Sehen mit anderen Sinnen

 

Projekt 3: Wohnraumschaffung für Menschen mit altersbedingten Einschränkungen im visuellen System "Sehen mit anderen Sinnen"

Titel: Wohnraumschaffung für Menschen mit altersbedingten Einschränkungen im visuellen System "Sehen mit anderen Sinnen"

 

In der heute stark visuell geprägten Gesellschaft erfahren Menschen mit altersbedingten Einschränkungen im visuellen System wenig Beachtung, da eine Abnahme der Sehfähigkeit oftmals als normale Begleiterscheinung im Prozess des Alterns gilt. Welche Einschränkungen und Konsequenzen eine Abnahme der Sehfähigkeit im Alter für das alltägliche Leben zur Folge haben kann, ist häufig nicht vorhersehbar. Allerdings ist es unumstritten, dass Be-troffene - je nach Art, Umfang und Schwere - in ihrer selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung eingeschränkt sein werden und sich durch fehlende Bewältigungsstrategien vermehrt zurückziehen. Im späteren Verlauf und mit zunehmender Abhängigkeit kann oftmals ein Heimeinzug nicht vermieden werden.
Aufgrund des demographischen Wandels kann statistisch belegt werden, dass "mit steigendem Lebensalter die Auftretenshäufigkeit von Sehbehinderungen deutlich zunimmt" (Wahren-Krüger, 2005, S. 164). Die Zahlen über Betroffene basieren aufgrund fehlender Registrierungen sowie einer angenommenen hohen Dunkelziffer auf Schätzungen von 1,5 bis 4,6 Millionen Menschen mit Einschränkungen im visuellen System in Deutschland (vgl. Pfau, Kusch, Kern und Beske, 2000).
Innerhalb der Gesellschaft bestehen oftmals sozial akzeptierte Stereotype gegenüber sehbehinderten Menschen (vgl. Rothe und Süße, 2000). Dabei sind Hilflosigkeit, Abhängigkeit und Unterwürfigkeit Eigenschaften, die scheinbar zum sozialen Bild eines sehbehinderten Menschen unabdingbar dazu gehören. Menschen mit Einschränkungen im visuellen System gelten daher häufig als passive Empfänger von Unterstützungsmaßnahmen; Unterwürfigkeit und assoziierte Abhängigkeit betonen ihre schwache Position (Thimm, 1985, zitiert nach Hensle & Vernooij, 2002).
Da das Sehen nicht nur bei der Kommunikation eine sehr zentrale Bedeutung einnimmt, ist nur schwer antizipierbar, in welchem Ausmaß sich die Einschränkung im visuellen System bei den Betroffenen auswirkt (vgl. Enquete-Kommission, 2005).
Da schätzungsweise 70% der Informationen über unsere Umwelt über das visuelle System aufgenommen wird (vgl. Mutschler, Schaible & Vaupel, 2007), ergibt sich hingegen durch das Nichtfunktionieren des Sehsinns eine Einschränkung in der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sowie im emotionalen Wohlbefinden der Betroffenen (vgl. DBSV, 2005).
Aufgrund der degenerativen Veränderungen der Sinnesschärfe durch die altersbedingten Erkrankungen wie z.B. die AMD und diabetische Retinopathie (vgl. Brill, 2004) ergibt sich für die Betroffenen die Pflegediagnose "Visuelle Wahrnehmungsstörung" (vgl. Doenges, Moor-house & Geissler-Murr, 2002). Da Menschen mit Einschränkungen im visuellen System ihre Einschränkungen vermehrt nicht kompensieren können, da ihnen der Gebrauch von Hilfsmitteln nicht bekannt ist, wird ebenfalls als Pflegediagnose ein mögliches "Wissensdefizit" zugrunde gelegt (vgl. Pfau, Kusch, Kern & Beske, 2000). Die Situation älterer blinder und sehbehinderter Menschen ist daher schwierig. Durch die Kombination von Alterung und Sehverlust ist die Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen beeinträchtigt. Viele ältere Menschen sehen ihre Unabhängigkeit gefährdet, weil sie sich oft gezwungen sehen, sich von einem aktiven Leben zurückzuziehen (vgl. Cory, 2007). Daraus abgeleitet ergibt sich eine weitere Pflegediagnose "Gefahr der sozialen Isolation".
Unterstützungsmaßnahmen familiärer Beziehungen gestalten sich für Betroffene als schwierig, da Bezugspersonen zu einer Überversorgung neigen können. Diese Überfürsorglichkeit kann auf Dauer möglicherweise durch die Übernahme eigentlich noch möglicher Handlungen zu unnötigen Kompetenzverlusten durch "non use" bzw. fehlende Übung führen (vgl. Wahl, Heyl & Langer, 2008). Daher sind vor allem außerfamiliäre soziale Netzwerke ein hilfreicher Faktor im Umgang mit altersbedingten Einschränkungen im visuellen System.

Das Wohnraumkonzept "Sehen mit allen Sinnen" ist auf folgende Ziele ausgerichtet:

Die Lebensqualität der Bewohner zu erhalten und zu fördern.
Die Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei der Gestaltung des Wohnraums entsprechend der individuellen Lebensform in den Mittelpunkt zu stellen.
Die Wohnumgebung so zu gestalten, dass durch die Berücksichtigung der individuellen Ressourcen und Bedürfnisse die Selbstpflegekompetenzen der Bewohner aufrecht gehalten bzw. wiederhergestellt werden
Durch die Gestaltung der Wohnumgebung eine Stärkung familiärer und außerfamiliärer sozialer Netzwerke zu erreichen und auf diese Weise ein Leben innerhalb der Gesellschaft zu ermöglichen.
Bei der Gestaltung der äußeren Wohnumgebung darauf zu achten, dass die soziale Integration durch die Übernahme von Verantwortung im Quartier gestärkt wird.

Ausgangslage:

Einwohner

Die Stadt Herford hat 65.019 Einwohner. Davon haben 26,5 % ein Alter von über 60 Jahren. 9,4 % sind 75 Jahre und älter.

Wohnsituation

Bei den 70-85 Jährigen leben 43 % in Einpersonenhaushalten, 50 % leben zusammen mit ihren Partnern und 7 % leben in Mehrgenerationen Haushalten. Der demographische Wandel führt zu veränderten Familienstrukturen mit einem hohen Anteil an Einpersonenhaushalten.
Problemlagen

70 % der Wahrnehmung geschehen normalerweise über das visuelle System. Gravierende Einschränkungen im visuellen System haben meist negative Auswirkungen auf die Selbstbestimmung sowie das emotionale Wohlbefinden. Dies ist von besonderer Bedeutung, da Menschen bestrebt sind, für sich selbst zu sorgen.
Bereits ab dem 70. Lebensjahr sind Beeinträchtigungen des Sehvermögens nachweisbar. Ab dem 75. Lebensjahr steigt der Anteil an Menschen mit Sehbehinderungen auf 60 %. Dabei ist nur schwer vorhersehbar, in welchem Mass sich eine Sehbehinderung bei den Betroffenen auswirkt. Aussserdem ist mit steigendem Alter mit somatischen Beeinträchtigungen und Einschränkungen des Bewegungsapparates zu rechnen. Mit einer Sehbehinderung ist oft die Gefahr einer eingeschränkten Teilhabe am sozialen Leben verbunden.

Adressaten

- Primär alleinstehende Menschen mit altersbedingten Einschränkungen im visuellen System
- Potenziell gefährdete Menschen
- Bezugspersonen sind wohnberechtigt

Gestaltung

- Optische Unterstützung zur Stärkung des verbliebenen Sehsinns
durch kontrastreiche Gestaltung, blendfreie Aus- und Beleuchtung
- Auditive Unterstützung zur Stärkung des Hörsinns
- Taktil-haptische Unterstützung zur Stärkung des Tastsinns (Sinnesgarten, Taktile Leitsysteme)
- Barrierefreiheit
- Verletzungsarmes und sicheres Wohnumfeld

 

 

Poster für die Präsentation der Ergebnisse während der Abschlußveranstaltung:

Sehen mit anderen Sinnen-1
Sehen mit anderen Sinnen-2