Zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses gibt es an der Hochschule Bielefeld im Fachbereich Gesundheit zurzeit vier Qualifizierungsstellen für Promovierende, von denen ich eine Stelle im Bereich der Berufsbildungsforschung besetze. Seit Oktober 2022 promoviere ich kooperativ mit der Universität Bremen und werde dort von Prof. Dr. Darmann-Finck und an der Hochschule Bielefeld von Prof. Dr. Raschper betreut. Ich erforsche Schlüsselprobleme der psychiatrischen Pflege im Kontext berufswissenschaftlicher Qualifikationsforschung. Als Promovendin werde ich nicht nur finanziell, sondern auch ideell gefördert. Ich nehme zum Beispiel an Workshops, Schulungen und Sprachkursen teil. Vor eineinhalb Jahren habe ich begonnen, Japanisch an der Universität Bielefeld zu lernen. Schließlich mündete mein Interesse an der japanischen Kultur in der Bewerbung um ein Stipendium bei der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS). Die JSPS unterstützt den wissenschaftlichen Nachwuchs und fördert internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit. Sie vergeben in Kooperation mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) Stipendien für Master-Studierende und Promovierende mit Interesse an japanischen Hochschulen. Es findet ein einwöchiger Einführungskurs in die japanische Sprache und Kultur sowie ein neunwöchiger Forschungsaufenthalt statt. Das Stipendium beinhaltet ein internationales Hin- und Rückflugticket, eine Stipendienrate in Höhe von 534.000 円 (ca. 3.375 €) sowie eine Kranken- und Unfallversicherung.
Voraussetzung für das Stipendium war, ein:e Professor:in an einer japanischen Universität zu finden, die mein Forschungsvorhaben betreuen würde. An der Kyoto Universität im Fachbereich Human Health Sciences erhielt ich die Zusage der assoz. Professorin Sayaka Takenōchi. Ihr Forschungsgebiet ist Ethik in der Pflege. Mir war wichtig, das Forschungsprojekt in Japan mit meinem Promotionsthema zu verknüpfen. Im Rahmen einer internationalen Literaturrecherche identifizierte ich viele dilemmatische Situationen in der psychiatrischen Pflege aus dem englischsprachigen und skandinavischen Raum, die auf Schlüsselprobleme hinweisen. Ein Beispiel für ein Schlüsselproblem der gerontopsychiatrischen Pflege in Deutschland ist die „Theorie der besonderen Ungewissheit im Handeln“ von Thomas Evers (2012). Die Ungewissheit der Pflegekräfte im Handeln mit zu Pflegenden in der Gerontopsychiatrie bezieht sich zum Beispiel auf die nicht eindeutig erkennbaren Bedürfnisse der zu Pflegenden sowie auf die darauf bezogene Ungewissheit bei der Wahl geeigneter Pflegeinterventionen (ebd). Allerdings fand ich keine japanischen Studien. Hier sah ich einen Anknüpfungspunkt zwischen meiner Promotion in Deutschland und meiner Forschung in Japan. Ziel des Forschungsvorhabens an der Kyoto Universität war es, mehr über berufstypische Dilemmata in der psychiatrischen Pflege in Japan zu erfahren.
Ich führte ein Interview mit Prof. Dr. Chiba von der Kyoto Universität im Fachbereich Human Health Sciences. Ihr Schwerpunkt ist die psychiatrische Pflege am Fachbereich Human Health Sciences. In Japan wird der größte Teil der psychiatrischen Versorgung im Kliniksetting durchgeführt, weil es zu wenige ambulante Angebote für psychisch erkrankte Menschen gibt. Psychiatrisch Pflegende befinden sich deswegen in einer widersprüchlichen Situation. Einerseits möchten sie zu Pflegende bestärken, ein selbstbestimmtes Leben als Teil der Gesellschaft zu führen, andererseits wissen sie um den Mangel an ambulanter Betreuung. Viele psychisch erkrankte Menschen verbleiben länger im Kliniksetting als nötig. Für psychiatrisch Pflegende löst diese Diskrepanz moralischen Stress aus. Prof. Dr. Chiba berichtete, dass eine solche Belastung Pflegekräfte dazu bewegen kann, die psychiatrische Pflege zu verlassen: „Nurses should encourage the discharge but it’s not effective at this moment. The community care for patients with mental illness has been cultivating now. It’s not matured yet. So nurses may feel that they are helpless. Sometimes they feel it’s a hopeless situation. They can’t encourage the patients to discharge and to live in the community. And eventually they feel that they can’t keep working at psychiatry anymore and they resign to work at japanese psychiatric hospitals.“ Moralischer Stress ist ein Problem, das auch psychiatrisch Pflegenden hierzulande ausreichend bekannt ist und zur Verschärfung des Personalmangels in diesem Bereich beiträgt.
Zum Abschluss meines Aufenthaltes hielt ich einen Vortrag, an dem Kolleg:innen, Studierende, Promovierende und psychiatrisch Pflegende teilnahmen. Es entstand ein reger Austausch. Die Pflegenden der psychiatrischen Station des Kyoto Universitätsklinikums bestätigten das Dilemma, von dem ich im Interview erfuhr. Wir stellten fest, dass es trotz kultureller Unterschiede Gemeinsamkeiten bei den Herausforderungen der psychiatrischen Pflege gibt. Die internationale Relevanz und Übertragbarkeit meines Promotionsthemas wurden nochmals deutlich.
Der Aufenthalt in Japan hat mich sehr bereichert. Dementsprechend möchte ich allen Studierenden und Kolleg:innen unseres Fachbereichs, die sich für einen Auslandsaufenthalt interessieren, Mut und Zuversicht zusprechen. In diesem Sinne: 頑張ってくだ さい! J