Oberbürgermeister Pit Clausen blickte zur Eröffnung der Veranstaltung im Großen Saal auf die wirtschaftliche Entwicklung zurück, die Bielefeld in den Jahren 2016 und 2017 durchlaufen hat. Mit ostwestfälischem Understatement bezeichnete er diese als „ganz ordentlich“. „Wären wir Kölner würden wir auf dem Tisch tanzen“, fügte er schmunzelnd hinzu. Die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse seien auf Rekordniveau gestiegen und zugleich sei die Quote der Arbeitslosen mit derzeit 7,8 Prozent historisch niedrig. Und Bielefeld wächst. 337.000 Menschen leben momentan in der Stadt. Daraus ergeben sich zahlreiche Herausforderungen, wie z. B. mehr städtische Flächen für bezahlbaren Wohnraum, mehr Gewerbeflächen, intelligente Verkehrssteuerung, die gleichzeitig Schadstoffe und Lärmbelästigung reduzieren und nicht zuletzt eine gute digitale Infrastruktur. Beim Thema Ausbildung ging Pit Clausen in die Offensive: Mit einer finanziellen Unterstützung will er Unternehmen ermutigen, Ausbildungsplätze zu schaffen. Er verspricht jedem Unternehmer, der in 2018 oder 2019 einen Ausbildungsplatz schafft, drei Bewerber-/innen zu vermitteln. Dass Bielefelder Unternehmen für Job- und Karrierechancen immer bekannter werden, sei auch Ergebnis der erfolgreichen WEGE- Kampagne „Das kommt aus Bielefeld“, die seit vier Jahren auf allen medialen Kanälen zeige, dass es sich lohne, in Bielefeld zu arbeiten.
Pit Clausen betonte, dass sich Wirtschaft und Arbeitswelt durch die Digitalisierung rapide verändern werden. Um für diese Herausforderung gewappnet zu sein, will der Oberbürgermeister eine „Zukunftsstrategie Bielefeld 2030 für Wirtschaft und Arbeit“ auf den Weg bringen – die WEGE soll in einem dialogischen Prozess mit Unternehmen, Wissenschaft und Verbänden fokussiert auf Bielefeld Trends, Denkanstöße und Perspektiven konzeptionieren und formulieren.
Im Anschluss kamen in vier Talkrunden zehn Unternehmerinnen und Unternehmer zu Wort, die die bunte Vielfalt der Bielefelder Wirtschaft abbildeten – Start-ups und bereits etablierte Unternehmen, die maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg der Stadt beitragen. Moderiert wurde der Talk von Matthias Wolk (realTV group GmbH & Co. KG) und Brigitte Meier (WEGE mbH).
Als Erstes standen Wilhelm Alexander Böllhoff und Prof. Dr. Natalie Bartholomäus auf dem Podium. Brigitte Meier dankte dem geschäftsführenden Gesellschafter Wilhelm Alexander Böllhoff für die Nutzung des Claims „Wir schaffen Verbindungen“, den die Böllhoff Gruppe seit mehreren Jahren nutzt und nun modifiziert hat: „Begeisterung durch erfolgreiche Verbindungen“. Das Familienunternehmen mit 140-jähriger Tradition mit 45 Gesellschaften an 40 Standorten in 24 Ländern ist auch durch sein gutes Recruiting so erfolgreich am Markt. „Abgesehen von China haben wir an unseren internationalen Standorten einen `Local` an der Spitze“, betont Wilhelm Alexander Böllhoff. Mit internationalen Führungskräften kennt sich seine Gesprächspartnerin Prof. Dr. Natalie Bartholomäus von der Fachhochschule Bielefeld bestens aus. Sie ist Initiatorin des Projekts „CintQoop“, das die Zusammenarbeit zwischen der FH Bielefeld und regionalen Unternehmen im internationalen Kontext stärken soll. Dazu gehört auch die interkulturelle Schulung von Mitarbeitenden. „In China ist man beispielsweise nicht so direkt wie in Deutschland. Ein ,Ja‘ kann auch einfach nur bedeuten, dass der Gesprächspartner seine Aufmerksamkeit im Gespräch unterstreicht, heißt aber nicht unbedingt Zustimmung“, berichtet die FH-Professorin. Das Modul „Interkulturelles Projektmanagement“, das im Sommersemester angeboten wird, stieß auf reges Interesse der Podiumsteilnehmer.
Die zweite Talkrunde stand im Zeichen der Gründer. Julia Trulley ist Kommunikationsmanagerin bei der Founders Foundation und sorgt im Team für ein hochprofessionelles Unterstützungssystem für digitale Start-up-Gründungen in Bielefeld und der Region – eine Kaderschmiede für Start-ups, die bereits so einige Gründertalente mit ihren Ideen zur Marktreife gebracht hat. „Es ist diese besondere Atmosphäre im offenen Raum, in der wir auch eine Fehlerkultur zelebrieren“, skizziert Julia Trulley das Flair im sogenannten „Space“. „Es ist ein familiäres Umfeld. Jeder hilft jedem, denn Gründer stehen oftmals vor ähnlichen Hürden.“ Das kann Nicole Gdanietz von Swarms Technologies bestätigen. Ihre Gründung wurde von der Founders Foundation begleitet und ist aus KwiqJobs hervorgegangen– ein Marktplatz für mobile Mikrojobs, die in kurzer Zeit auf dem Smartphone erledigt werden können. „Wir helfen Unternehmen dabei, über neuronale Netze große Datenmengen zu verstehen“, bringt sie die Idee auf den Punkt. Auch Dr. Ingo Habenicht vom Ev. Johanneswerk berichtet von Erfahrungen mit einem Start-up. Mittels Caring Community sollte eine elektronische Nachbarschaftshilfe geschaffen werden. „Auf der Plattform konnte man zum Beispiel Dienste tauschen, Selbsthilfe organisieren oder Fahrgemeinschaften bilden“, berichtet der Vorstandsvorsitzende. Leider habe das Portal die Mitarbeitenden nicht erreicht, „die einen hätten schon genug Social Media und die anderen kein Interesse daran“. An dem Start-up hätte es nicht gelegen. Besonders innovativ ist das Ev. Johanneswerk, wenn es um neue Betreuungskonzepte geht. Im Projekt „Pflege stationär weiterdenken“ werden neben stationären Pflegeeinrichtungen, die sich zu sektorenübergreifenden, multiprofessionellen Pflegezentren weiterentwickeln, ambulante und stationäre Angebote integriert und verschiedene Dienstleistungen, Professionen und Angebotsformen unter einem Dach vereint.
In der dritten Talkrunde ging es u. a. um Gewerbeflächen. André Christ von Haak & Christ berichtete von der sehr guten Unterstützung durch die WEGE bei seinem ersten Bauvorhaben im „Niedermeyers Hof“ 2010. Haak & Christ importiert weltweit Seafood und Fisch und hat deshalb besondere Anforderungen an eine Immobilie: „Denn wir bewegen uns bei Temperaturen von minus 20 Grad.“ Gerade hat Haak & Christ am Firmensitz im Niedermeyers Hof einen Fisch-Direktverkauf eröffnet. „Wir wollten gern aus erster Hand erfahren, welche Vermarktungskonzepte bei den Kunden gut ankommen“, skizziert er die Idee dahinter. Großes Interesse bekundete er an der interkulturellen Schulung von Prof. Dr. Natalie Bartholomäus. „Für unsere Mitarbeitenden, die viel im asiatischen Raum unterwegs sind, ist das interessant. Wir müssen unsere Geschäftspartner verstehen und das ist keine Frage der Sprache.“
Gewerbeflächen sind auch das Thema von Jörg Schröder. Mit Alpha Industrial entwickelt, realisiert, erwirbt und verwaltet er seit zehn Jahren Gewerbe-, Logistik- und Serviceimmobilien. Mit einem hohen Invest entwickelt er derzeit das ehemalige AVA-Gelände an der Fuggerstraße. etEin nicht unerhebliches Risiko, dem er mit dem Credo „Die Dinge sind das, was man aus ihnen macht“, begegnet. Bis 2019 soll der 26 ha große Altstandort eine komplett neue Nutzung erfahren.
Bei zwei von drei Podiumsteilnehmern drehte sich in der letzten Talkrunde des Abends alles um frische Backwaren. Thomas Pollmeier, seit kurzem der erste und einzige Brot-Sommelier in OWL, sorgte schon vor 15 Jahren für gute Verbindungen. Er trat mit den Brüdern Lechtermann in Kontakt – inzwischen haben die Bäckereien Lechtermann & Pollmeier 35 Filialen und fahren eine Zwei-Marken-Strategie: Lechtermann als klassisches Fachgeschäft und Traditionsmarke (Gründung 1901) und Pollmeier als Bäckerei mit Erlebnischarakter. Wie auch bei den meisten Podiumsteilnehmern beschäftigt ihn die Frage nach geeignetem Personal. Deshalb möchte er gern das Versprechen von Oberbürgermeister Pit Clausen annehmen, und hofft, dass ihm im nächsten Jahr drei neue Auszubildende als Bäcker vermittelt werden können. Thomas Pollmeier arbeitet schon jetzt eng mit Founders-Foundation-Veteran Eyüp Aramaz zusammen, der 2016 FoodTracks gründete. Dieser bietet Bäckereien eine vollautomatisierte Datenanalyse, um in Echtzeit Handlungsempfehlungen zur Optimierung der Produktion, Personalplanung sowie des Einkaufs und Verkaufs zu geben. Seine Arbeit wird übrigens gerade vom WDR für die Sendung „Markt“ begleitet. Im allerweitesten Sinne hat auch Christian Gieselmann künftig mit Kaffee zu tun. Seine Firma Insensiv ist Spezialist für Bildverarbeitungssysteme für verschiedene Anwendungen. Der Schwerpunkt liegt auf „intelligenten Kameras“, z. B. für Einweg- Rücknahmesysteme. Die Ausweitung des Pfands auf Einwegbehältnisse verhalf dem Unternehmen zum Durchbruch. Mittlerweile werden die hochspezialisierten Produkte auch in der Landwirtschaft eingesetzt. „Wir erwägen gerade ein Produkt für die Rücknahme von Kaffee-to-go-Bechern“, so Christian Gieselmann. „Das könnte im Ein- oder auch im Mehrwegsystem funktionieren. So würde man Müll vermeiden und insgesamt die Stadtreinigung entlasten.“
Es zeigte sich an diesem Abend in der Stadthalle, wie schnell Unternehmerinnen und Unternehmer Verbindungen schaffen, wenn ein persönlicher Kontakt da ist. Den Gästen bot sich beim anschließenden Get-together reichlich Gelegenheit zum Austausch. Eines wurde schnell deutlich: Trotz aller Kommunikationstechnologie ist der persönliche Kontakt durch nichts zu ersetzen und das Mittelstandsforum der WEGE bietet dafür eine ideale Plattform. Das Motto des Abends „Wir schaffen Verbindungen“ ist demnach voll aufgegangen.
Quelle: Markt & Wirtschaft Westfalen – Das Wirtschaftsmagazin für zukunftsorientierte Unternehmen
Autor: AH
Stand: 17. Januar 2018
Foto: WEGE - Wir schaffen Verbindungen: Das Motto des 14. Bielefelder Mittelstandsforums ist aufgegangen.