem auf den Semesterstreik der Studierenden. Diese forderten eine bessere nationale und internationale Bewertung der beruflichen und praxisbezogenen Bildung. Sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wirtschaft stieg die Nachfrage nach einer Hochschulqualifikation, die praxis- und berufsorientiert und gleichzeitig wissenschaftlich und künstlerisch fundiert ist. „Die Fachhochschulen sollten andersartig, aber gleichwertig in der Qualität der Lehre sein“, schreibt Professor Dr. Germanus Wegmann, der zum ersten Rektor der FH Bielefeld ernannt wurde, in seinem Beitrag „Geschichte der Fachhochschule Bielefeld“ zum Anlass der Feier zum 25. Jubiläum der Fachhochschule.
Aus sechs mach eins
Die FH Bielefeld entstand durch den Zusammenschluss von sechs bereits bestehenden Ausbildungseinrichtungen: der Städtischen Werkkunstschule Bielefeld, der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen Bielefeld, der Landeshauptmann-Salzmann-Schule / Höheren Fachschule für Sozialarbeit Bielefeld, dem Paritätischen Sozialseminar / Höhere Fachschule für Sozialarbeit Detmold, der Staatlichen Höheren Wirtschaftsfachschule Bielefeld und der Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen Minden. Die Ingenieurschulen, Wirtschaftsfachschulen, Werkkunstschulen und höheren Fachschulen für Sozialarbeit, die mit ihrer Tradition häufig bis ins 19. Jahrhundert reichten, hatten die Ausbildung junger Erwachsener auf anspruchsvolle Berufe als Ingenieur, Betriebswirt, Designer oder Sozialarbeiter übernommen. „Der Status als Schule passte einfach nicht mehr“, erinnert sich Professor Wegmann.
Bewusst wurden große Fachbereiche gebildet, in denen mehrere fachlich nahe Studienrichtungen angeboten wurden. In der Abteilung Bielefeld entstanden die Fachbereiche Design, Elektrotechnik, Maschinenbau, Sozialwesen und Wirtschaft. Der Fachbereich Bautechnik war in der Abteilung Minden ansässig. „Diese Gliederung hat sich bewährt. Die Fachbereiche konnten in Selbstverantwortung einen anspruchsvollen Lehr-, Forschungs- und Entwicklungsbetrieb organisieren und durchführen. Komplizierte Abstimmungen und Kompetenzgerangel konnten weitgehend vermieden werden“, so Professor Wegmann.
Die Anfangsjahre
Aufbruchsstimmung und Pioniergeist prägten laut Professor Wegmann die Gründerjahre und ermöglichten es, Startschwierigkeiten zu überwinden. „Der Fachbereich Sozialwesen war von heute auf morgen völlig neu in Anmietungsobjekten unterzubringen, eine Fachhochschulverwaltung musste personell und organisatorisch aus dem Nichts aus dem Boden gestampft werden, eine Studentenschaft mit neuen Organisationsformen war zu schaffen, eine Verfassung der FH Bielefeld musste erarbeitet und verabschiedet werden, nicht zu vergessen die vielen Satzungen und Geschäftsordnungen. Zudem waren Studienordnungen zu erarbeiten und Professoren mussten berufen werden.“ Hinzu kam, dass die FH Bielefeld von der ersten Sekunde ihres Bestehens an den Studienbetrieb von rund 3.000 Studierenden garantieren musste. „Wenn es doch gelang, das Unternehmen Fachhochschule über die Runden zu bringen, so lag das an der persönlichen Einsatzbereitschaft der Mitglieder der Fachhochschule, an ihrem Willen, praktische Lösungen für Probleme zu finden“, so Professor Wegmann.
Einer dieser engagierten FH-Angehörigen von damals war Professor Dr. Heinz Neuser, der als Dekan den Fachbereich Sozialwesen leitete. Er erinnert sich im Rahmen des 25. Jubiläums der FH Bielefeld an die ersten Semester: „Hinter vielen Veranstaltungen im Veranstaltungsverzeichnis stand N.N. – Name noch nicht bekannt. Der Hinweis war notwendig, denn unter den Seminaren wie „Die Familie“ und „Gastarbeiter und Sozialarbeiter“ gab es einige, für die noch niemand verantwortlich war. Veranstaltungsort und Zeitpunkt wusste das Verzeichnis überhaupt noch nicht zu vermelden, dafür stand präzise fest, für welches Semester das Angebot gedacht war.“ Trotz des „kreativen Chaos“ schwärmt Professor Neuser in einem Beitrag von der „schönen wilden Zeit“. „Alles musste und durfte noch selbst von Lehrenden und Studierenden entwickelt werden.“
Eine große Herausforderung für die Fachhochschulen war in den Anfangsjahren laut Professor Wegmann die Anerkennung als gleichwertiger Partner im Hochschulbereich. „Aufgabe war es, die Spaltung in hochwertige und mindere Bildungseinrichtung – Hochschulen erster Klasse und Hochschulen zweiter Klasse – aus den Köpfen zu bekommen. Da war viel Überzeugungsarbeit zu leisten.“
Der Kampf um Anerkennung
Zur allmählichen Etablierung trug unter anderem die praxisbezogene Forschung bei, die kontinuierlich zunahm. So erhielt die FH Bielefeld ab 1985 die Möglichkeit, mit dem „Institut für Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen“ auf institutioneller Basis von der Industrie gestellte Aufgaben, die für Leistungsnachweise und Diplomarbeiten der Studierenden geeignet waren, zu betreuen und koordinieren. Zur Bündelung von Forschungsaktivitäten, zur Förderung einschlägiger Kontakte und zur besseren Einwerbung von Drittmitteln bildeten die Fachbereiche zudem Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte. So richtete beispielsweise 1984 der Fachbereich Design den Schwerpunkt „Fotografie-Ästhetik, Theorie und Praxis der Fotografie und deren Geschichte“ ein. Seit diesem Jahrtausend verfügt die FH Bielefeld zudem über die zwei Kompetenzplattformen „Vernetzte Simulation“ und KomPASS.
Neben den Forschungsaktivitäten trug zur allmählichen Anerkennung der FH Bielefeld auch die Entwicklung neuer Studiengänge bei. Diese erweiterten das bisherige Spektrum der FH Bielefeld und erschlossen neue Tätigkeitsfelder. So wurde 1994 der Fachbereich „Mathematik und Technik“ gegründet, der unter anderem die Studiengänge Mathematik und Produktentwicklung umfasste. Auch der Fachbereich „Pflege und Gesundheit“ wurde eingeführt.
Die Internationalität vieler Studienangebote der FH Bielefeld ist ein weiterer Grund für die Etablierung im Hochschulbereich. Sie tragen dem Trend zur Globalisierung der Märkte Rechnung. 1991 wurde das „Akademische Auslandsamt“ an der FH Bielefeld gegründet. Das erste Auslandsprojekt war 1973 das internationale Wirtschaftsaufbaustudium „European Management Programme“. Das viersemestrige Aufbaustudium für graduierte Betriebswirte wurde mit Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft gestartet und war in Deutschland das erste genehmigte Studium dieser Art. Laut Professor Wegmann konnte die FH Bielefeld schnell gute Beziehungen zu ausländischen Hochschulen aufbauen. „Das Ansehen der Fachhochschule Bielefeld ist im Ausland hervorragend.“ Die internationalen Kooperationen hat die FH Bielefeld kontinuierlich ausgebaut. Heute arbeitet sie mit etwa 100 Hochschulen in aller Welt zusammen. Welch großer Entwicklungsschritt das ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass es noch vor 15 Jahren keine einheitliche englische Übersetzung für das Wort Fachhochschule gab.
Aktuelle Entwicklungen
Mit all diesen Aktivitäten hat sich die FH Bielefeld Anerkennung im Hochschulbereich geschaffen. Indikator dafür ist unter anderem die steigende Zahl der Studienanfänger und die damit zusammenhängende Zunahme der Studierendenzahl. Heute sind rund 8.360 Studierende an der FH Bielefeld eingeschrieben, von denen rund 2.100 Studienanfänger sind. Das Studienangebot der FH Bielefeld umfasst 45 Studiengänge. Diese verteilen sich auf die sechs Fachbereiche Gestaltung, Architektur und Bauingenieurwesen, Technik (im Aufbau), Ingenieurwissenschaften und Mathematik, Sozialwesen sowie Wirtschaft und Gesundheit. Im Wintersemester 2003/2004 wurde der erste Bachelorstudiengang an der FH Bielefeld eingeführt. Der überwiegende Teil des Studienangebots wurde im Wintersemester 2006/2007 und im Wintersemester 2007/2008 auf das Bachelor- und Master-System umgestellt. Im September 2010 wurde der Studienort Gütersloh in der Schulstraße 10 offiziell eröffnet. Er ist ein Standort des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften und Mathematik. Mit einem geplanten Investitionsvolumen von mehr als 1 Milliarde Euro entsteht bis zum Jahr 2025 der erweiterte Campus Bielefeld in Kooperation mit der Universität Bielefeld. 2010 war Start für drei große Bauvorhaben. Eines davon ist der Neubau der FH Bielefeld auf dem Campus Nord. Die Fachbereiche Ingenieurwissenschaften und Mathematik, Sozialwesen sowie Wirtschaft und Gesundheit sollen zum Wintersemester 2013/2014 das neue Gebäude beziehen. Auch für die Hochschulverwaltung, weitere zentrale Einrichtungen und die Hochschulbibliothek werden Räume eingerichtet. Der Einzug für den Fachbereich Gestaltung ist für 2020 geplant. Einen Neubau erhält aufgrund der steigenden Studierendenzahlen auch der Campus Minden.
Notwendige Perspektiven der Fachhochschulen
Atmeten die Fachhochschulen in den siebziger und achtziger Jahren noch stark den Geist der schulischen Vorgängereinrichtungen, so haben sie sich inzwischen erheblich gewandelt: In Bachelor- und Masterstudiengängen vermitteln sie eine akademische Qualifizierung, die sowohl die Aufnahme einer Fach- und Führungstätigkeit ermöglicht als auch die Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Weiterqualifizierung schafft. Forschung und Entwicklung zählen zu den Dienstaufgaben der Professorinnen und Professoren, und das Qualifikationsniveau des Hochschulpersonals ist erheblich gestiegen. Das Studienangebot erfreut sich sowohl bei Abiturientinnen und Abiturienten als auch bei nicht-traditionellen Studierenden hoher Beliebtheit, so dass die meisten Studiengänge im Hinblick auf die Sicherung der Qualität der Lehre mit Numerus Clausus versehen werden mussten. Trotz der gestiegenen Anfängerzahlen sind die Studierenden zufrieden mit ihrem Studium, und die Akzeptanz der Abschlüsse auf dem Arbeitsmarkt ist gut.
Nicht geändert haben sich die Rahmenbedingungen: Das Lehrdeputat beträgt nach wie vor achtzehn Semesterwochenstunden, die Personalausstattung hat sich kaum gewandelt, von Labormitarbeitern abgesehen fehlt ein akademischer Mittelbau weitgehend, und es gibt keine attraktiven Karrierewege innerhalb der Fachhochschulen für das wissenschaftliche Personal. Im Rahmen des Hochschulpaktes nehmen die Fachhochschulen über ihre eigentliche Kapazität hinaus Studierende auf, mit dem Wissen, dass sie am Ende des Jahrzehnts wieder erheblich abschmelzen müssen, ohne dass ihr Personaltableau ihnen die dafür erforderliche Flexibilität bietet.
Neue Spielräume sind deshalb dringend erforderlich. So ist beispielsweise die Bereitstellung einer bedarfsgerechten Zahl von Masterstudienplätzen und eine verlässliche Promotionsperspektive nötig. Zudem sollte in forschungsstarken Bereichen ein eigenständiges Promotionsrecht erprobt werden. Das Beispiel der Kunst- und Musikhochschulen zeigt, dass das Promotionsrecht durchaus selektiv innerhalb einer Hochschule verliehen werden kann. Anknüpfen ließe sich an die positiv evaluierten Kompetenzplattformen, die von Anfang an auch die Aufgabe hatten, Promotionen zu betreuen. Denkbar wäre auch die Verknüpfung dieser Bereiche in einer gemeinsamen wissenschaftlichen Einrichtung der nordrhein-westfälischen Fachhochschulen – unter Beteiligung der Universitäten – wie dies auch im Kunst- und Musikhochschulgesetz formuliert ist. Eine Alternative könnten akkreditierte Promotionsstudiengänge sein, wie sie in der dritten Phase des Bolognaprozesses europaweit vorgesehen sind.
Veränderungen sind auch beim Personaltableau nötig. Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muss erhöht werden, um der Hochschule die erforderliche Flexibilität zu bieten und dem sich abzeichnenden Nachwuchsmangel bei den Professorinnen und Professoren zu begegnen. Notwendig sind beispielsweise Stellen für Forschungsprofessuren mit einem Lehrdeputat von neun Semesterwochenstunden nach dem Muster anderer Bundesländer.
Hinsichtlich der Ausweitung des Fächerspektrums erscheint die in den neunziger Jahren vom Wissenschaftsrat angedachte Verlagerung ganzer Fächer von den Universitäten an die Fachhochschulen nicht mehr zeitgemäß. Die inzwischen gewachsene Autonomie der Fachhochschulen und die Tatsache, dass Universitäten mittlerweile auch Studiengänge anbieten, die zunächst an Fachhochschulen entwickelt wurden, sprechen gegen ein solches Vorgehen.
Von entscheidender Bedeutung ist eine den Leistungen entsprechende Ausstattung: Die Fachhochschulen erwarten eine proportionale Berücksichtigung bei der Mittelverteilung und die Berücksichtigung ihrer Forschungsaufgaben bei der Grundausstattung.
Professorin Dr. Beate Rennen-Allhoff, Präsidentin der FH Bielefeld, erhofft sich deshalb eine Verbesserung der Grundlagen für Fachhochschulen: „Die Fachhochschulen haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie hochmotiviert sind, an ihrer eigenen Entwicklung zu arbeiten und sowohl bei der Bildung junger Leute als auch bei der Stärkung der Region verantwortungsbewusst mitzuwirken. Die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen sollte ihnen dies auch in Zukunft ermöglichen.“