Bielefeld-Sennestadt (fhb). Gerade gegründet an der Fachhochschule Bielefeld und schon aktiv vor Ort: Das Team im neuen Forschungsschwerpunkt (FSP) "Interdisziplinäre Forschung für dezentrale, nachhaltige und sichere Energiekonzepte" wird in der Bielefelder Sennestadt eine Musterwohnung aus den 60er Jahren vor, während und nach der Sanierungsphase wissenschaftlich begleiten. Das Forscherteam kooperiert dabei mit dem Sanierungsmanagement in Sennestadt, der Sennestadt GmbH und dem Umweltdezernat der Stadt Bielefeld. Ganz wichtig: "Wir müssen den Mieter einer Musterwohnung finden, den sowohl das Thema Energieeinsparung interessiert und der zudem einfach Spaß hat mitzumachen", meinte Bernhard Neugebauer, Geschäftsführer der Sennestadt GmbH, beim ersten Zusammentreffen der Partner, zu dem gestern auch die Presse eingeladen worden war.
Vier Professoren der FH Bielefeld sind beteiligt und haben, unter der Federführung der Informatikerin Prof. Dr. Grit Behrens vom Campus Minden, Forschungsgelder eingeworben, die zunächst ab Januar für zwei Jahre den finanziellen Rahmen stecken. Mit dabei sind zudem der Mess-Techniker Prof. Dr. Thomas Westerwalbesloh vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik sowie der Bauphysiker Prof. Dr. Frank Hamelmann und der IT-Sicherheitsexperte Prof. Dr. Christoph Thiel, beide vom FH-Standort Minden.
Ausgangspunkt des Projekts ist nach Angaben der Partner das von der Bundesregierung angestrebte Ziel, bis zur Mitte des Jahrhunderts für einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu sorgen. Klimaneutral bedeute, so Thorsten Förstering vom Sennestädter Sanierungsmanagement, dass die Gebäude nur noch einen sehr geringen Energiebedarf aufweisen dürfen und der verbleibende Rest an verbrauchter Energie überwiegend durch erneuerbare Energien gedeckt werden soll. Die konkrete Anforderung laute: Die in ein Gebäude eingespeiste Energie muss bis zum Jahr 2050 um rund 80 Prozent gegenüber 2008 gesenkt werden.
Dieses "ambitionierte Ziel kann nur durch den Einsatz hocheffizienter Technologien in den Gebäuden und den Wohngebieten erreicht werden", meint Förstering und spricht den FH-Forschern seinen Dank für die Forschungs-Kooperation aus: "Lassen wir in Sennestadt die Drohne fliegen und gewinnen neue Erkenntnisse." Gemeint ist damit der so genannte "Thermo-Kopter", eine mit Messtechnik ausgestattete Drohne, die Gebäude abfliegt und Schwachstellen in der Isolierung aufdecken will.
Die Bielefelder Sennestadt mit rund 14.000 Einwohnern steht für den energetisch problematischen Gebäudebestand der Nachkriegsjahre und repräsentiert rund 5,8 Millionen Wohneinheiten in Deutschland. Da trifft es sich gut, dass ein großes Wohnungsunternehmen demnächst mit einer energetischen Sanierung von 240 Wohnungen aus dem 60er-Jahre-Bestand im Süden von Sennestadt beginnt. Hier sollte die Musterwohnung gefunden werden und hier könnte dann der "Thermo-Kopter" fliegen. Förstering: "Ein ideales Forschungsfeld, um einen Vorher-Nachher-Vergleich anzustellen."
Die besondere Herausforderung, zu einem klimaneutralen Gebäudebestand zu kommen, könne nur durch die Kombination von Maßnahmen erreicht werden. Dazu zählt die energetische Sanierung, um Wärme- und damit Energieverluste aus der Gebäudeaußenhülle zu minimieren. Zudem muss der Energieverbrauch der Nutzer im Gebäude optimiert werden und der Einsatz erneuerbarer Energien, auch durch dezentrale Erzeugung am Gebäude selbst, soll erhöht werden. "Das Machbare ist auch immer im Kontext des wirtschaftlichen Möglichen zu sehen", gibt Neugebauer zu bedenken.
Im Verlaufe des zweijährigen Forschungsprojekts soll die Musterwohnung saniert und modernisiert werden. Die Sanierung soll die energetische Qualität der Außenhülle, zum Beispiel durch den Einsatz von neuen Dämmstoffen und durch den Einbau mehrfach verglaster Fenster, erhöhen. "Dabei wird der Ist-Stand der aktuellen Energieeffizienz vor und nach der Sanierung genau gemessen und analysiert, wobei unter anderem Werte für die Raumtemperatur, die Außentemperatur und für den Energieverlust durch die Gebäudehülle regelmäßig über einen Jahresverlauf dokumentiert und visualisiert werden", fasst Bauphysiker Hamelmann zusammen. Auch die Energieverbräuche der Nutzer werden analysiert. Angestrebt wird, ein optimales Energiekonzept unter Einbeziehung erneuerbarer Energien zu erstellen.
Dem Teilprojekt IT-Sicherheit wird im Verlauf der Forschungsarbeiten eine besondere Bedeutung beigemessen. Professor Thiel: "Es wird um die Sicherheit der Software gegen Systemausfälle und Hacker-Angriffe von außen gehen sowie um den Schutz der übertragenen Wohnungsdaten und der persönlichen Energieverbrauchsdaten der Nutzer." Der Datenschutz und die Systemsicherheit seien unerlässlich, damit die Steuersoftware stabil und ausfallsicher läuft und damit das Vertrauen der Nutzer in die Softwareapplikationen stark genug ist, um sie auch langfristig zu nutzen.
Nach der Sanierung und dem Einsatz des neuen Energiekonzeptes sei es wichtig, dass die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten weitergeführt und die Nutzer der Wohnung über ein Jahr begleitet werden. Dabei soll, so Informatikerin Behrens, "eine einfach bedienbare Technik entwickelt werden, die über mobile Geräte abrufbar ist, um die Energieeffizienzwerte der Wohnung, den Verbrauch der elektrischen Geräte und die Erträge einer Photovoltaikanlage nachhalten sowie das Zusammenspiel energetisch optimieren zu können". Zum Beispiel lassen sich Überschüsse der PV-Stromerzeugung am Tage durch dezentrale Batteriespeicher nutzen. Dazu wollen die Forscher die spezifischen Energieverbräuche der Wohnungsnutzer auswerten und neue innovative Software-Algorithmen entwickeln, die selbständig nach den Erwartungen der Nutzer eine optimal effiziente Ansteuerung der Batterieladezyklen berechnen und ausführen können.
"Die Erfahrungen aus diesem Forschungsprojekt sollen nachfolgend allen weiteren Sanierungsmaßnahmen in der Sennestadt und den betroffenen Nutzern zugutekommen und für die breite Öffentlichkeit deutschlandweit publiziert werden", verspricht Grit Behrens.