Bei Fahrrädern mit Elektroantrieb werden in Deutschland zwei verschiedene Varianten unterschieden:
Pedelecs (Pedal Electric Cycle) unterstützen den Fahrer nur bei eigener Tretleistung bis 25km/h mit maximal 250W. Sie sind den Fahrrädern gleichgestellt, und daher zulassungsfrei.
E-Bikes stellen elektrisch motorisierte Mopeds dar, bei denen per „Gasgriff” gesteuert motorisch beschleunigt werden kann (meist bis 40km/h). Sie benötigen eine Hersteller-Zulassung und ein Versicherungskennzeichen.
Auch die bekannten Tretroller / Kick-Scooter kann man für relativ wenig Geld mit Elektroantrieb als E-Scooter kaufen. Diese können per „Gasgriff” gesteuert motorisch beschleunigen. Da für sie zum Zeitpunkt des PAWs keine passende Zulassungsgrundlage oder gesetzliche Regelung existierte, waren sie im Straßenverkehr grundsätzlich verboten.
Ausgangspunkt für das PAW war nun die Überlegung, dass es schön wäre, wenn es auch bei E-Scootern ein Pendant zum Pedelec gäbe: Einen Kickelec (Kick Electric Scooter), der den Fahrer automatisch nur dann unterstützt, wenn dieser selber tritt – ohne Gasgriff, und intuitiv zu benutzen.
Ein solcher Kickelec könnte zusammengeklappt in S-Bahnen auch zu Berufsverkehrszeiten mitgenommen werden, und durch die Erleichterung bei der „letzten Meile” mehr Menschen zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel bewegen.
Inhalte
Im Rahmen des PAWs wurde ein von der Hochschule gekaufter E-Scooter zu einem Kickelec umgerüstet. Da dem E-Scooter hierzu nicht nur die erforderliche Leistungselektronik zu feinen Dosierung der Antriebsleistung sondern auch die Sensorik fehlte, haben 15 Studierende interdisziplinär nicht nur eine eigene Leistungselektronik, sondern auch die Sensorik, die Rechnerplattform, die Regelungsalgorithmik und die Bedienelemente komplett selbständig entworfen, entwickelt, simuliert, programmiert, parametriert und in Betrieb genommen.
Das Projekteam bestand aus 12 Elektrotechnikern, 1 Maschinenbauer und 2 Wirtschaftsingenieuren. Diese Mischung ermöglichte die Abdeckung der kompletten Bandbreite an Aufgabenstellungen des Projekts, mit Schwerpunkten in der Elektronik und der Regelung.
Analyse und Regelung
Ausgangspunkt war die Untersuchung des als Grundlage verwendeten „Einfach”-Rollers und die Analyse der verschiedenen Möglichkeiten für die Regelung und die Sensorik. Die Wahl fiel auf Geschwindigkeitssensoren am Rad, zusammen mit Strom- und Spannungssensorik für den Motor und den Akku, sowie eine Temperaturüberwachung, Bremssensorik und Bedienelemente.
Die Auslegung der Regelung erfolgte nach eingehenden Messungen per Modellierung und Justierung über Matlab und Simulink. Hierbei wurde auch untersucht, in welchem Maße bei dem vorliegenden Antriebsstrang eine Energierückgewinnung beim Bremsen lohnt. Besonderes Augenmerkt verlangte der ruckfreie Übergang vom Antritt durch den Fahrer zur Rollunterstützung, da unter anderem sensorische Verzögerungen und mechanische Toleranzen des Antriebsstrangs berücksichtigt werden mussten.
Die tatsächliche Implementierung der Regelung erfolgte dann in Form einer Neuimplementierung in C auf einem Mikrocontroller. Ziel des Projektes war es unter anderem, eine Hardware-Plattform zu realisieren, welche auch bei einer Serien-Fertigung eines markttauglichen Produkt Einsatz fände. Dies begrenzt auf einen deutlich kleineren Mikrocontroller, als er bei Verwendung von automatisch generiertem Code aus numerischen Werkzeugen erforderlich wäre.
Sensorik
Die Geschwindigkeitserfassung wurde mittels Hall-Sensoren realisiert, für welche eine Halterung an das Hinterrad entworfen und gefertigt wurde. Hierüber erfolgt sowohl die Detektion der Antritt-Impulse des Fahrers, als auch die Regelung der Rollunterstützung.
Die Überwachung der Motortemperatur erfolgte mittels Thermo-Sensoren, welche direkt in den Motor eingebettet wurden.
Wesentliche Bestandteile der elektrischen Sensorik waren Motorstrom- und -spannungsmessung, Akkuspannungs- und -temperaturmessung.
Zur Erfassung der Bremsbetätigung kam ein einfacher Mikrotaster zum Einsatz. Eine dosierte elektrische Bremsung mit Nutzenergie-Rückgewinnung würde hier eine genauere Erfassung erfordern, die Voruntersuchungen des Projektteams ergaben jedoch, dass die Wirkungsgrade der im Antriebsstrang verwendeten Komponenten des preiswerten Ausgangsrollers diesen Aufwand nicht gerechtfertigt hätten.
Elektronik
Die Entwicklung erforderte zwei getrennte elektronische Einheiten: Zum einen die Leistungselektronik, welche die Dosierung der Antriebsleistung über Pulsweitenmodulation vornimmt, und zum anderen eine Mikrocontroller-Einheit, welche die Regelung übernimmt und die Sensorik auswertet. Beide fanden Platz in einem handelsüblichen Kunststoff-Gehäuse oberhalb des Hinterrades.
Zur Bedienung des Scooters während der Entwicklung und der Informationen des Fahres über Akkustand, Leistungsabgabe u.ä. wurde außerdem eine Bedieneinheit entwickelt. Würde diese Komponente bei einer Serienfertigung auch ggf. eingespart werden, ist sie während der Entwicklung eines Prototypen natürlich unumgänglich. Für die Unterbringung wurde ein angepasstes Gehäuse mit einem 3D-Drucker erstellt.
Über eine Bluetooth-Schnittstelle kann außerdem mit einem Laptop kommuniziert werden, um die Konfiguration der Regelung vorzunehmen.
Software
Die Software teilt sich auf drei verschiedene Komponenten auf. Die erste Komponente ist die Ansteuerung der Leistungselektronik inklusive der Neuimplementierung der Regelungsalgorithmik und Sensorik-Auswerung in C. Die zweite Software-Komponente realisiert die Anzeige- und Bedienelemente für den Fahrer. In beiden Fällen konnte durch einen Verzicht auf aufwändige Betriebssysteme oder Laufzeitumgebungen zugunsten einer Produkt-typisch direkten Low-Level-Implementierung das Projekt mit selbstentwickelter Hardware ohne Einsatz von Hochleistungscontrollern realisiert werden .
Als dritte Software-Komponente wurde zur Konfiguration des Systems und der Feinjustierung der Regelung ußerdem noch eine Software für ein externes Laptop entwickelt, welche per Bluetooth mit dem Roller kommuniziert.
Projektbilanz
Das Projekt-Team „E-Scooter” hat mit gleichermaßen hoher Motivation und hohem Einsatz ein beeindruckendes Ergebnis fertiggestellt. Ausgehend von einem einfachen E-Roller der 300€-Klasse, welcher lediglich Motor, Akku und „100-Gasschalter” aufwies, wurde innerhalb eines Semesters ein „Kickelec”-Roller-Äquivalent zum Pedelec realisiert. Nach eingehenden Analysen und Simulationen wurden vom Team die komplette Hardware-, Elektronik-, Software-, und Regelungstechnik-Entwicklung erstellt. Eine gründliche Dokumentation und Abschlusspräsentation gehörten ebenso zu den Liefergegenständen wie regelmäßige Projektstatusberichte.
Die Kalkulation des Projektteams zeigt, dass ein entsprechender Roller schon bei moderaten Stückzahlen für einen Marktpreis von 800€ herstellbar wäre. Potentielle Verbesserungen wären die Verwendung eines Motors mit einem höheren Wirkungsgrad und der Ersatz der Antriebskette (dabei entfiele allerdings auch die geräuschbedingte Wahrnehmung durch Fußgänger).
Zusammenklappbar wäre der Kickelec für Berufspendler die ideale Unterstützung für die sprichwörtliche „letzte Meile” nach der Fahrt mit Bus und Bahn. Eine entsprechende gesetzliche Regelung könnte den entscheidenden Faktor für den Umstieg vieler Autofahrer auf den öffentlichen Nahverkehr darstellen – und so gleichzeitig die Innenstädte, die Umwelt und das persönliche Portemonnaie entlasten.
Alle Beteilitgten hatten viel Spaß an einem besonders gelungenen und zukunftsweisenden Projekt!