Technologie für die Medizin: FH-Studierende entwickeln Mikrowellen-Plasmaquelle
‹
›
Für ihre Studienarbeit im Bachelor-Studiengang Elektrotechnik entwickeln Daniel Alkemeier und Silvan Linke eine Mikrowellenquelle für sogenanntes kaltes Plasma. Das lilafarbene „Licht“ wird mit Hilfe von Hochfrequenzelektronik erzeugt und kann beispielsweise zur Desinfektion von Wunden eingesetzt werden – ein Laborbesuch.
Bielefeld (fhb). Unzählige Kabel, nach Farben und Längen säuberlich sortiert, Stecker, Anschlüsse, verschiedenste Messgeräte, Kontrollbildschirme – das Labor für Hochfrequenzelektronik der FH steckt voller Technik. Mittendrin sitzen Silvan Linke und Daniel Alkemeier und schauen konzentriert auf eine unscheinbare, mit einem Alu-Bändchen beklebte kleine Platte, eine Platine. Das flache Ding ist angeschlossen an ein Kästchen, in das mehrere Kabel führen. Am anderen Ende hängen unter anderem eine Gasflasche und ein Hochfrequenzverstärker.
Alkemeier dreht an einem Knopf, Linke führt einen feinen Draht ans Ende des Alu-Bändchen, und es passiert … nichts. „Das ist der Vorführeffekt!“, sagt Linke. Die beiden Studierenden müssen lachen. Denn eigentlich funktioniert ihre Rekonstruktion einer Mikrowellen-Plasmaquelle, davon zeugt ein Brandfleck auf der Arbeitsplatte. „Bei einer Plasmazündung kann es auch schon mal heiß werden“, erläutert Alkemeier.
Ein künstlich hergestellter Blitz? Plasma ist der vierte Aggregatzustand
Das Plasma selbst wird als vierter Aggregatzustand bezeichnet, neben „fest“, „flüssig“ und „gasförmig“. Auf der Erde kommt es in natürlicher Form zum Beispiel als Blitz vor. „Aber Plasma lässt sich auch technisch herstellen, indem man einem Gas kontinuierlich weiter Energie zuführt“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Schultheis, im Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik zuständig für das Lehrgebiet Grundlagen der Elektrotechnik und Hochfrequenzelektronik. „Je nachdem, welches Gas genutzt wird und welche Frequenz das anregende elektrische Signal hat, verändern sich die Eigenschaften des entstehenden Plasmas, und es kann für verschiedene Zwecke eingesetzt werden.“
Hier kommen Plasmen vor: Bildschirme, Neonröhren, Energiesparlampen
Plasmen finden sich seit langem etwa in Neonröhren, Energiesparlampen oder Bildschirmen. Aber: Die Erzeugung eines Plasmas mit Hilfe der Hochfrequenzelektronik im auch für Forschungszwecke freigegebenen „ISM-Frequenzband“ um 2.4 GHz herum ist dagegen ein noch relativ junges wissenschaftliches Feld. Grund genug für Schultheis, eine Studienarbeit zum Thema zu vergeben und gemeinsam mit Dipl.-Ing. Carsten Fromm zu betreuen.
Besonderer Wert wird an der FH auf die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse gelegt
Plasma – der vierte Aggregatzustand
Plasma ist neben fest, flüssig und gasförmig der vierte Aggregatzustand. Plasma lässt sich aber auch technisch herstellen, indem man einem Gas kontinuierlich weiter Energie zuführt.
Der Professor legt dabei besonderen Wert auf die Verbindung von theoretischen Erkenntnissen mit dem praktischen Funktionsnachweis im Labor: „Eine wissenschaftliche Publikation theoretisch nachzuvollziehen, ist das eine. Deren Erkenntnisse im Labor konkret am Prototypen zu verifizieren und dabei auch praktisch jedes Detail im Griff zu haben, ist noch einmal etwas ganz Anderes. Es gibt immer Tricks oder Kniffe, die man in einer wissenschaftlichen Publikation nicht sieht und die man nur durch systematische Entwicklungsarbeiten im Labor überwinden kann. Das Labor muss dabei natürlich auf dem technischen Stand sein, die wissenschaftlichen Herausforderung bewältigen zu können.“ In diesem Fall wurde die Arbeit durch die Unterstützung der Gesellschaft der Förderer, Freunde und Ehemaligen der Ingenieurausbildung der Fachhochschule Bielefeld (GFFE e.V.) ermöglicht, die den notwendigen Leistungsverstärker finanziert hat.
Die Verbindung von theoretischer Wissenschaft mit der systematischen Verifikation der theoretischen Erkenntnisse in den Laboren ist in den Ingenieurwissenschaften fester Bestandteil des Studiums an der FH Bielefeld. Für Silvan Linke und Daniel Alkemeier war genau das der spannendste Teil ihrer Studienarbeit: „Es ist toll, nicht alles nur über den Kopf zu machen, sondern direkt Verschiedenes – wohl bedacht – auszuprobieren und so das eine oder andere ausschließen zu können“, sagt Linke.
Unbekannte Herausforderungen mit der Hochfrequenzelektronik
Bis es soweit war, galt es aber doch, die theoretische Vorarbeit zu leisten: Die Hochfrequenzelektronik war die erste Herausforderung für die Studierenden. „Sie schmeißt das bisher Gelernte etwas über den Haufen“, erklärt Alkemeier. „Denn im Hochfrequenzbereich spielen Effekte wie der Wellencharakter der Spannung eine viel größere Rolle als in niedrigeren Frequenzbereichen. Dort würden die Effekte erst zum Tragen kommen, wenn die Leitungen über viertausend Kilometer lang wären.“ Die parallel laufende Vorlesung zur Hochfrequenzelektronik von Prof. Schultheis half beim Verständnis.
Auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Artikels erstellten die Studierenden schließlich eine Simulation der geplanten Plasmaquelle am Rechner und machten sich an die Materialbeschaffung. Die nächste Herausforderung: „Wir brauchten ganz spezielle Maße für unsere Substratplatte, die es standardmäßig nicht gab”, erzählt Silvan Linke. Nach mühevoller Recherche und etlichen Telefonaten konnte die gewünschte Platte schließlich doch geliefert werden.
Wichtiger Lerneffekt: Auf Teamarbeit und Details kommt es an!
Einfacher war es mit dem Material für die Streifen-Leitung: „Da sind wir einfach in den Baumarkt gegangen und haben eine Rolle Aluminium-Klebeband gekauft.“ Im Labor setzten Linke und Alkemeier ihre Platine aus Substratplatte, Streifen-Leitung und SMA-Stecker zusammen, schlossen sie erwartungsvoll an und waren frustriert: Keine Spur von Plasma, die Zündung hatte nicht funktioniert. Alkemeier: „Gut, dass wir im Team gearbeitet haben, geteiltes Leid ist halbes Leid.“
„Genau so funktioniert die reale Ingenieurarbeit, sie ist Teamarbeit“, sagt Rüdiger Schultheis. „Und was in der Theorie ein vielversprechender Ansatz ist, muss in der Praxis oft noch angepasst werden.“ So waren die Studierenden auch mit ihren weiteren Arbeitsschritten nah dran am Ingenieursalltag: modifizieren, testen, modifizieren, testen, modifizieren, testen... Mehrere Tage arbeiteten Linke und Alkemeier durch, versetzten die sogenannte Impedanzanpassung oder Leistungsanpassung auf der Streifen-Leitung in Millimeter-Schritten, um das elektrische Signal dort zu haben, wo es benötigt wurde. Beim nächsten Test war es dann soweit: Am Ende der Streifenleitung glühte es Lila, die ersehnte Plasmazündung war ausgelöst worden! „Wir haben fast gekreischt vor Freude“, erinnern sich die beiden angehenden Ingenieure der Elektrotechnik vergnügt.
Chancen für die Medizintechnik: ein lila Licht, das es in sich hat
Die Freude ließen sie sich auch nicht von ihren Kommilitonen nehmen, die bisweilen über das „schöne lila Licht“ lästerten. Denn das lila Licht hat es in sich: „Es ist sogenanntes kaltes Plasma, das mit Hochfrequenzelektronik erzeugt wird. Es kann zum Beispiel in der Medizintechnik eingesetzt werden zur Desinfektion von Wunden oder auch Flächen“, beschreibt Rüdiger Schultheis die Einsatzmöglichkeiten. Auch die Studierenden wollen nicht ausschließen, später noch einmal mit der Hochfrequenzelektronik zu arbeiten. Die vielen Fehlversuche haben sie nicht abgeschreckt, im Gegenteil: „Umso toller war es, als es schließlich doch funktioniert hat.“ Daniel Alkemeier dreht noch einmal an einem Knopf, Silvan Linke führt einen feinen Draht an die Platine, und dann passiert es: Ein lilafarbenes Licht erstrahlt im Labor. (uh)