Campus Gütersloh: Virtual-Reality-Pilotprojekt macht Steuerungstechnik für Studierende interaktiv erlebbar
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Studierende am Campus Gütersloh können dieses Semester in eine virtuelle Realität abtauchen, um ihre Programmierungen für eine Aufzugsanlage live zu testen – VR-Technologie macht es möglich.
Gütersloh (fhb). Ein kurzer Druck auf die Stockwerktaste: Langsam gleitet die gläserne Tür des Aufzugs zu. Die Kabine setzt sich in Bewegung, weiter und weiter nach oben. Autos und Bäume werden kleiner. Es kribbelt im Bauch – und das mit jedem Meter mehr. Für viele ein typisches Gefühl bei einer Fahrt mit einem Außenfahrstuhl. Doch: Was sich wie eine Fahrt in einem realen Aufzug anfühlt, ist in diesem besonderen Fall eine Täuschung der Sinne. Statt in einem Fahrstuhl spielt sich die geschilderte Situation in einem Seminarraum auf dem Campus Gütersloh ab – involviert sind ein Controller und eine große, blickdichte Brille, ähnlich einer Skibrille: Es handelt sich um eine computergenerierte Wirklichkeit, eine sogenannte virtuelle Realität (VR), die von Wissenschaftlern des Campus Gütersloh der Fachhochschule (FH) Bielefeld entworfen wurde und mithilfe einer VR-Brille erlebbar ist.
Virtuelle Versuchsanlage als Übung für Studierende
Vier Stockwerke umfasst das Gebäude in dieser virtuellen Realität. Das Besondere: Das Simulationsmodell ist haargenau so aufgebaut wie eine reale Aufzugsanlage mit Antrieben für die Türen, Seilwinde, Rufknöpfen, Aufzugsteuerungstasten und Sensoren, mit denen unter anderem die Position der Kabine während der Fahrt erfasst wird. Auf diese Weise müssen bei der Programmierung der virtuellen Anlage exakt die gleichen Schritte unternommen und Steuerungsalgorithmen entwickelt werden wie bei einem echten Aufzug. Eine optimale Übung für angehende Ingenieurinnen und Ingenieure, wie Prof. Dr. Christian Stöcker und Moaid Othman, die Entwickler der virtuellen Anlage, betonen. Die beiden FH-Wissenschaftler haben die Fahrstuhlsimulation konzipiert, um den Studierenden der Lehrveranstaltung „Industrielle Steuerungstechnik“ eine VR-Versuchsanlage für eigene Programmierübungen zur Verfügung zu stellen.
Mehr Möglichkeiten durch Virtual Reality
„Virtuelle Versuchsanlagen brauchen nur wenig Platz, sind kostengünstig und können schnell aufgebaut und flexibel verändert werden. Sie sind eine optimale Ergänzung unserer bestehenden Laborinfrastruktur auf dem Campus.“
Prof. Dr. Christian Stöcker, Professor für Steuerungs- und Automatisierungstechnik am Campus Gütersloh
Ein Pilotprojekt, das viele Vorteile sowohl für die Studierenden als auch Lehrenden mit sich bringt: „Versuchsanlagen sind ein wichtiger Bestandteil im Ingenieurstudium, um theoretisch erlerntes Wissen in die Praxis umzusetzen und die Anwendbarkeit und Grenzen von Methoden anhand praktischer Problemstellungen zu erproben“, erklärt Prof. Dr. Christian Stöcker, Professor für Steuerungs- und Automatisierungstechnik am Campus Gütersloh. „Der finanzielle und personelle Aufwand für die Errichtung und den Betrieb dieser Anlagen in einem Labor ist jedoch überaus groß und spontane Änderungen sind nicht so leicht umzusetzen. Versuchsanlagen in der virtuellen Realität brauchen hingegen nur wenig Platz, sind kostengünstiger und können schneller aufgebaut und flexibel verändert werden. Sie sind daher eine optimale Ergänzung unserer bestehenden Laborinfrastruktur auf dem Campus.“
Praktische Erfahrungen in Lehrveranstaltung
Im Fall des Pilotprojekts programmieren die Studierenden selbstständig die Steuerung der virtuellen Aufzugsanlage und koppeln ihr entwickeltes Steuerungssystem mit der Anlage. Mithilfe einer VR-Brille können sie dann in die virtuelle Welt „abtauchen“, um ihren programmierten Aufzug live zu testen und das Verhalten ihrer Steuerungsalgorithmen aus erster Hand, interaktiv zu erleben.
„Das ist deutlich anschaulicher für die Studierenden, als die Ergebnisse nur in Kurvenverläufen oder Zahlenwerten anschauen zu können“, erklärt Moaid Othman, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik. Der 44-Jährige hat die ersten Schritte für die virtuelle Versuchsanlage bereits im Rahmen seiner Masterarbeit unternommen, die er vergangenes Jahr an der FH Bielefeld abgeschlossen hat.
Vorbereitung auf das Berufsleben
Dementsprechend weiß er um die Fähigkeiten und Bedeutung von VR als praxisnahe und zukunftsweisende Technologie: „Wir wollen mit der virtuellen Versuchsanlage nicht nur den Studierenden ihre eigene Arbeit erfahrbar machen und ihnen ein praktisches Anwendungsszenario liefern, sondern eine innovative Technologie in das Studium einführen, die unsere Lehre noch spannender und greifbarer macht. Außerdem handelt es sich bei Virtual Reality um eine Technologie, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Unsere Absolventinnen und Absolventen werden auch im späteren Berufsalltag häufig mit ihr in Berührung kommen.“
Ausblick auf mehr
Sollte sich das Pilotprojekt in diesem Semester bewähren, steht bei Christian Stöcker und Moaid Othman bereits die nächste Idee für eine Simulation in den Startlöchern: Ein virtueller Containerhafen mit Verladebrücke. Hier sollen die Studierenden den Kran so programmieren, dass die Container, ohne stark zu schwingen, an einem bestimmten Abstellort positioniert werden können – eine neue, virtuelle Herausforderung, die im Rahmen einer realen Versuchsanlage kaum umsetzbar wäre. (abo)