An der FH Bielefeld arbeitet ein Forschungsteam daran, die Morphologie von elektrogesponnenen Nanofaservliesen zu verbessern. Diese faszinierend feinen Textilien könnten wichtige Bausteine sein für die Computer der Zukunft. Das Thema und die Arbeiten an der FH schafften es nun auf die Titelseite einer der weltweit führenden Zeitschriften für Magnetochemie.
Bielefeld (fhb). Ein Rechner, der nach dem gleichen Prinzip funktioniert wie das menschliche Gehirn. Superschnell. Enorm energieeffizient. Der lernen und wieder vergessen kann. Und dazu auch noch sehr ressourcenschonend gefertigt ist. Im Moment klingt das wie Science-Fiction. Doch das neuromorphe Computing macht in der Wissenschaft rasante Fortschritte. Und einer der Stoffe, aus dem diese Denkmaschinen der Zukunft hergestellt werden können, wird von einem Forschungsteam an der Fachhochschule (FH) Bielefeld bereits produziert und fortwährend verbessert.
Sechs Jahre Erfahrung mit der Elektrospinn-Maschine
Der kluge Kopf, der hinter dieser Entwicklungsarbeit steckt, heißt Al Mamun und hat in seiner Heimat Bangladesch Lederingenieurwesen studiert. Sein Zweitstudium in Textilmanagement an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach qualifizierte ihn zum Experten für Nanofaservliese – eben eines jener Materialien, das neuromorphe Rechner möglicherweise zum Denken nutzen können. „Dabei habe ich auch Dr. Lilia Sabantina kennengelernt, mit der zusammen ich nun eine Coverstory in der Zeitschrift Magnetochemistry veröffentlicht habe“, berichtet Mamun.
Die Arbeit mit dem etwas sperrigen Titel „Investigation of the Morphological Structure of Needle-Free Electrospun Magnetic Nanofiber Mats“ entstand an der FH Bielefeld. „Hier leite ich eine kleine Gruppe von Nachwuchsforschern“, sagt Materialwissenschaftlerin Sabantina vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik an der FH. „Seit sechs Jahren verfügen wir über eine wunderbar leistungsfähige Elektrospinn-Maschine des tschechischen Herstellers Elmarco, mit der wir verschiedene Nanofaservliese produzieren können.“
Ein starkes elektrisches Feld macht Polymer-Fäden superdünn
„Nanospider“ heißt das 60 x 80 x 180 Kubikzentimeter große Gerät, das zunächst einmal aus viel freiem Raum hinter Glas besteht. Unten befindet sich ein Metalldraht, auf dem eine mit honigartiger Flüssigkeit gefüllte Box entlangfährt. „Es handelt sich dabei um Polyacrylnitril, das in ungiftigem Dimethylsulfoxid gelöst ist“, erklärt Lilia Sabantina. Entscheidend ist, was man nicht sieht: ein starkes elektrisches Feld. Das sorgt im Zusammenspiel mit der Oberflächenspannung der Polymerlösung dafür, dass die Tropfen von unten nach oben fliegen und dabei zwischen 100 und 300 Nanometer dünne Fäden bilden, während sich das Lösungsmittel verflüchtigt. Und ein Nanometer, also Milliardstel Meter, ist wirklich klein: Er verhält sich zu einem Meter wie der Durchmesser einer Haselnuss zu dem der Erde.
Magnetische Partikel sind der Clou der Nanofaservliese
„Das Ganze ist ein bisschen wie die Herstellung von Zuckerwatte“, sagt Al Mamun und lacht. Es entsteht ein ultraleichtes Textil – einen halben Meter breit –, das auch aufgerollt werden kann. „Und genau wie Zuckerwatte klebt es besonders gut an den Fingern, allerdings aufgrund der elektrostatischen Aufladung. Also ist es besser, bei der Arbeit Handschuhe zu tragen.“
Der Clou an dem Nanofaservlies aus Bielefelder Produktion sind die magnetischen Partikel, mit denen es gespickt ist: „Durch diese Teilchen erhält das Nanofaservlies ganz spezifische Eigenschaften, die für viele Anwendungen sehr nützlich sind“, erläutert Mamun. „Die große Herausforderung ist die möglichst gleichmäßige Verteilung der Partikel, weil sie aufgrund der magnetischen Anziehung dazu neigen, Klümpchen zu bilden.“
Auf der Suche nach den optimalen Parametern
Ein anderes wichtiges Qualitätsmerkmal der Nanofaservliese ist ihre morphologische Struktur. Wie dünn sind die Fäden? Wie stark sind sie miteinander verbunden? Wie uniform ist das entstandene Muster? Das lässt sich mit bloßem Auge freilich nicht erkennen. „Deshalb arbeiten wir eng mit Michaela Klöcker zusammen, die für unsere Studie Rasterelektronenmikroskop-Bilder beigesteuert hat“, sagt Dr. Sabantina.
Der Laie sieht darauf nur ein bizarres, irgendwie dschungelartiges Geflecht. Experten wie Al Mamun erkennen dagegen auf den Bildern Erfolg und Misserfolg ihrer Arbeit. Und die besteht vor allem aus: testen, testen, testen. „Wir sind immer auf der Suche nach den optimalen Elektrospinn-Parametern für bestimmte Polymere“, sagt Mamun. „Und davon gibt es sehr viele.“ Die angelegte elektrische Spannung, die Beschaffenheit des Lösungsmittels, der Abstand der Elektroden, Temperatur und Luftfeuchtigkeit – all das wirkt sich auf die Struktur der Nanofaservliese aus. „Es macht sogar einen Unterschied, ob es gerade Sommer oder Winter ist. Das ist eben Grundlagenforschung.“
Der Artikel hat einen hohen Stellenwert für die Wissenschaft
Die Veröffentlichung in Magnetochemistry hat für Al Mamun persönlich einen hohen Stellenwert. „Es ist für jeden Wissenschaftler eine Ehre, in diesem führenden Magazin eine Titelgeschichte zu bekommen“, sagt er. „Der Artikel spielt aber auch eine wichtige Rolle für meine kooperative Promotion, die ich bei Prof. Tomasz Blachowicz an der Silesian University of Technology in Polen und Prof. Andrea Ehrmann an der Fachhochschule Bielefeld schreibe. Darin geht es nämlich genau um die Morphologie von elektrogesponnenen Nanofaservliesen mit magnetischen Zusätzen.“
Das Bielefelder Forschungsteam leistet mit seiner Arbeit überdies einen Beitrag für die Weiterentwicklung des neuromorphen Computing. „Funktionalisierte Nanofaservliese sind dabei ein möglicher Ansatz für die Hardware“, erklärt Prof. Dr. Dr. Andrea Ehrmann vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der FH Bielefeld. „Sie enthalten zahlreiche Knotenpunkte, können magnetisch oder elektrisch leitfähig sein und zudem beispielsweise durch die Nutzung von Shape-Memory-Polymeren das Lernen und Vergessen realisieren können.“
Neuromorphe Chips bilden Neuronen und Synapsen eines Gehirns nach
Bei heutigen Computern sind Datenspeicher und Prozessor separate Bauteile. Der Datentransport zwischen ihnen ist ein Nadelöhr, das die Rechenleistung begrenzt und zudem den Energiebedarf erhöht. „Dieses Problem ließe sich lösen, wenn Daten in demselben Bereich gespeichert und verarbeitet würden, wie es auch im menschlichen Gehirn der Fall ist“, so Andrea Ehrmann. „Darauf basieren neuromorphe Rechner, deren Chips Neuronen und Synapsen nachbilden. Je nach Aufgabenstellung sind sie deutlich schneller und im Idealfall um mehrere Größenordnungen energieeffizienter als heutige Computer. Insbesondere für Künstliche Intelligenz, Bildverarbeitung, autonomes Fahren und andere komplexe Echtzeit-Aufgaben sind neuromorphe Rechner besser geeignet als herkömmliche Computer.“
Nanofaservliese können auch filtern und als Sensoren dienen
Allerdings gibt es noch eine ganze Reihe weitere Anwendungen für Nanofaservliese. Sie sind ein idealer Stoff, auf dem Zellen wachsen können. Sie schirmen empfindliche Laborgeräte von magnetischer Strahlung ab. Sie filtern unliebsame Substanzen aus Luft und Wasser. Und sie könnten Menschen in der Rehabilitation dabei unterstützen, die Funktionalität ihrer Finger zu verbessern.
„Daran arbeiten Al Mamun und ich als nächstes zusammen“, verrät Lilia Sabantina. „Im Rahmen eines Start-ups wollen wir mit zwei weiteren Kolleginnen eine Therapieweste für Menschen mit Beeinträchtigungen entwickeln.“ An dieser Weste befinden sich Reißverschlüsse, Haken, Knöpfe und verschiedene taktile Flächen, an denen die Patienten ihre Finger und ihren Bewegungsapparat trainieren können. „Und unser Nanofaservlies dient dabei als Sensor, um den Therapieerfolg zu messen.“ (poe)