Transfer im Wirtschaftsrecht: Steigende Regulatorik, hohe Innovationsgeschwindigkeit und spannende Herausforderungen für Unternehmen
„Die Arbeitswelt von Unternehmen wird geprägt durch eine stetig steigende Regulatorik gepaart mit einer hohen Innovationsgeschwindigkeit“, erklärte Prof. Dr. Christiane Nitschke gleich zu Beginn des Sommersemesters den 18 Masterstudierenden im Projekt ‚Wirtschaftsrecht im Transfer‘. Wie die jungen Wirtschaftsrechtler:innen diesen Herausforderungen in der Praxis begegnen können, lernen sie in dem neu konzipierten Modul an der HSBI.
Die Auftaktveranstaltung des Master-Moduls im Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bielefeld (HSBI) im April war eher ungewöhnlich, denn im Publikum saßen nicht nur die Studierenden, sondern auch Unternehmensvertreter:innen. Diese brachten aktuelle Challenges aus ihrem Arbeitsalltag mit: Fragen, die in kleinen Teams während des Sommersemesters bearbeitet wurden und anschließend Open Source zur Verfügung gestellt werden. Jetzt im Juli fanden die Abschlusspräsentationen statt. Für die Studierenden besteht die Prüfungsleistung im Projekt ‚Wirtschaftsrecht im Transfer‘ aus der Präsentation, einem Abschlussbericht und einem Abstract.
WAGO: Nachhaltigkeitsgesetzgebung
Ein breites Themenspektrum brachten Astrid Burschel, Kathrin Sawatzky, Pauline Ulbrich und Dr. Hatice Söyler von WAGO mit: Die Teams, die sich für die WAGO-Challenges entschieden haben, beschäftigten sich alle mit Nachhaltigkeitsgesetzgebungen. Eine Gruppe erstellte ein „Trendradar Nachhaltigkeitsgesetzgebung“. Ihr Fazit: In der EU wurden bereits zahlreiche Maßnahmen verabschiedet oder sind konkret in Planung. Die Gesetze folgen klar dem Leitbild des Green Deals und es gibt hohe Sanktionen bei Verstößen. In den von ihnen beleuchteten Ländern im europäischen Ausland liegt der Fokus in der Nachhaltigkeitsgesetzgebung hingegen mehr auf Berichterstattungspflichten. Hier gibt es teilweise unverbindliche Standards oder geringe Sanktionen, wie z.B. in den USA, der Schweiz und dem Vereinte Königreich. Im asiatischen Raum gibt es weniger konkrete Gesetze.
Ein anderes Team stellte die Green Claims-Richtlinie vor und untersuchte die Werbemaßnahmen von WAGO in Zusammenhang mit der Produktserie „Green Range“. Es wird klar: Wenn die Richtlinie auf nationaler Ebene so umgesetzt wird, kommt auf alle Unternehmen in Hinblick auf Werbeaussagen ein enormer Aufwand zu. Auch die derzeit heftig diskutierte Umsetzung der Lieferkettenrichtlinie in deutsches Recht und die dabei bestehenden Möglichkeiten für den Gesetzgeber stehen im Fokus. Eine Gruppe hat den Sprung ins kalte Wasser gewagt und sich mit der für sie bis zum Projektbeginn noch weitgehend unbekannten Product Sustainability-Regulierung befasst: REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals - Europäische Chemikalienverordnung), RoHS (EU-Richtlinie Restriction of Hazardous Substances) und CBAM (EU-Verordnung Carbon Border Adjustment Mechanism).
„Wir haben heute spannende Vorträge von den Studierenden gehört. Für uns war es interessant zu sehen, wie beispielsweise das Team ‚Green Claims‘ unser Marketing analysiert. Insgesamt haben die Studierenden qualitativ sehr hochwertig gearbeitet “, fasst Kathrin Sawatzky von WAGO nach den Abschlusspräsentationen zusammen. Und vielleicht ergibt sich aus dem ein oder anderen Thema ja auch eine Masterarbeit.
Biehn & Professionals: Nutzung von KI-Systemen
Saskia Vohns und Erik Hallmann von der Biehn & Professionals GmbH wünschten sich von den Wirtschaftsrecht-Studierenden eine Muster-Richtlinie zur Nutzung von KI-Systemen in Unternehmen. Diese soll klare Handlungsanweisungen und Best Practices enthalten, um personenbezogene Daten zu schützen und die Einhaltung der relevanten Datenschutzgesetze sicherzustellen. Besonders zu beachten war hierbei – neben der DSGVO – die kürzlich verabschiedete KI-Verordnung der Europäischen Union, die erstmalig einen Rechtsrahmen für die Nutzung von Künstlicher Intelligenz festlegt.
THOST Projektmanagement: Vertragsmanagement
Um KI ging es auch bei der THOST Projektmanagement GmbH: Silke Behrens und Viktoria Hunsche brachten aus dem Bereich Vertragsmanagement zwei Challenges mit: Wie kann eine KI-Software entwickelt werden, die die Vertragsanalyse im Bereich Industrie-, Immobilien- und Infrastrukturprojekte unterstützt, unter Berücksichtigung von rechtlichen, technischen und ethischen Aspekten? Und: Wie können Verträge gestaltet werden, die die Dynamiken des heutzutage immer häufiger genutzten hybriden Projektmanagements für alle Vertragsparteien fair berücksichtigen? Die Studierenden beschäftigten sich hierbei mit Modellen wie der integrierten Projektabwicklung (IPA) und Bonus-Malus-Regelungen z.B. im Bereich der Preisgestaltung. Silke Behrens Fazit zur Veranstaltung: „Ein tolles Projekt! Es ist schön, dass die Studierenden Zeit und Ressourcen haben, sich mit Fragen zu beschäftigen, die für uns zwar wichtig sind, für die wir im Arbeitsalltag jedoch keine Zeit finden. Für uns ist die Teilnahme eine Bereicherung.“
Neues Modul unterstützt vom Transferprojekt InCamS@BI
Organisiert wurde die Veranstaltung von der Forschungsgruppe Wirtschaftsrecht im Transferprojekt InCamS@BI (Innovation Campus for Sustainable Solutions): Kristin Maoro, Micha Steiner und Prof. Dr. Christiane Nitschke. Einen Impulsvortrag zur aktuellen Nachhaltigkeitsgesetzgebung hielten Kristin Maoro und Micha Steiner zu Beginn der Veranstaltung: Sie erklärten die Grundlagen der EU-Gesetzgebungsakte und den Green Deal als Grundlagenprogramm zur Nachhaltigkeit. Außerdem stellten sie einige der für die Studierenden relevanten Gesetzgebungen vor: die Lieferketten-Richtlinie CSDDD, die kommende EU-Ökodesign-Verordnung, die Taxonomie-Verordnung, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sowie die Green Claims Richtlinie.
Christiane Nitschke resümiert: „Das Projekt war für uns ein voller Erfolg: Die Studierenden haben einen Vorgeschmack auf die Anforderungen an das Arbeiten nach Abschluss ihres Studiums bekommen. Sie mussten sich die für die Problemlösungen relevanten Informationen eigenständig beschaffen und dabei mit Nichtjuist:innen kommunizieren. Für uns ist es wichtig, den Studierenden auch solche Schnittstellenkompetenzen zu vermitteln. Sie sind ein Kennzeichen unseres neu konzipierten Master-Studiengangs Wirtschaftsrecht und für die Arbeit in der von Agilität geprägten Arbeitswelt essentiell“, fasst die Expertin für Wirtschaftsrecht zusammen. „Für uns als Hochschule ist es zudem spannend zu erfahren, mit welchen Herausforderungen und Gedanken sich die Wirtschaft beschäftigt, insbesondere im Hinblick auf die aktuell verabschiedete Regulatorik der EU. Genau da können wir anknüpfen mit unserer praxisorientierten Forschung, zum Beispiel über Projekte wie den Innovation Campus for Sustainable Solutions, InCamS@BI, und rechtliche Vorgaben von Beginn an in der Entwicklung technischer Innovationen mitdenken. Es gibt also viel zu tun, bis das Master-Projekt Wirtschaftsrecht im Transfer im Frühjahr 2025 in nächste Runde geht.“ (gs)
Über InCamS@BI
Mit InCamS@BI, dem Innovation Campus for Sustainable Solutions, positioniert sich die HSBI als innovative Transferakteurin im Feld der Kreislaufwirtschaft. In dem fächerübergreifenden Projekt werden Ideen generiert und Lösungen entwickelt, um Kunststoffe und deren Handhabung für eine Kreislaufwirtschaft zu optimieren. Mit innovativen Formaten und einem interdisziplinären Team gestaltet InCamS@BI den Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. In dem Projekt werden forschungsbasierte Transferstrukturen systematisch entwickelt, aufgebaut und erprobt.
InCamS@BI wird im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule” von 2023 bis 2027 gefördert.